Welches sind nun die Ziele der Auswanderung?

Welches sind nun die Ziele der Auswanderung? Es gibt in allen Weltteilen Gegenden, welche sich durch die Fruchtbarkeit des Bodens, die Milde ihres Klimas, Sicherheit des Eigentums und sonstige Vorteile auszeichnen, indessen trotz alle dem nie oder nur in geringem Grade die Auswanderung angezogen haben. So gehören in Europa einzelne Teile des südlichen Russland und die Donaufürstentümer, Algier in Afrika, die Laplatastaaten und große Provinzen von Mexico in Amerika zu den von der Natur bevorzugtesten Teilen der Welt, und doch finden wir sie nur ausnahmsweise von der Auswanderung aufgesucht. Ja unter sonst oft gleichen Verhältnissen ziehen die Auswanderer die amerikanische Republik den englischen Kolonien in Amerika und Australien vor.

Woher kommt das? Liegt hier ein bloßer Zufall oder ein die Auswanderung bestimmendes Gesetz vor? Allerdings haben wir es mit einem Gesetz zu tun, denn es sind nicht allein materielle und physische Ursachen, sondern auch moralischer ethische Gesichtspunkte, welche den Auswanderer bei der Wahl seiner Niederlassung bestimmen. Er sucht nicht allein wohlfeiles Land für seine Heimstätte und höheren Lohn für seine Arbeit, sondern er will auch möglichst viel Freiheit, die ihm zunächst in der Abwesenheit jeder äußeren Beschränkung erscheint, keine Privilegien bevorrechteter Stände, sondern völlige rechtliche und politische Gleichheit mit seinen Mitbürgern. Diese beiden Gesichtspunkte, den materiellen und ideellen findet der Auswanderer besser als irgend anderswo in den Vereinigten Staaten verwirklicht, und deshalb zieht es ihn Millionenweise dahin.


In Amerika sind noch Hunderte von Millionen Morgen Landes Staatseigentum. Jeder Ansiedler kann ein Stück davon für sich wählen, ohne später Kommende im Mindesten zu beeinträchtigen; aber auch das im Besitze von Privaten befindliche Land ist bei seiner großen Menge sehr billig, weshalb die Landpreise im Durchschnitt sehr wohlfeil sind. In einem Staate aber, wo Alles erst aus dem Rohen herausgearbeitet werden muss und wo sich täglich unzählige Gelegenheiten zur vorteilhaften Betätigung jeder individuellen Kraft bieten, ist das Angebot der Arbeit, namentlich der ländlichen, stets geringer als die Nachfrage und in den meisten Fällen der Arbeitsmarkt nur sporadisch, nicht beständig mit der Zufuhr neuer Kräfte versehen. Darum ist die Arbeit teuer und nicht der Arbeiter vom Arbeitgeber, sondern umgekehrt dieser von jenem abhängig. So sind auch die Arbeitslöhne bedeutend höher als die Preise der unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse, und der ärmste europäische Arbeiter kann in Amerika durch seiner Hände Werk unabhängig und wohlhabend werden. Aus dem früheren Lohnarbeiter wird sehr bald ein unabhängiger Bauer, denn der Mann bereichert überall sich selbst, nicht Andere. „In Amerika“, sagte mir einst ein alter deutscher Bauer schwirren die gebratenen Tauben auch nicht in der Luft herum; allein wenn sie einmal wider Erwarten zu mir fliegen sollten, so steht Niemand daneben, der sie mir vor der Nase wegschnappt und statt meiner verzehrt.“

