Die großen und kleinen Barone.

Die ständischen Verhältnisse des mittelalterlichen Adels bestimmen sich zunächst durch die Teilnahme an den Landesversammlungen. Da in der angelsächsischen Zeit keine erbliche Teilnahme an der Witenagemote vorkommt, so ergibt sich, dass es vor der Eroberung in England noch keinen Geburtsadel gab, wie auch durch anderweitige Untersuchungen feststeht.

Der Anlage nach besteht das normannische Parlament aus Kronvasallen (tenentes in capite), nur Kronvasallen und allen Kronvasallen. So bezeichnen es alle Zeitgenossen; Jahrhunderte lang ist von der Einladung Aller Kronvasallen die Rede, und noch unter Heinrich III. finden sich Spuren, dass auch einfache Ritter daran Teil nahmen.


Um diese Zeit tritt nun aber ein Geburtsadel in die Verfassung, in Verbindung mit der Unterscheidung der barones. majores und minores, welche den Schlüssel für die englischen Standesverhältnisse ergibt, zugleich aber Veranlassung vielfacher Zweifel und Streitigkeiten bei Selden, Maddox, Hallam u. A. geworden ist.

Thatsache ist es, dass von Anfang an außer den Prälaten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von weltlichen Großen regelmäßig erschien. Alle Staatsurkunden sind nur von einer kleineren Zahl unterschrieben, höchstens von zwanzig und einigen. Es ist damit ähnlich wie mit der angelsächsischen Landesversammlung, die dem Namen nach alle Freieigentümer umfasste, während nur die größeren Königsthane wirklich regelmäßig erschienen. Der Aufwand der Hoffeste, welcher den kleineren Besitzer neben dem großen, mit einem glänzenden Gefolge auftretenden Herrn in den Schatten stellte, die verschiedene Aufmerksamkeit, welche man Beiden erwies, Entfernung und Zeitverlust, machte das persönliche Erscheinen mehr zu einer Last als zu einer Ehre; um so mehr, als sich das Gewicht der Stimme des kleinen Besitzers mit der wachsenden Ungleichheit des Besitzes verlor. Diese Erscheinung wiederholt sich in allen angelsächsischen Versammlungen, auch in den Grafschafts-, selbst in den Hundredversammlungen. Ihr zu Grunde liegt ein allgemeines soziales Gesetz, welches bei dem normannischen Parlament in verstärktem Maße wiederkehrt. Hier lag von Anfang an ein bestimmter Grund der Unterscheidung teils in den persönlichen Verhältnissen, teils im Besitz, teils in der Art der Berufung.

1) In den persönlichen Verhältnissen war von Anfang an ein Unterschied gegeben zwischen den Führern des erobernden Heeres, den Offizieren der Lehnsarmee, und den einfachen Mannen des Königs; die Heeresordnung selbst erhielt diesen Unterschied.

2) In den Verhältnissen zum Gut lag von Anfang an ein sichtbarer Unterschied vor zwischen Mannen, denen nur einzelne Höfe verliehen waren, und solchen, deren Verleihungen Güterkomplexe, Herrschaften, bildeten. Dazu hatte man vorzugsweise die konfiszierten Besitzungen der angelsächsischen Großen verwendet, die gegen Ende der sächsischen Zeit schon ein zusammenhängendes Ganze mit gewissen Hoheitsrechten bildeten; die normannischen Herren succedirten in diese Rechte. In Verbindung damit stand der Gebrauch, das Anfallsgeld, relevium, von solchen Herrschaften im Ganzen zu erheben, während es sonst von den einzelnen Ritterlehnen erhoben wurde. Die Besitzunterschiede waren hier überhaupt mehr sichtbar und bestimmter messbar durch das große von dem Eroberer angelegte Kataster.

3) Von Anfang an war daher auch verschieden die Aufmerksamkeit, welche man den großen Herren erwies, deren normannische Prunksucht mit einem fast königlichen Gefolge auftrat, welches die kleineren Mannen nachzuahmen außer Stande waren. Schon das Auftreten dieser Herren mit ihrem glänzenden Gefolge stellte den kleinen knappenlosen Ritter in den Schatten, und wies ihm eine bescheidene Stellung an, aus welcher nur die besondere Gunst des Königs ihn erheben konnte. Er war überhaupt nicht im Stande, die Mittel einer häufigen Berufung zum Parlament und die Kosten der Hoffeste zu bestreiten, sah sich zurückgesetzt, blieb daher bald weg und gern weg, und mit der Regelmäßigkeit der Teilnahme hörte ein wirksamer Einfluss auf die Beschlüsse von selbst auf. Die Könige mussten daher die angelsächsische Sitze fortsetzen, durch schriftliche Einladungen oder Befehle die mächtigen Barone und überhaupt Diejenigen, an deren Erscheinen ihnen Etwas lag, besonders zu zitieren; während man das Ausbleiben der Übrigen ignorierte. Recht und Pflicht sind hier untrennbar; der nicht regelmäßig Kommende erschien daher in der Versammlung als ein fremdartiges Element. Die allgemeine Einladung aller Mannen wurde also schon frühzeitig zu einer bloßen Formsache.

Aus dem Zusammentreffen dieser Umstände hat sich im Laufe des 12. Jahrhunderts das Herkommen gebildet, welches die Magna Charta anerkannt mit den Worten:

„ — faciemus summoneri archiepiscopos, abbates, comites et majores barones regni, sigillatim per litteras nostras, et praeterea faciemus summoneri in generali per vicecomites et balivos nostros omnes alios, qui in capite tenent de nobis.“

Das faktisch Gewöhnliche ist hier zum Recht geworden, — in einer Weise, in welcher alle Standesrechte entstehen. Mit der Magna Charta war nun aber auch der Gesetzesbuchstabe gegeben, auf welchen man sich nötigenfalls berufen konnte. Als daher Heinrich III. 1225 ein Parlament nach Westminster berief, und verschiedene Barone abwesend waren, weigerten sich die Anwesenden, die Geschäfte zu erledigen „sine paribus suis absentibus.“ — Hier ist offenbar ein vollendetes Standesrecht vorhanden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.