Über die jüdischen Einwohner in Mecklenburg-Strelitz

Auch in unserm Lande sind in dieser Hinsicht nicht unbedeutende Fortschritte geschehen. Unter den jüdischen Einwohnern desselben treffen wir auf aufgeklärte und achtungswürdige Männer. Wir sehen jüdische Glaubensgenossen im Besitze eines großen Teiles bürgerlicher Rechte, und es ist nicht mehr ganz unerhört, einen Juden als Mitglied einer städtischen Zunft anzutreffen. Eben so deutlich bezeugen offizielle Aktenstücke städtischer Kommunen eine aufgeklärtere Denkart und humanere Gesinnungen wenigstens ihrer leitenden Glieder, und unter einer milden Regierung sehen wir die Fortschritte der Kultur begünstigt, und verehren das Streben, Alles dem schönen Ziele allgemeiner Wohlfahrt entgegen zu leiten. Gleichwohl ist der gegenwärtige Zustand der Juden von dem der übrigen Staatsbürger noch sehr verschieden, wie aus einer kurzen Darstellung und Vergleichung hervorgehen wird.

Die im hiesigen Lande befindlichen oder einheimischen Juden sind entweder mit einem Herzogl. Privilegio, Konzession oder Schutzbrief versehen oder nicht. Die ersteren werden konzessionierte oder Schutzjuden genannt, und haben als solche überhaupt das Recht, an einem gewissen Orte des Laudes mit ihrer Familie einen festen Wohnsitz, sedem fixam zu haben, außerdem aber werden ihnen auch durch den Schutzbrief noch besondere, auf ihre Nahrung und ihr Verkehr sich beziehende, Rechte erteilt. Der Schutzbrief enthält gewöhnlich nur die Zusicherung des landesherrlichen Schutzes, und die Erlaubnis, an einem gewissen Orte wohnen und, daselbst einen gewissen Verkehr treiben zu dürfen; da jedoch ohne solchem kein Jude eine Frau erhält, so ist seine Freiheit, sich zu verheiraten, zugleich an die Erlangung des Schutzbriefes gebunden. Dieser erstreckt sich daher in seinem ganzen Umfange keineswegs mit auf die Erben der Konzessionierten dergestalt, dass auch diese für sich nach Willkür den väterlichen Verkehr treiben und im Lande mit ihrer Familie sich wohnhaft niederlassen dürften, vielmehr bedürfen auch sie hierzu eben sowohl als ihre Eltern, des Schutzbriefes. Dahingegen können, die Kinder hiesiger Schutzjuden, welche eigentlich die Klasse der nichtkonzessionieren einheimischen- Juden ausmachen, nicht nur, wie sich von selbst versteht, sich bei ihren Eltern aufhalten, ihnen bei ihrem Verkehr an die Hand gehen und sich selbst etwas zu erwerben suchen, sondern sie genießen auch gewöhnlich der Freiheit, außerhalb des Hauses ihrer Eltern und nach deren Tode in ihrer Heimat zu wohnen, mit Herzoglichen Pässen versehen zu hausieren u. dgl.; bei der bisher nicht ungewöhnlichen Ansicht der Rechte der Juden und ihres Verhältnisses zum Staat, scheint man aber geneigt, auch diese Freiheit nur als prekär zu betrachten.


Der eigentümliche Nahrungsbetrieb der Juden ist das Hausieren. Es ist ihnen jedoch auch unbenommen, jedes freie, nicht an eine besondere Konzession gebundene, Gewerbe zu treiben, wie sie denn auch zu Nahrungsbelrieben von der letzteren Art häufig die erforderlichen Konzessionen oder Privilegien erhalten. Dahingegen hat man sie bisher in der Regel ausgeschlossen von allen Nahrungszweigen, die zünftig sind; diese Ausschließung ist jedoch ein keineswegs gesetzlich, und scheint in den Fällen, da ein eigentlich zünftiges Handwerk manufaktur- und fabrikmäßig betrieben wird, am leichtesten eine Ausnahme zu leiden. Außerdem ist mir in diesem Lande, nur ein Beispiel eines in eine Zunft — nämlich die Zunft der Müller — aufgenommenen Juden bekannt. Juden sollen zwar überhaupt, nach Maßgabe des L. G. G. Erbvergleichs, §. 377, keine liegenden Gründe eigentümlich an sich bringen. Ob darunter auch die Häuser begriffen sind, scheint bezweifelt werden zu können. So viel ist jedoch gewiss, dass, wenn solche auch dahin gerechnet werden, es in Ansehung derselben, bei jener Bestimmung des L. G. G. E. V. doch nur Zweck war, die Städte zu begünstigen, und mit Zustimmung derselben konnten daher auch Ausnahmen statt finden. Wirklich finden wir die Juden in den Städten nicht selten im eigentümlichen Besitze von Häusern und Grundstücken, und sie müssen in diesem Falle, gleich den christlichen Einwohnern, die darauf haftenden Lasten und Abgaben tragen. Der Erwerb solcher Grundstücke ist ihnen demnach freilich mehr als christlichen Einwohnern erschwert, übrigens aber finden in der Regel bei ihnen nur dieselben Bedingungen in Ansehung des nachzusuchenden Konsenses u. dgl. statt, welchen auch diese unterworfen sind. Die gültige Vererbung der von ihnen rechtmäßig erworbenen Grundstücke kann eben so wenig Zweifeln unterworfen sein, da die Zugestehung des eigentlichen Erwerbes derselben, die Gestattung des Rechts zur Vererbung, als einer Folge des Eigentumsrechtes, in sich schließt, solche auch im Falle des wirklichen Besitzes durch kein Gesetz bei den Juden besonders beschränkt ist.