Zu diesen, sämtlichen Kolonialländern in höherem oder niederem Grade gemeinschaftlichen Vorzügen kommt in den Vereinigten Staaten noch die freie politische Verfassung, die Sicherheit von Person und Eigentum und die dem Auswandernden bereits voraufgegangene große Zahl von erfolgreichen Landsleuten. Drei Faktoren haben die amerikanische Republik in unverhältnismäßig kurzer Zeit groß gemacht, und zwar 1) die freie gesellschaftliche und staatliche Form des Lebens, die dadurch bedingte Selbstregierung des Volkes und die Beschränkung der Behörden auf die möglichst engsten Kreise. Die Regierung ist nicht der Herr des Volkes, sondern sein Angestellter, der jeweilige Ausdruck seines Könnens und Wollens, 2) Der Dampf und seine ausgedehnte Verwendung zu Wasser- und zu Lande. Ohne ihn wäre es unmöglich gewesen, die ungeheuren räumlichen Entfernungen zu bewältigen und der Kultur zu unterwerfen. Mit den Verkehrswegen des vorigen Jahrhunderts wäre der größte Teil des Westens der Union noch heute eine Wildnis; noch vor zwanzig Jahren dauerte die Reise des Einwanderers von New-York an den Eriesee länger als heut zu Tage die Fahrt vom atlantischen zum stillen Ozean. 3) Die Einwanderung, welcher von der fama fertilis orae [Berichte von fruchtbaren Ufern] angezogen, die Heersäulen der friedlichen Eroberer auf ihrem Siegeszuge von Osten nach Westen begleitet oder ihre verlassenen Sitze einnimmt, und das beste und wohlfeilste Menschenmaterial liefert, ohne welches das fruchtbarste Land eine Einöde bleibt. Gerade diese persönliche und staatliche Freiheit ist es, die den Einwanderer anzieht und diese Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bewegung, die ihn in solchen Massen sein Gedeihen in den Vereinigten Staaten suchen lässt. Wie der Mensch räumlich von den Gesetzen, den Überlieferungen der alten Heimat getrennt ist, so will er auch im neuen Lande, nachdem er einmal den Bruch mit der Vergangenheit gewagt hat, von keinen Schranken mehr gehemmt, von keinem Herrn befehligt und Niemandem anders als sich selbst Rechenschaft schuldig sein.

Im großen Ganzen prägen Romanen und Germanen die Bevormundung und Autonomie des Individuums auch in ihren Kolonial-Ansätzen und Erfolgen aus. Von der ersten spanischen Niederlassung in Amerika an bis herunter auf das französische Algier ist noch nie ein romanischer Pflanzstaat zur Entfaltung der ihm innewohnenden Kraft gelangt; germanische Niederlassungen dagegen sind bereits Weltmächte geworden und werden es mit jedem Tage mehr. Eine Ansiedelung kann, mit anderen Worten nicht gedeihen, wenn dem Ansiedler sein Schicksal anfangs zu bequem gemacht, wenn er jeder persönlichen Verantwortung enthoben und der Gelegenheit zur Entfaltung und Erwerbung derjenigen Eigenschaften beraubt wird, welche allein ihm Erfolg und Befriedigung sichern. Eine lebensfähige Niederlassung wird darum auch nur da entstehen, wo der Auswanderer mit unerbittlicher Härte auf seine eigene Kraft angewiesen ist, wo er, statt von der, wenn auch noch so gut gemeinten Bevormundung der heimischen oder neuen Regierung abhängig zu sein, auf eigene Faust sich seinen Weg bahnt und Niemandem als sich selbst verantwortlich ist. Dieser Weg ist langsam, aber er ist der einzige, welcher zum Ziele führt. Darum schadet es auch nichts, wenn fast jede neue Generation von Einwanderern dieselben Fehler wie ihre Vorgänger macht, da sie einmal nicht von ihnen lernen will. Ihr ganzes Leben beruht eben nicht auf dem Wissen, sondern auf dem Willen. Sie sind Erfahrungsmenschen, die nur das erleben, was sie wirklich greifen, sehen und fühlen können. Sie selbst wollen die Schöpfer ihres Glücks sein, und wer es ihnen sogar in der besten Absicht bringen will, wird immer eher als ihr Feind, denn als ihr Freund gelten. Dieses Gefühl der Selbstverantwortlichkeit führt nur zu leicht zu schroffen und selbst rohen Formen, aber es hebt den Einzelnen und spornt ihn zu Leistungen an, deren er in den alten Verhältnissen der Heimat oft nicht fähig gewesen wäre; es erzeugt ein fast prometheisches Selbstbewusstsein, welches im großen Ganzen veredelnd wirkt und neue Ansiedelungen, neue Gemeinden, neue Städte und Staaten aus dem Boden hervorzaubert.

In Amerika waren beide Systeme neben einander wirksam in Neu-Frankreich und in Neu-England. Die französische Herrschaft, welche mit ihren großen Feldherren, tapferen Soldaten und unermüdlichen Priestern ein mächtiges Reich gründete, welches den Lorenzstrom mit den großen Inlandseen und dem Mississippi verbinden, diesem aber entlang bis zum mexikanischen Golfe fortlaufend, die englischen Niederlassungen auf den schmalen atlantischen Küstensaum beschränken sollte, diese französische Herrschaft ist nur noch eine Erinnerung, sie verwelkte schneller als sie gegründet war, weil sie sich nicht auf ein selbst denkendes, selbst tätiges und sich selbst bestimmendes Volk stützen konnte. Neu-England dagegen, das Kind der Reformation und der Revolution, eine durchaus moderne Niederlassung, in welcher Alle mit selbstbewusster Hingebung Hand mit anlegen und sich durch möglichst ausgedehnte Verwertung ihrer geistigen Fähigkeiten ein menschenwürdiges und selbständiges Dasein erkämpfen, Neu-England bestimmt die Geschicke eines Kontinents und ist einer der Faktoren der Weltgesittung geworden.

