Graf Derby über den englischen Adel.

* Bei Gelegenheit eines Festmahles, welches die amerikanische Handelskammer am 5. Januar 1853 in Liverpool gab, entgegnete der ehemalige Chef des Toryministeriums auf die an ihn gerichtete Anrede Folgendes:

„Die freundliche Aufnahme, die ich heute, nicht zum ersten Male, hier gefunden habe, ist mir ein erfreulicher Beweis, dass ein Staatsmann aus dem Amte abtreten oder vielleicht vertrieben werden kann, ohne im Geringsten die persönliche Achtung und das persönliche Wohlwollen seiner Mitbürger einzubüßen. Ich weiß das Kompliment zu schätzen, welches mir und der Körperschaft (dem Oberhause) gemacht worden ist, über die ich freilich nicht den zehnten Teil des Einflusses ausübe, den der Redner mir zuschreibt. Was mich selbst betrifft, so werde ich Ihnen, was auch Ihr Urtheil über meine öffentliche Laufbahn sein mag, nie Veranlassung geben, meinen Privatcharakter zu verdammen. Aber es sei mir erlaubt, einige Worte über die Körperschaft zu sagen, mit der Sie mich identifiziert haben, deren unwürdiges Mitglied ich bin, und die ich für einen höchst wichtigen Bestandteil unserer monarchischen Institutionen halte. Ich spreche so um so mehr, als ich mich in der Gesellschaft eines Herrn (des amerikanischen Gesandten) befinde, der ein Land vertritt, das zu uns in den freundschaftlichsten Beziehungen steht, in dessen Institutionen aber eine solche Körperschaft nicht Platz hat. Und doch, meine Herren, auch in jenem Lande, in jener Republik, in dem sich reißend entwickelnden und vergrößernden Kaiserreich ohne Kaiser, wie man es bezeichnen könnte, in jener aufsteigenden unermesslichen Republik, hat die Weisheit in Voraussicht ihrer erlauchten Stifter — und größere und weisere Männer sind selten über die Bühne der Geschichte gegangen — es selbst im frischen Rausch des Sieges für notwendig gefunden, eine Schranke aufzurichten zwischen dem Act des Gesetzgebens und dem unmittelbaren Ausdruck des Volkswillens. Es ist wahr, es war kein erblicher Zweig der Legislation da, und, wenn er dagewesen, wäre er mit den ganzen Institutionen unverträglich gewesen. Aber man richtete eine andere Schranke auf, durch Wahl geschaffen, jedoch auf einer anderen Grundlage ruhend und andere Interessen vertretend als der volkstümliche Zweig; und es ist merkwürdig genug, dass die zwei großen Länder, die jetzt die einzige Heimath und Zuflucht der Freiheit sind, zwischen denen bei aller Verschiedenheit der Institutionen and Anschauungen eine so große Übereinstimmung in Grundsätzen, in Recht und Sprache besteht, bei dem Aufbau ihrer Verfassungen gerade von entgegengesetzten Gesichtspunkten ausgegangen sind. Bei uns sind Recht und Freiheit des Volks langsam gewachsen. Wir begannen von dem andern Ende der Leiter, von fast unbegrenzter monarchischer Gewalt, aristokratischer und feudaler Gewalt. In kleinen Schritten hat das Volksrecht, gleichmäßig mit der Bildung wachsend, den Sieg gewonnen, das gebührende Übergewicht erlangt, und einen Zustand begründet, von dem man mit Recht sagen darf, dass kein Staat der Welt, selbst Amerika nicht ausgenommen, ein größeres Maß vernünftiger Freiheit gewährt als unser Vaterland. Wir haben die Macht der Krone und des Adels soweit beschränkt, dass sie die Fähigkeit des Angriffs und alle beleidigenden Privilegien verloren und nur soviel Einfluss behalten haben, um die Staatsmaschine im stetigem Gange zu erhalten und die unaufhörlichen und plötzlichen Schwankungen zu verhüten, welche durch die ungehemmte Wirkung des unmittelbaren Volkswillens entstehen möchten. Die Entwickelung der amerikanischen Republik nahm den entgegengesetzten Ausgangspunkt. Rechtsbruch — ich zögere nicht das Wort zu gebrauchen — führte zum Widerstände, Widerstand führte zur Revolution, Revolution zu dem vollen Genuss und vollen Erfolge des Volksrechtes und des volkstümlichen Prinzips; und im ersten Rausch des Sieges hielten die weitblickenden Staatsmänner jener Tage ein Gegengewicht gegen den Volkswillen für notwendig. Meine Herren, gewiss lässt sich viel gegen das erbliche Prinzip und namentlich gegen erbliche Gesetzgeber sagen. Ich bin weit entfernt zu behaupten, dass alle Mitglieder des Oberhauses Musterbilder von Gesetzgebern sind und von den Bildungsmitteln, die ihnen zu Gebote stehen, reichlichen Gebrauch machen. Aber es ist ebenso gewiss, dass die erbliche Kammer, wie sie bei uns besteht, gewisse Vorteile gewährt und ein wichtiges Glied in der Kette unserer Institutionen ist. Es ist wohl etwas wert, dass die Söhne der Pairs ihre Jugend, anstatt in Nichtstun und Torheit, mit Vorbereitungen für den Staatsdienst hinbringen und ihre Laufbahn nicht mit dem Eintritt in eine exklusive Körperschaft, sondern damit beginnen, dass sie sich um die Stimme des Volkes für einen Sitz im Unterhause bewerben, und wenn sie später in das Oberhaus eintreten, Kenntnisse, Anschauungen und Sympathien mitbringen, die sie in keiner andern Schule so erwerben können wie in einer aus Volkswahl hervorgegangenen Versammlung. Es ist ein mächtiger Antrieb, zu wissen, dass Jeder durch Auszeichnung im Heere, in der Justiz, in Handel und Gewerbe eine bevorzugte Stellung gewinnen kann, die auf seine Erben übergeht. Bei uns ist der hohe Adel nicht, wie in andern Ländern, eine exklusive Kaste, durch eine unausfüllbare Kluft von der Masse des Volkes getrennt. Es gibt Länder, in denen Adel und Bürgerstand so getrennt sind, dass sie von Geschlecht zu Geschlecht in demselben Lande leben, ohne irgend einen Zusammenhang, in getrennten Gesellschaftskreisen, und unfähig die Schranke zu überspringen, die sie trennt. Bei uns ergänzt und erfrischt das Oberhaus sich fortwährend mit volkstümlichen Elementen, nimmt unaufhörlich neues Blut auf, während wenigstens in der zweiten (Generation die jüngeren Söhne des hohen Adels sich in dem Bürgerstande verlieren. Lassen sie mich als Beispiele die drei Fälle von Erhebungen zur Pairie anführen, die während der letzten 10 Monate vorgekommen sind, die einzigen drei, zu denen ich der Krone geraten habe: Lord Hardinge, ausgezeichnet durch seine Leistungen im Felde; Stratford Canning, hervorgegangen aus einer ganz jungen Familie, einen so berühmten Namen er auch trägt; der dritte, Sohn eines kleinen Krämers in Lewes, jetzt Lord Leonards, den zum Vorsitzenden des Oberhauses berufen zu haben, mir stets eine Quelle der Befriedigung sein wird. — —



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.