Die Abgaben der Juden an den Staat bestehen, außer denen, welche sie als Besitzer von Häusern und Grundstücken oder sonst an Zoll- und Steuergeldern mit den Christen gemein haben, in dem Schutzgelde, welches alle Schutzjuden entrichten müssen, und gewöhnlich in 3 bis 5 Rthlr. besteht. Fremde, durch das hiesige Land reisende Juden, sollen nach der Herzoglichen Verordnung von 1717 für ihre Person einen Leibzoll oder Geleitsgeld von 12 ßl. bei der Zollstätte, die sie im Durchreisen berühren, erlegen.

Außer denen an den Staat zu entrichtenden Abgaben, müssen aber die Juden noch ansehnliche Beiträge zu ihrer eigenen Gemeindekasse leisten, die nach dem Verhältnisse des Vermögens eines jeden bestimmt werden, und sich auf 5, 10, 20 und mehrere Thaler jährlich belaufen können.

Die Juden genießen übrigens freie Ausübung ihres Gottesdienstes. Sie haben in Strelitz ihre Synagoge, ihren Rabbiner und andere zu ihrem Gottesdienste gehörige Personen, die von ihnen aus ihrer Gemeindekasse besoldet werden. Zu Besorgung dieser und anderer Gemeindeangelegenheiten haben sie ihre Ältesten und Vorsteher, welche zugleich eine Art bürgerlicher Obrigkeit oder Polizeibehörde für die Juden in Strelitz vorstellen, indem sie diejenigen Juden, welche sich bei ihren Gemeindeeinrichtungen widersetzlich und auflehnend betragen, bestrafen können.

Aus dieser kurzen Darstellung ergeben sich nun, in Ansehung der wichtigsten Verschiedenheit des bisherigen politischen Zustandes der Juden von dem der Christen, folgende Resultate:

a) Wenn man erwägt, dass oft auch christliche Einwohner zu ihrer Verheiratung und zu Erbauung eines festen Wohnsitzes, Behufs eines gewissen Nahrungsbetriebes, um sich, wie man sagt, zu setzen, der Erlaubnis ihrer Obrigkeiten und wohl gar der höchsten Behörde bedürfen, so scheint freilich das Erfordernis eines Schutzbriefes für einheimische Juden in gleichem Falle keinen wesentlichen Unterschied auszumachen. Eines Teils aber kommt hier überhaupt Alles auf die größere oder geringere Schwierigkeit an, welche einheimische Juden bei Erlangung der Schutzbriefe finden, indem dadurch der Unterschied eben sowohl groß und drückend, als wenig fühlbar gemacht werden kann; andern Teils ist man ziemlich allgemein der Meinung, dass einheimische Juden, als solche, eigentlich gar keine Ansprüche auf ihre Niederlassung im Lande haben, wodurch natürlicherweise ihre Aussicht in die Zukunft unsicherer, und die künftige Erlangung eines Schutzbriefes schwieriger und problematischer werden muss.

b) Eine andere bedeutende Verschiedenheit des politischen Zustandes der Juden von dem der Christen, ist die gewöhnliche Ausschließung der ersteren von zünftigen Gewerbearten, und —wenigstens der gesetzlichen Bestimmung zufolge — von dem Erwerb liegender Gründe, wodurch den Juden, wenn sie nicht den Künsten und Wissenschaften sich zu widmen Veranlassung und Gelegenheit haben, wenig andere Erwerbsquellen als Handel und Geldverkehr übrig bleiben. Bei dieser Beschränkung der Quellen, woraus sie sich nähren, ist es natürlich, dass sie selbst von allzu großer Vermehrung ihrer Anzahl an einem Orte, Nachteil empfinden müssen, wenn nicht diese Quellen in eben dem Maße sich vermehren oder erweitern; natürlich, dass hieraus für die Juden manche drückende Lagen entspringen müssen, und dass nur ein hoher Grad von Tätigkeit und Betriebsamkeit sie gegen die Folgen der Verstopfung so vieler Nahrungsquellen einigermaßen zu schützen vermag.