Auch in dem Gebiete der Union selbst war es durchaus keine bloße Laune des Auswanderers, dass er die südlichen Staaten mied, so lange der Fluch der Sklaverei auf ihnen lag, denn ein Land, dem die Freiheit der Arbeit und die Würde anständiger Erwerbsfähigkeit fehlen, kann auch keine bürgerliche Freiheit ertragen. An natürlichen Vorzügen steht der Nordwesten gegen die nördlicheren Südstaaten weit zurück. Virginien, Kentucky und Tenessee z. B. sind wahre Gärten und an Fruchtbarkeit des Bodens von keinem Staate der Union übertroffen, aber trotzdem teilweise noch in unangebautem Zustande mit Millionen Acker fruchtbaren Landes, während der rauere und jüngere Nordwesten verhältnismäßig besser besiedelt ist.

Als Resultat dieser Untersuchung wollen wir also festhalten, dass der Auswanderer sich denjenigen Ländern am liebsten zuwendet, wo er, wie in den Vereinigten Staaten, außer hohem Arbeitslohne und niedrigem Preise des Landes, die größtmögliche Freiheit und Sicherheit findet.

Haben wir bisher die Gründe geprüft, warum der Einzelne sein Vaterland verlässt und wohin er vorzugsweise gern geht, so müssen wir uns nunmehr zur Untersuchung der Frage wenden, was der Auswanderer wert ist? Dieser Wert ist ein doppelter. Einmal besteht er in den Wertsachen, in dem Vermögen, welches er mit sich nimmt, dann aber in den Leistungen, in der Arbeitskraft, durch welche er seinen Lebensunterhalt verdient und zugleich den Reichtum seines Geburtslandes vermindert, denjenigen seiner neuen Heimat aber vermehrt.

Über diese beiden Punkte lassen sich, da so ziemlich alles zuverlässige Material fehlt, keine bestimmten Angaben machen; ich muss mich deshalb auf eine möglichst annähernde Berechnung beschränken.

Was zunächst die baren Gelder und beweglichen Vermögensgegenstände betrifft, welche jeder deutsche Auswanderer mitnimmt, so glaube ich eher zu unterschätzen als zu überschätzen, wenn ich annehme, dass wenigstens 150 Thlr. an Geld und Geldeswert auf den Kopf kommen. Zu letzterem rechne ich alle Art von Gepäck, wie Kleider, Betten, Leinwand, Hausrat und Handwerksgeräte, sowie Uhren, Gold- und Schmucksachen. Im Jahre 1856 wurden sämtliche in New-York gelandeten Einwanderer, im Ganzen 142.342, gefragt, wie viel bares Geld sie bei sich hätten. Aus ihren Antworten ergab sich, dass im Durchschnitt jeder 68,08 $ oder in runder Summe 100 Thlr. preußisch hatte. Der diese Fragen stellende Beamte erklärte mir, dass nach seiner Ansicht kaum mehr als die Hälfte des wirklichen Vermögens angegeben worden, indem die Leute fürchteten, extra besteuert zu werden. Ich selbst habe mich zu jener Zeit davon überzeugt, dass diese Schätzung viel zu gering war. Es wurde nämlich einmal in meiner Gegenwart ein dem Anscheine nach wohlhabender deutscher Bauer aufgefordert, zu erklären, wie viel Geld er bei sich habe. Der Mann öffnete seine Börse und zählte 24 $. So wurde denn seine ganze Barschaft zu diesem Betrage eingetragen. Ich sah, dass er mehr haben musste, und setzte ihm auseinander, dass diese Fragen nur gestellt würden, um dem Lande den Beweis zu liefern, dass die Einwanderer keine hilflosen Bettler und Arme seien. Sofort nahm der Mann seine Brieftasche heraus und zeigte mir für 2.700 $ Wechsel auf einen New-Yorker Bankier; seine mit ihm gelandeten drei erwachsenen Söhne, setzte er hinzu, hätten jeder dieselbe Summe.

