Rümelin, Karl - Der Wert der Einwanderung. 1869

Mein Freund, Herr Karl Rümelin in Cincinnati, einer der bedeutendsten amerikanischen Volkswirte und seit Anfang der dreißiger Jahre in den Vereinigten Staaten, hat den Wert der Einwanderung in einem geistvollen Vortrage behandelt, welchen er am 26. Mai 1869 in deutscher Sprache vor dem „deutschen Pionier-Verein“ in Cincinnati hielt. Im Wesentlichen auf der Engel’schen Theorie fußend, sagt er u. A vom Wachstum seines Wohnorts:
„Cincinnati stellt heute ein Vermögen von 250 Millionen dar, was ca. 1.000 Doll. für jede Person oder ca. 6,000 $. für jede Familie ausmacht. Vor vierzig Jahren war das Vermögen nur ca. 25 Millionen oder 500 $. für jede Person oder 3.000 $. für jede Familie. Der jetzige jährliche Verdienst ist ca. 25 Millionen; vor dreißig Jahren waren es kaum zwei. Dieses gesteigerte Vermögen kam gewiss nicht aus der Luft; es ist das Produkt der Einwohner dieser Stadt, und von diesen Einwohnern sind wir ein Teil; in anderen Worten, wir haben mit dazu beigetragen, um dieses Vermögen zu steigern, und warum soll es uns Wertproduzenten denn so sehr missfallen einen Wert zu haben? Warum uns weigern, das in Dollars uns anschaulich zu machen, was unser Leben vorstellt.“

„Ein sich selbst ernährender Eingeborener stellt eben so viel, ja wohl noch mehr vor, als ein Eingewanderter, und zwar desswegen, weil ersterer mit den Arbeitserfordernissen des Landes besser vertraut ist als letzterer. Aber die Erziehungs-Unkosten des Hiergeborenen wurden von dem hiesigen Lande getragen, während die des Einwanderers von seinem Geburtslande aufgebracht wurden. Der Beitritt des letzteren ist also eine kostenfreie Zutat für das neue Land, und in dieser kostenfreien Zutat durch Einwanderer liegt das verhältnismäßig schnelle Wachsen des Vermögens in den meisten Städten Amerikas.“


„Ich kann über diesen Punkt keine näheren Berechnungen für Cincinnati anstellen, weil es keine Statistik über die jährlichen Einwanderungen nach Cincinnati gibt, aber ich fühle mich berechtigt zu der Behauptung, dass es mehrere Jahre gegeben hat, in denen der durch Einwanderung erzielte Netto-Zuwachs des Vermögens 25 Millionen das Jahr betragen hat. Jeder, der diesen Zuwachs finden will, suche denselben zuvörderst in dem steigenden Wert des liegenden Eigentums. Dieser Zuwachs war immer am größten nach einer starken Einwanderung. - Es ist unmöglich, genau auszurechnen, wie viel davon durchschnittlich auf jede Person fällt, aber wir werden nicht weit fehl gehen, wenn wir annehmen, dass es in Cincinnati durchschnittlich 2.500 $ kostet, um einen produktionsfähigen Mann aufzuziehen. Nehmen wir dann 1.500 $ für eine solche weibliche Person, und es stellt sich eine Durchschnitts-Summe von 2.000 $ heraus. Es kommen jedoch mehr Einwanderer männlichen, als weiblichen Geschlechts, und ein Fünftel aller Einwanderer besteht auch aus Personen unter fünfzehn Jahren, deren Durchschnitts-Wert nur $ 500 per Person ist, und so wird wohl 1.500 $ per Person für alle Einwanderer nicht zu hoch gegriffen sein, und wir mögen also für die seit vierzig Jahren nach Cincinnati gekommenen 50.000 Einwanderer einen daraus entstehenden kostenfreien Zuwachs unseres Gesamtvermögens von wenigstens 75 Millionen annehmen.“

„Nimmt man nun die jetzige jährliche Einwanderung für das ganze Land auf 250.000 an, und berechnet jedes Individuum zu 1.500 $ so entsteht also für die Vereinigten Staaten eine Vermögens-Zunahme von 375 Millionen, das heißt, der Kapital-Wert, der in seiner Bevölkerung liegt, ist so viel größer.

„Man bedenke, dass die Masse dieser Ankömmlinge keineswegs rohes Arbeits-Material ist. Viele. sehr viele derselben sind schon von der alten Heimat aus mit der Wunderkraft unserer Zeit, dem Maschinenwesen, vertraut, und ein mit Maschinen arbeitender Mensch ist ein vervielfältigter Mann. Man könnte füglich sagen, dass in Wahrheit jährlich eine halbe Million Arbeitskräfte dem Lande durch Einwanderung zufallen, weil ein großer Teil derselben mehr als rohe Arbeiter sind. In unserer Zeit muss man, um das Vermögen eines Landes recht zu messen, immer die Hilfskraft mit in Betracht ziehen, die ein Volk in seinen Maschinen und einen mechanischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen besitzt. Je mannigfaltiger und je intensiver die Anwendung der Maschinen oder Naturkräfte in der Produktion ist, desto wertvoller ist ein Volk. Der Vorteil einer Einwanderung besteht also hauptsächlich in den mechanischen und wissenschaftlichen Kenntnissen, dem Erwerbsfleiß und dem Spar-Sinn der Ankömmlinge. Je höher diese Kenntnisse sind und je intelligenter der Erwerbsfleiß und der Spar-Sinn der Bewohner eines Landes ist, desto mehr „Vermögen“ hat es. Die bloß rohe menschliche Arbeitskraft lernt man in unserer Zeit mehr und mehr durch Dampf-, Wasser-, und Pferde-Kräfte ersetzen, und es drückt sich auch der Mehr-Wert einer technisch gebildeten, im Vergleich mit einer ungebildeten, in den üblichen Lohnpreisen aus. Je mehr Intelligenz und technische Fertigkeit die Einwanderer mit sich bringen, desto wertvoller ist die Einwanderung. Europa gab Amerika also viel mehr als Afrika.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Auswanderung