c) Eine dritte, nicht unerhebliche, Verschiedenheit beruht nicht sowohl auf bürgerlichen Einrichtungen, als sie vielmehr aus der öffentlichen Meinung entspringt, auf die politische Lage der Juden aber den nachteiligsten Einfluss hat. Eine gewisse Geringschätzung der Juden als Juden, mithin ohne Rücksicht auf die Individualität und den moralischen Charakter des Einzelnen, ist nämlich unter den christlichen Einwohnern, besonders der niederen Stünde, noch ziemlich allgemein verbreitet, und nur zu oft die Ursache einer Zurücksetzung und einer von dem Betragen, welches man gegen Christen zu beobachten pflegt, sehr abweichenden Behandlung der Juden. Wie oft hört man nicht den Gemeinspruch: der Jude bleibt immer Jude, d. h. ein höchst eigennütziger Mensch, der andere beständig zu übervorteilen sucht, und zu diesem Zwecke- wohl gar List und Betrug nicht scheut! Wie oft muss nicht auch der feiner fühlende, besser gebildete Jude im bürgerlichen und geselligen Leben Zurücksetzung und Ausschließung von solchen Zirkeln erfahren, deren Mitglieder, in Hinsicht auf den Grad ihrer Kultur und Bildung, nicht über ihm stehen! Was ihn von diesen gesellschaftlichen Zirkeln ausschließt, ist nicht sein Gewerbe, seine Hantierung, noch Mangel an geselligen Eigenschaften, es ist allein seine Eigenschaft — oder soll ich sagen sein Stand? - als Jude; bloß als solcher scheint er manchem unter allen Ständen der Christen zu stehen. Es ist nicht zu leugnen, dass es Ausnahmen gibt; aber diese sind selten, und welche Menge von Inkonvenienzen, Unannehmlichkeiten und wirklichen Nachteilen muss nicht für die Juden aus diesem Misstrauen gegen sie, dieser Zurücksetzung ihrer entspringen, die Mühseligkeiten ihres Lebens häufen und ihr Fortkommen erschweren!

Aber ist nicht der größte Teil der Juden an dieser Geringschätzung, diesem Vorurteil gegen sie selbst Schuld? Ist nicht die Meinung, die man von ihnen hegt, wenigstens in Ansehung des größeren Teiles derselben, auf Wahrheit gegründet, und geht nicht eben daraus ein Vorurteil gegen die ganze Klasse sehr natürlich hervor? — Natürlich allerdings, weil nichts gewöhnlicher ist, als das Urteil von vielen auf alle, aber ist ein solches Urteil darum gerecht? Vorsichtigkeit in Beurteilung einer ganzen Klasse von Menschen und vorurteilslose Unterscheidung der Besseren aus derselben ist vielmehr, wie überall, so auch in Beziehung auf die Juden, eine unerlässliche Pflicht, und dies um so mehr, als es an besonderen Beweggründen zu einem schonenden Urteile gegen die Juden nicht fehlt. Freilich ist es nicht zu leugnen, dass ein großer Teil der selben, in Ansehung ihrer sittlichen Bildung, eben nicht in einem vorteilhaften Lichte erscheint. Befremdend kann uns aber dies nicht sein, wenn wir nur nach den Schul- und Erziehungsanstalten der Juden fragen, und entweder gar keine, oder die vorhandenen in einem höchst elenden Zustande finden. Die von Sr. Herzogl. Durchl. landesväterlich beabsichtigte Verbesserung der jüdischen Schule in Strelitz ist, der Bemühungen des zu diesem Zweck ernannten Herzogl. Kommissarien ungeachtet, wegen der, der Ausführung entgegengestandenen, zur Zeit nicht zu besiegen gewesenen Schwierigkeiten, nicht zu Stande gekommen. Die Bildung bei weitem des größten Teiles der jüdischen Jugend ist daher noch immer meistenteils dem Zufalle überlassen, der in der Tat hier wenig geschickt ist, ihr eine gute Richtung zu geben. Ich glaube indessen auch behaupten zu dürfen, dass wenigstens der größere Teil der jüdischen Eltern das Bedürfnis einer bessern Erziehung ihrer Kinder erkennet und fühlt. Zu Einrichtung einer guten Judenschule selbst es aber an dem nötigen Fond, welchen aufzubringen, ihre Kräfte nicht hinreichen, und nur die kleinere Anzahl derselben besitzt Aufklärung genug, um kein Bedenken zu tragen, ihre Kinder dem Unterrichte christlicher Schullehrer anzuvertrauen.