Überhaupt sind die Deutschen die verhältnismäßig wohlhabendsten Auswanderer; jedenfalls haben sie doppelt, wenn nicht dreifach so viel als die Irländer, die mit ihnen das Haupt-Kontingent zur großen Auswanderer-Armee stellen. Deutsche Einwanderer - sagt der Bericht der New-Yorker Emigrations-Kommissäre von 1854 - haben in den letzten drei Jahren je elf Millionen Dollars bar ins Land gebracht. Diese Angaben werden mehr als bestätigt durch einzelne zerstreute statistische Daten. So ward von den betreffenden statistischen Behörden berechnet, dass jeder badische Auswanderer von 1840-1849 an barem Gelde je 245 Thaler mit sich genommen hat, während aus Bayern von 1845-1851 Jeder im Durchschnitt 233 Thaler und von 1851-1857 etwas mehr, nämlich 236 Thaler mitnahm. Wenn jeder württembergische Emigrant 1855 nur 188 Thaler ausführte, so belief sich 1857 die betreffende Summe auf 360 und 1858 sogar auf 790 Thaler.

Die auf diese Weise sich ergebenden paar Millionen wollen übrigens nichts heißen gegen die Hunderte von Millionen, welche in der dem Menschen innewohnenden, oder auch ihm anerzogenen Produktionsfähigkeit, in seiner Arbeitskraft liegen. Hier fragt es sich nun, was ist, in Wertzeichen ausgedrückt, jeder Auswanderer wert?

Wie wir uns längst daran gewöhnt haben, einen unfreien Arbeiter, z. B. einen Sklaven, in seinen Leistungen nach Thalern und Groschen abzuschätzen, so erlangen wir erst einen klaren Begriff über den Nutzen eines Menschen, wenn wir seine Tätigkeit kapitalisieren. Natürlich ist der Kapitalwert, welchen die betreffenden Auswanderer als erzogene Menschen mit sich führen, verschieden je nach dem Kulturzustande des Landes, aus welchem sie kommen. Die individuelle Vorbildung, Lebensweise, dadurch bedingte Ansprüche und Leistungsfähigkeiten sind bei fast jeder Nation andere. So muss also an den Deutschen oder Engländer ein andrer Maßstab gelegt werden als an den Irländer oder Spanier. Unser verehrter Mitbürger, der Direktor des statistischen Büreaus, Herr Dr. E. Engel, hat über den Preis der Arbeit, also indirekt auch über den Wert der Auswanderung, eine vortreffliche Untersuchung angestellt, in welcher er beweist, dass die Erziehungsunkosten eines Menschen, um ihn zu einem sich selbst ernährenden Individuum zu bilden, einen gewissen Kapitalwert vorstellen, das dem Lande zu gute kommt, in welchem dieser Mensch, wenn er erwachsen, seine Wirksamkeit findet. Dieser Kapitalwert ist nach den auf ihn verwandten Auslagen zu bemessen. Herr Dr. Engel zeigt nun, dass die Arbeitspreise eines Landes von drei Voraussetzungen abhängig sind, 1) dass jeder Arbeiter genug verdienen will, um seine täglichen Bedürfnisse zu befriedigen; 2) dass er das Äquivalent seiner Erziehung wieder erwerben will und 3) dass er strebt, etwas für sein Alter zurückzulegen. Herr Dr. Engel berechnet ferner die Kosten für Unterhalt und Erziehung eines deutschen gewöhnlichen Arbeiters auf 40 Thlr. für jedes Jahr der ersten fünf Jahre seines Lebens auf 50 Thlr. für die nächsten fünf Jahre und auf 60 Thlr. für das Alter vom 10. bis zum 15. Jahre, so dass sich also die Gesamtkosten auf 750 Thlr. belaufen. Diese 750 Thlr. bilden das niedrigste Kapital, welches in jedem Deutschen angelegt ist und welches er im Laufe seines späteren Lebens zurück verdienen muss; dieses Kapital geht aber dem Geburtslande des Emigranten durch den Akt der Auswanderung verloren, während das Land seiner Niederlassung gerade soviel dadurch gewinnt, als es kostet, einen Eingeborenen von gleicher Arbeitsfähigkeit zu erziehen und zu ernähren. Während in Amerika z. B. diese Kosten das Doppelte von dem betragen, was sie bei uns ausmachen, können wir füglich, wenn wir die Frauen und Kinder miteinschließen, den Kapitalwert jedes Auswanderers auf ein Minimum von 500 Thlr. Veranschlagen, denn der Abzug, welchen man für Kinder, Frauen und ältere Personen machen müsste, wird mehr als ausgeglichen durch die bedeutende Überzahl der Männer über die Frauen und Tausende von Auswanderern aus den höheren Klassen der Gewerke. Also 500 Thlr. per Kopf sind eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. Die niedrigsten amerikanischen Schätzungen des Kapitalwertes eines Einwanderers nehmen 800 $, die höchsten etwa 1.200 an; natürlich sind sie doppelt so hoch, weil der Preis der Arbeit und des Lebens in den Vereinigten Staaten doppelt so hoch ist.

