Kapp/Brace. New-York Tribune 3. November 1869

„In einem englischen Vortrag, den ich am 27. Oktober 1869 vor der American Social Science Association in New-York hielt, hatte ich, von der Voraussetzung ausgehend, dass in den Vereinigten Staaten die Erziehung eines Mannes wenigstens 1.500 $ und die einer Frau wenigstens 750 $ koste den Gewinn, den die Union an jedem Einwanderer macht, auf die Hälfte dieser beiden zusammen addierten Summen 1.125 $ berechnet, also auf 1.125 Dollars, während ich das bewegliche Vermögen jedes Einwanderers auf 150 $ schätzte. Diese Schätzung rief damals namentlich in den westlichen Staaten ein gewisses Aufsehen hervor, man stritt für und gegen ihre Höhe Ich führe hier aus meiner, kurz vor meiner Abreise von New-York veröffentlichten Schrift: Immigration and the Commissioners of Emigration oft he State of New-York“ die Einwürfe des verdienten Philanthropen Herrn Charles L. Brace und meine Antwort darauf in der Übersetzung an
(S. 147-151). Jene finden sich in der New-York Tribune vom 3. November 1869.

„Herr Kapp“, sagt Herr Bracer „verdient hohe Anerkennung für den Fleiß und die Geschicklichkeit, mit welcher er unsre Einwanderer-Statistik analysiert und den volkswirtschaftlichen Wert dieses Menschenstroms bewiesen hat.
Aber im Lichte der Wissenschaft sind wir gezwungen, das hervorzuheben, was, wie uns scheint, in diesem ökonomischen Räsonnement ausgelassen ist und was seine Schlussfolgerungen ziemlich beeinträchtigt. Der Kapital-Wert eines Gegenstandes wird nicht bloß durch die Kosten seiner Hervorbringung, sondern auch durch ein anderes Element - die Nachfrage danach bestimmt. So sind z. B. hundert produzierte Nähmaschinen für eine Gemeinde nicht nur wert, was sie anzufertigen kosten, sondern vielmehr, was die Nachfrage nach ihnen bringt. Wenn eine Überproduktion in Nähmaschinen stattgefunden hat oder wenn sie von zu ärmlicher Qualität sind, so sinkt auch ihr Wert, und ihr Geldwert mag sogar unter den Herstellungswert fallen. Dasselbe gilt von allen Artikeln, welche einen Teil des Kapitals eines Landes bilden. Ihr Geldpreis oder Wert ist bedingt durch die Herstellungskosten und das Verhältnis der Nachfrage zum Angebot. Ebendasselbe gilt von Tieren. Eine Kuh oder ein Pferd ist nicht allein wert, was sie herzustellen kosten, sondern was die Nachfrage nach ihnen bringt. Einmal werden sie aus zufälligen Gründen unter den Produktionswert fallen, ein anderes Mal darüber steigen. Viele feine Pferde, welche zu züchten nicht mehr kostet als geringe, sind für das Land mehr wert, weil die Nachfrage nach diesen größer ist, während viele geringe Pferde unter den Kostenpreis sinken, weil die Nachfrage nach ihnen unverhältnismäßig klein ist. So verhält es sich auch mit menschlichen Wesen, wenn wir sie nur als Produktionswerkzeuge ins Auge fassen. Ein Simpel kostet ebensoviel, wenn nicht mehr zu erziehen als ein Junge von gewöhnlichem Verstande; aber jener hat gar keinen Kapitalwert. Der Lohn oder der Gehalt von Handwerkern wird nicht nur durch die Kosten ihrer Erziehung bemessen, sondern auch durch den Preis, den ihre Arbeit im Märkte bringt, und letztere wieder wird vorzugsweise, wenn auch nicht ausschließlich, durch Angebot und Nachfrage bestimmt.


