Erste Fortsetzung

Wenden wir uns nun von diesen nur lokal auftretenden Vorkommnissen zu der Betrachtung unserer Erdoberfläche als eines einheitlichen Ganzen. In der dem Äquator zunächst liegenden heißen Zone, welche in besonders hohem Grade von der Wirkung der Sonnenstrahlen zu leiden hat, muss dem Angeführten nach ein aufsteigender Luftstrom, der sogenannte courant ascendant, zu Stande kommen, den wir auch im Einklange mit unserer Theorie in Wirklichkeit nachweisen können. Zwar ist dort die Luft nicht etwa in einer solch heftigen Bewegung nach aufwärts begriffen, dass sich dieselbe direkt fühlbar machte, dennoch aber sprechen viele Tatsachen in der überzeugendsten Weise für die Richtigkeit unserer Behauptung. Das Barometer weist uns dort durch einen dauernd niedrigen Stand die geringere Schwere der auf dem Quecksilber ruhenden Luftsäule ohne Weiteres nach; unseren Seeleuten ist das tropische Meer durch die herrschende Windstille ebenso verhasst wie unheilbringend; mit dem jährlichen Laufe der Sonne verschiebt sich diese Region der „Calmen“ im Winter süd-, im Sommer nordwärts, ohne sich freilich wesentlich vom Äquator zu entfernen. In dem Maße nun, wie die aufgelockerte, verdünnte Luft zu den höheren Regionen der Atmosphäre emporeilt, muss ihr unmittelbar über der Erdoberfläche Ersatz werden durch gewaltige Ströme kalter Luft, welche von Norden und Süden herbeieilt, um die gürtelförmige Lücke auszufüllen. Es entsteht auf diese Art auf der nördlichen Halbkugel ein Nord-, auf der südlichen ein Südwind, welche man beide, da sie aus der Richtung der Pole herkommen, als polare Ströme in der Wissenschaft zu bezeichnen sich gewöhnt hat. Nähern sie sich dem Äquator, so werden auch sie erwärmt und ändern daher ihre horizontale Richtung zu einer mehr und mehr vertikalen ab, lassen also den Calmengürtel völlig unberührt. Da mittlerweile in den oberen Schichten des Luftmeeres die erwärmte Masse, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, vom Äquator aus nach Norden und Süden abfließt, so erhalten wir für jede Hemisphäre einen zweiten Strom, den äquatorialen. Dieser gelangt auf einem Laufe in immer kältere Gegenden, verliert dadurch allmählich eine Eigenwärme und senkt sich nach und nach von einer bedeutenden Höhe herab, um in unseren Breiten der Erde bereits ziemlich nahe seinen Weg nach den Polen fortzusetzen. Wir haben somit in deutlichen Umrissen bereits einen Kreislauf von den großartigsten Formen aufzuzeichnen vermocht, sehen uns aber mit einem Male in unseren Erörterungen durch die Schwierigkeit gehemmt, dass die auf der Erde wirklich herrschenden konstanten Luftströmungen der Tropen keineswegs die eben entwickelten Richtungen einschlagen, vielmehr eine bedeutende Ablenkung nach Osten oder Westen zu aufzuweisen haben. Indessen erinnern wir uns noch zur rechten Zeit daran, dass wir bei unseren Betrachtungen bis zu diesem Momente die Erde als völlig ruhend voraussetzten; es wäre daher wohl möglich, dass uns der Wegfall dieser unnatürlichen Klausel zu der sehnlichst gewünschten Übereinstimmung zwischen Theorie und Praxis verhülfe. Sehen wir also zu, was aus einem Nordwinde wird, welcher vom Nordpole her zum Äquator hinströmt, wenn wir ihn der Einwirkung der Erdrotation ausgesetzt denken. Bekanntlich dreht sich unser Planet in der Richtung von Westen nach Osten um eine Are und teilt hierbei nicht nur den auf ihm