Bei diesem bisherigen gänzlichen Mangel einer zweckmäßigen Erziehung der jüdischen Jugend, ist es denn freilich nicht zu verwundern, wenn man den großen Haufen der Juden in Allem, was außer der Spähre ihrer gewöhnlichen Geistesbeschäftigung liegt und nicht in naher Beziehung auf ihren Erwerbzweig des Schacherns und Handelns steht, höchst Unwissend und von religiösem Aberglauben beherrscht findet. Ein ähnlicher Mangel an Erziehung und zweckmäßigem Schulunterricht zeigt seine traurigen Folgen bei den christlichen Einwohnern des platten Landes in einem nicht minder auffallenden Lichte, und es wird hier sogar noch zum Vorteile der Juden der Unterschied bemerklich, dass diese, vermöge des Verkehrs, zu welchem sie bald angeleitet, und der Reisen, wozu sie deshalb veranlasst werden, bald nach den Jahren der Kindheit, wenn auch nicht viel kenntnisreicher und gebildeter, doch gewandter und klüger erscheinen, wogegen die mehr an ihrem Boden gehefteten Landleute großenteils in ihrer Stupidität verharren oder wohl gar noch tiefer versinken.

Rechnen wir zu dieser schlechten Beschaffenheit des jüdischen Schulunterrichts den Einfluss derjenigen Erwerbsart, welcher sie, durch Beispiel geleitet und gedrängt durch Bedürfnis, sich fast ausschließlich widmen, des Hausierens und Handelns, den Einfluss der Notwendigkeit bei dieser Erwerbsart jeden, auch den kleinsten Vorteil zu ihrem Fortkommen zu benutzen und auf Spekulationen aller Art zu denken; so haben wir unstreitig die Quelle jenes Geistes der Gewinnsucht und des Schacherns, welchen wir bei den gemeinen Juden so häufig antreffen, und der daher Vielen, die oft zufälliges Zusammentreffen mit notwendiger Verknüpfung verwechseln, ein Erbteil und Eigentum dieser Nation scheint. Würden aber die Juden nur durch eine günstigere politische Lage, durch bessere Erziehung und durch mehrere, in ihrer Jugend gesammelte, Kenntnisse in den Stand gesetzt werden, ihren Unterhalt häufiger auf andere Weise, als durch schachern und handeln zu finden, so würde gewiss auch jener gewinnsüchtige Egoismus der übrigens keineswegs bei Juden allein offenbar wird — unter ihnen sich seltener zeigen, und wenigstens nicht mehr als ein auszeichnender Zug in dem Charakters des großen Haufens der Juden erscheinen.

Sehr gute natürliche, nur der Entwicklung bedürfende Anlagen, Lebhaftigkeit des Geistes und Tätigkeitstrieb findet man wirklich bei den meisten Juden, und oft in nicht gemeinem Grade; ohne Zweifel würden, sie daher auch gute Professionisten und Künstler, im weiteren Sinne des Worts, werden. Mag doch immerhin die Hoffnung des Gewinns noch die eigentliche Triebfeder sein, welche, die Juden bei Unternehmungen größerer Art, als der Anlegung, von Fabriken u. dgl. sich, über das Gemeine und Gewöhnliche zu erheben antreibt, so ist doch dabei, wie bei ihrem Verkehr überhaupt, ein reger Trieb der Tätigkeit, die Grundlage aller bürgerlichen Industrie, unverkennbar, und was treibt überall die Menge anders, als Eigennutz? Nur sorgfältige Erziehung und höhere moralische und geistige Bildung allein, können jene Triebfedern durch die Verbindung mit der Vorstellung einer vernünftigen, guten und zweckmäßigen Anwendung des zu hoffenden Gewinnes veredeln, und ihr eine andere, die Freude an der Tätigkeit selbst und an der Schönheit und Zweckmäßigkeit dessen, was durch dieselbe hervorgebracht ist, zugesellen. Die, wie es scheint, nicht gemeine Bildungsfähigkeit der Juden wird übrigens nicht nur in unserm Lande durch mehrere dieser Nation, welche sich von der Menge vorteilhaft auszeichnen und durch einzelne kenntnisreiche Personen bewahrheitet, sondern die weit größere Anzahl solcher Juden in andern, z.B. in den Preußischen Staaten, beweist es noch mehr, dass es nur die Schuld ihrer Erziehung, politischen Lage und Armut ist, wenn der große Haufe der Juden hier noch auf einer niedrigeren Stufe der Kultur steht.