Wenn ein Einwanderer hier landet, so hängt sein Kapitalwert von diesen zwei Elementen ab, den Produktionskosten und der Nachfrage. Es finden sich wahrscheinlich jedes Jahr unter den Einwanderern ein paar tausend armer unwissende oder vielmehr schwache Frauen, die Näherinnen in großen Städten werden. Diese sollen nach Kapps Schätzung Doll. 750 per Stück wert sein. Indessen haben diese Frauen bei der Überfüllung des Marktes mit derartigen Produzenten, sowie bei ihrer eigenen Unwissenheit und der dadurch bedingten verhältnismäßig geringen Nachfrage nach ihrer Arbeit, wahrscheinlich gar keinen Geldwert für die Gemeinde, ja fallen ihr sogar oft zur Last. In den Anstalten der Einwanderungs-Kommissare selbst werden in diesem Winter einige tausend kräftige Männer sein, welche nicht allein nichts produzieren, sondern aus den Beiträgen ihrer Miteinwanderer unterhalten werden müssen. Diese Leute sind sicherlich für das Land keine 1.150 $ per Kopf wert. Dann vergesse man aber unter den vier Millionen Einwanderern nicht die sehr beträchtliche Zahl derer, welche von Anfang an keine Produzenten waren, indem sie entweder als arm oder krank, oder Verbrecher ankamen, oder als verwahrloste Kinder in die Hände der Behörden fielen, oder deren Arbeit, wie bei kränklichen Frauen, nicht zu ihrem Unterhalt ausreichte. Wenn diese alle von den in New-York gelandeten vier Millionen Einwanderern abgezogen werden, so wird sich eine Berechnung herausstellen, welche Kapps enthusiastische Schätzungen dieser goldenen Flut bedeutend vermindert. Übrigens bezweifeln wir keinen Augenblick die allgemeinen Schlussfolgerungen, welche der Einwanderungs-Kommissar zieht, noch den ungeheuren Wert dieses Stromes von Arbeit, der das Land hebt und entwickelt; wir möchten nur seine numerischen Schätzungen vom Geldwerte jedes Einwanderers ein wenig verringern.

Artikel, welche in allgemeiner Nachfrage stehen, wie Gold und Silber, hängen in ihrem Werte hauptsächlich von den Produktions-Kosten ab. So allgemein ist hier zu Lande der Begehr nach gewöhnlicher männlicher Arbeit, dass ihr Wert nicht viel von den Kosten ihrer Produktion abweichen wird. Diese Kosten hat Kapp offenbar übertrieben, wenn er sie doppelt so hoch wie in Deutschland schätzt. Es würde indessen, wenn man die Ausgaben für den Unterhalt eines männlichen Arbeiterkindes in Deutschland als Maßstab nimmt, gerechtfertigt sein, den Kapitalwert eines gewöhnlichen ländlichen Arbeiters in den Vereinigten Staaten auf wenigstens 1.000 $ oder 1.100 $ zu veranschlagen.

Diese Schätzung allein würde Kapps Enthusiasmus über den Geldeswert der Einwanderung rechtfertigen. Sie ist ein wenig geringer als der alte Marktwert eines Sklaven, aus dem Grunde vielleicht, weil wie Olmsted nachgewiesen hat, der Geldwert der Sklaven mehr spekulativ und auf den aus dem Anbau der besten Baumwollländereien zu realisierenden Gewinn gegründet war.

Es gibt noch eine andere Methode, den Kapitalwert eines männlichen Einwanderers zu ermitteln, welche wir denjenigen unserer Leser zur Erwägung unterbreiten, welche sich für nationalökonomische Fragen interessieren. Jeder Arbeiter ist für ein Land den die Kosten seines Unterhaltes übersteigenden Profit seiner Arbeit wert. Seine Durchschnittskosten betragen für den Arbeitgeber etwa 30 Doll. per Monat oder ungefähr 400 Doll. per Jahr. Man nimmt an, dass der gewöhnliche Gewinn, den man aus einem gewöhnlichen Feldarbeiter ziehen kann, sich auf 15-18 ¾ %; der letzteren Summe beläuft. Daraus würde sich für das Land ein jährlicher Gewinn von 60 Doll. bis 75 Doll. ergeben. Dieser Betrag würde zu sieben Prozent verzinst, gerade so viel als das obige Kapital ergeben, d. h. 1.000-1.100 Doll. für jeden ländlichen Arbeiter.“

„So weit Herr Brace. Ich gebe gern zur dass die von ihm aufgestellten volkswirtschaftlichen Grundsätze, unanfechtbar sind; andererseits aber behaupte ich, dass die Auswanderung eine Ausnahme von der Regel bildet, und dass die Erfahrung die Richtigkeit meiner Behauptungen erwiesen hat. Die Grundlage für meine Angaben und Schätzungen ist folgende:

In einem verhältnismäßig jungen Lande, wie in den Vereinigten Staaten, mit einem ungeheuren Gebiete und der schnellen Entwicklung seiner Hilfsquellen, ist die Nachfrage nach Arbeit immer größer als das Angebot. Allerdings gibt es einzelne Berufe, in welchen das nicht der Fall ist. Ebenso sind während des Winters, besonders in großen Städten, Hunderte und Tausende von Einwanderern oft nicht im Stande, Arbeit oder Lohn für ihre Arbeit zu finden; aber dieses Verhältnis ist selten von langer Dauer. Näherinnen, welche in ihrem Geschäft keine Verwendung finden, wenden sich anderen Berufen zu, werden Dienstmädchen, Wärterinnen usw. Der Charakter der europäischen Arbeiterinnen ist das gerade Gegenteil von dem der amerikanischen. Während diese die Arbeit in einer Fabrik als besser und vornehmer ansehen und sich nur selten zu gewöhnlicher Hausarbeit herablassen, sind jene zufrieden, wenn sie sich überhaupt in irgend einer bescheidenen Sphäre betätigen können.