befindlichen Gegenständen, sondern auch der mit fortgerissenen Atmosphäre diese ostwärts gerichtete Bewegung mit. Jeder Punkt und jedes Luftteilchen wird also im Laufe von 24 Stunden in einem Kreise umhergeführt, und da der Äquator größer ist als alle Breitengrade, so wird ein auf ihm gelegener Ort in gleicher Zeit einen weiteren Raum durcheilen, als ein nördlich oder südlich von ihm befindlicher. Mit anderen Worten: die Schnelligkeit der Drehung nimmt von den Polen als den ruhenden Punkten zum Äquator hin zu. Ein von Norden herkommender Luftstrom trifft daher, da Alles, was er berührt, mit größerer Geschwindigkeit nach Osten eilt, als er selbst, durchaus nicht die Stelle des Äquators, auf die er ursprünglich zuwehte, vielmehr einen westlich davon liegenden Ort, der demnach den Wind als einen Nordost auffasst. Sein zu Anfang rein südlicher Trieb hat einer immer wachsenden Tendenz nach Westen hin einen Anspruch auf Mitwirkung zu gestatten; der aus beiden Richtungen resultierende Strom wird in der Nähe des Nordpols nur wenig von Nord nach Ost zu abweichen, um allmählich in immer entschiedeneren Nordost überzugehen. Der auf der südlichen Halbkugel supponierte polare Strom wandelt sich aus demselben Motive aus reinem Süd in Südost um. Gerade das Gegenteil wird nun auch bei beiden warmen vom Äquator zu den Polen hin abfließenden Strömungen eintreten; die große ostwärts gerichtete Geschwindigkeit, mit welcher sie bei ihrem Ursprung versehen werden, führt sie über die nur wenig an der allgemeinen Neigung teilnehmenden polaren Orte nicht rein nördlich (auf der südlichen Halbkugel südlich), sondern nordöstlich (südöstlich) hinweg und gibt so zu einem Südwest (Nordweste) Veranlassung. *) Diese höchst interessante Erscheinung, welche auf dem Zusammenwirken zweier Bewegungen, der Erdrotation und einer auf ihr senkrechten beruht, sehen wir auch bei den Flüssen eintreten, welche auf längere Strecken einen rein nördlichen oder südlichen Lauf nehmen. Bei der unteren Wolga zeigt sich beispielsweise das nach Westen gelegene, bergige Ufer überall bedeutend unterwühlt, während das linke, obwohl sandige, unberührt bleibt. Der Grund für diese auf den ersten Blick sonderbare Tatsache liegt eben darin, dass die von Norden herkommenden Gewässer in Folge ihrer geringeren Osttendenz dem gewissermaßen sich durch sie hindurch drängenden rechten Ufer einen Widerstand entgegensetzen, welcher bei dem anderen Gestade natürlich nicht zur Geltung kommt. In gleicher Weise ist die von dem bekannten Hydrographen Maury gemachte Bemerkung, dass auf den nord- oder südwärts verlaufenden Eisenbahnen die Züge vorzugsweise nach der rechten Seite entgleisen, nicht schwierig zu erklären.

*) Der experimentelle Beweis für die Richtigkeit dieser Erklärung, welche bei einmaligem Hören nicht so ganz leicht zu fassen sein mochte, wurde durch rotierende Scheiben geliefert, auf deren Oberfläche während der Bewegung farbige Kreidestriche gezogen wurden. Die in der nachstehenden Zeichnung reproduzierte Kurve, welche trotz des eifrigsten Bemühens eines Jeden aus der Corona, welcher den Versuch anstellte, eine gerade Linie vom Mittelpunkte aus zu ziehen, sich ergab, wurde zur Demonstration benutzt. Man ersieht ohne Weiteres, wie auf den einzelnen Breitenkreisen der ursprüngliche Nordwind mehr und mehr zum Nordost wird.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Sturmfluten.