Nach der obigen Schätzung würde also ein Auswanderer 150 Thaler in Geld und Geldeswert und einen Kapitalwert von 500 Thlrn., im Ganzen 650 Thlr. repräsentieren. Nehmen wir an, dass die deutsche Gesamtauswanderung im Jahre 200.000 Seelen beträgt, so verliert Deutschland im Jahr dreißig Millionen Thaler bar und hundert Millionen Thaler Arbeitskapital. Da vom 1. Oktober 1819 an bis zum 1. Oktober 1871, also in einundfünfzig Jahren, von den deutschen Auswanderern allein 2.358.709 nach den Vereinigten Staaten gegangen sind, so haben sie also auf Grund obiger Berechnung in einem halben Jahrhundert 500 Millionen Thaler bar und 1.751.096.300 Thlr. an Kapitalwert aus Deutschland gewonnen. In runder Summe gerechnet, gibt Europa täglich eine Million Dollars durch seine Auswanderung an die Vereinigten Staaten ab.

Ein noch höherer Gewinn stellt sich aber heraus, wenn wir den Zuwachs, welchen die Bevölkerung eines Landes durch Einwanderung erlangt, mit in Betracht ziehen. Auch dafür mag wieder das Beispiel der nordamerikanischen Union sprechen, weil kein anderes Gebiet, welches als Ziel der Auswanderung dient, eine so lange Erfahrung für sich hat. Wären die Küsten des Landes dem Einströmen fremder Kräfte verschlossen, so würde das Wachstum der Bevölkerung einfach die Mehrzahl der Geburten über die Todesfälle repräsentieren. Diese natürliche Zunahme beträgt in den Vereinigten Staaten nach genauen statistischen Berechnungen pro Jahr 1,38% in Preußen ist der Prozentsatz 1,27, in England 1,25, in Frankreich 0,44, in Russland 0,74. Nach jenem Wachstumsverhältnisse würden wir nur 1,38 jedes Jahr zur Bevölkerung des voraufgehenden Jahres hinzuzufügen haben, um mit 1790 anfangend, wo der erste Zensus aufgenommen wurde, die Durchschnittsbevölkerung für die Gegenwart zu erlangen. Im Jahre 1790 betrug die ganze freie und weiße Bevölkerung der Vereinigten Staaten 3.231.930 Seelen, sie würde also, wenn nur um den Überschuss der Geburten über den Tod vermehrt, betragen haben

1800: 3.706.674 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 4.412.896
1810: 4.251.143 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 6.048.450
1820: 4.875.600 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 8.100.056
1830: 5.591.775 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 10.796.077
1840: 6.413.161 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 14.582.008
1850: 7.355.423 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 19.987.563
1860: 8.435.882 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 27.489.662
1870: 10.021.827 während sie in der Tat, ausschließlich Sklaven betrug 38.535.152

Wir müssen also 10.021.827 von 38.535.152 Seelen abziehen, um in dem Fazit von 28.513.325 die innerhalb siebzig Jahren gewonnene Bevölkerung von ausländischer Abstammung zu gewinnen. Wenn deshalb von 1800 an keine Fremden mehr in die Vereinigten Staaten gekommen wären, so würden diese 1870 kaum so viel Einwohner gehabt haben, als sie 1830 mit Einwanderung hatten. Mit anderen Worten also beschleunigte die letztere die Entwicklung der Union um volle vierzig Jahre. Hand in Hand mit diesem unverhältnismäßigen Wachstum der Bevölkerung geht eine Vermehrung des nationalen Wohlstandes. Einfuhren und Ausfuhren, industrielle Tätigkeit und Steuern sind am größten und ergiebigsten in den Jahrzehnten, in welchen die Einwanderung am Stärksten ist. Während z. B. die Staatseinkünfte von 1800-1840 von 12.451.184 $ auf 25.032.193 $, also in 40 Jahren auf etwa das Doppelte stiegen, vermehrten sie sich in der Hälfte dieser Zeit, d. h. in der Periode von 1840-1860, wo die Einwanderung so riesige Verhältnisse annahm, von 25.032.193 $ auf 76.752.034 $, also auf mehr als das Dreifacher resp. Sechsfache.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Auswanderung