Indessen will ich gern einräumen, dass von den Einwanderern alljährlich ein paar tausend armer unwissende und arbeitsunfähige Männer und Frauen der Gemeinde zur Last fallen. Hier fragt es sich nun zunächst: In welchem Verhältnis steht ihre Zahl zur Gesamteinwanderung des Jahres? Die New-Yorker Einwanderer-Kommissare haben jährlich etwa 2.000 Arme und Kranke in ihren Anstalten zu unterhalten, und außerdem noch für ein paar hundert Verbrecher zu sorgen, welche auf ihre Kosten in den Stadtgefängnissen untergebracht sind; aber die Gesamtzahl dieser Leute bildet kaum ein Prozent der Gesamteinwanderung. Zudem bleiben die ärmeren Einwanderer meistens in New-York, und es lässt sich schwerlich voraussetzen, dass eine größere Zahl des Restes den anderen Staaten zur Last fällt.

Ich will sogar noch weitergehen und annehmen, dass die Zahl der nicht produzierenden Einwanderer, welche auf öffentliche Kosten ernährt werden müssen, sich auf 5% beläuft. Demnach würden sich, wenn wir die Durchschnittssumme der letzten fünf Jahre als Maßstab nehmen, etwa 12.000 - 13.000 Einwanderer ergeben, welche nichts produzieren. Indessen würde selbst diese hohe Zahl mehr als aufgewogen werden durch diejenigen, welche eine bessere Erziehung genossen haben und deshalb auch mehr wert sind als diejenigen, welche die Grundlage meiner Berechnung bilden.

Die Einwanderung enthält jedoch einen sehr geringen Prozentsatz von hilflosen und arbeitsunfähigen Personen. Abgesehen von dem Gesetze, welches die Landung von Krüppeln, Blinden, Tauben und Greisen (über 60 Jahre) verbieten ist es ein sich ganz von selbst verstehender Erfahrungssatz, dass nur die kräftigen, mutigen und unternehmenden Angehörigen eines Volkes in die Fremde ziehen. Dieser Tatsache entspricht auch die ungleiche Repräsentation der verschiedenen Altersstufen und Geschlechter unter den Einwanderern. Unter der Gesamteinwanderung, welche von 1819-1860 in die Vereinigten Staaten kam, waren mehr als 22% zwischen 1 und 15 Jahren alt; ein wenig über 50% waren von 15 bis 30 Jahren alt, also etwa 73% noch nicht dreißig Jahre alt; 46 ½ % standen zwischen ihrem 20. und 35. Lebensjahre, mehr als 60% zwischen dem 15, und 35, und fast 90% waren noch keine 40 Jahre alt. Nur unter den Kindern sind die Geschlechter ziemlich gleichmäßig vertreten, und von ihnen waren 18% männliche und 17% weibliche, während in dem Alter von 25-40 Jahren die männlichen Einwanderer gerade doppelt so stark an Zahl waren als die weiblichen. Von einer Gesamteinwanderung von 5.449.421, welche von 1819-1860 in den Vereinigten Staaten landeten, ist der Beruf von 2.978.399 Einwanderern einschließlich 2.074.633 Frauen, nicht angegeben, während 1.637.154 als Bauern und Arbeitsleute angeführt sind. So bleiben 843.688 Personen übrig, welche entweder Handwerker waren, oder höheren Berufsklassen angehörten. Es finden sich darunter spezifiziert: 407.524 Handwerker, 4.326 Geistliche, 2.676 Advokaten, 7.109 Ärzte, 2.016 Ingenieure, 2.490 Künstler, 1.528 Lehrer, 3.120 Fabrikanten, 3.882 Kommis und 5.246 Näherinnen und Putzmacherinnen. So unvollständig diese Aufzählung auch sein mag, so beweist sie doch, dass 15% der Einwanderung zu jener Klasse der Bevölkerung gehören, welche mehr als der gewöhnliche Arbeiter produzieren, und dass deshalb die obigen 5% hilfloser und unproduktiver Einwanderer, wenn ihrer überhaupt so viele sind, durch den dreifach größeren Prozentsatz derer aufgewogen werden, welche sich einer größeren mechanischen Geschicklichkeit und geistigen Bildung erfreuen.“ (Seite 147-151.)
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Auswanderung