Die Magna Charta (1215).

Hervorgegangen aus einem Aufstand der Barone gegen die schlechte Regierung Johann’s enthält sie eine zweiseitige Anerkennung der wichtigsten Punkte des öffentlichen Rechts:

1) Die zahlreichsten Artikel betreffen die Lehnsbeschwerden über Vormundschaft, Verheiratung der Erbinnen und Betrag der Lehnsabgaben. Wichtig darunter ist die Zusicherung, dass die außerordentlichen Hilfsgelder, aids, nicht mehr nach Willkür der Krone in fingierten Notfällen erhoben werden sollen, sondern nur mit Konsens des Parlaments. Außerdem wird das Recht der großen Barone, persönlich und schriftlich durch Writ mit vierzigtägiger Frist zum Parlament berufen zu werden, verfassungsmäßig zugesichert.


2) verlangen die Barone mit dem Lord-Mayor die feierliche Anerkennung der angelsächsischen Gesetze, d. h. die Garantie der Freiheitsrechte, welche die alte Grafschaftsverfassung bilden. Zugesichert war dies unzählige Male: die jetzige Zusicherung aber, von den normannischen Großen selbst gefordert, nimmt den Charakter einer gegenseitigen Garantie an, — einer Zusicherung, für die der normannische Adel den Sachsen, und diese jenem einstehen.

In diesem Sinne garantiert die Magna Charta den alten Bestand der germanischen Grundrechte, vor Allem die persönliche Freiheit, geschützt durch genossenschaftliche Gemeindegerichte gegen willkürliche Verhaftungen und Bestrafungen; die Freiheit des Eigentums, garantiert durch eben diese Gerichte gegen willkürliche Konfiskation:

Nullus liber homo capiatur ncc imprisonetur, nee de liberis bonis suis destruatur, nisi per legale judicium parium suorum vel per legem terrae.

3) Die dritte Klasse betrifft gemeinsame Beschwerden gegen die Zentralverwaltung, namentlich die Verkäuflichkeit der Justiz; daher der Artikel:

Nulli negabimus, nulli vendemus justitiam vel rectum; so wie die Abhilfe der Beschwerden gegen die Forstverwaltung, die nachträglich in einer eigenen Charte zusammengefasst wurden.

4) Den Schluss macht endlich die feierliche Sanktion gegen Überschreitungen des Königtums.

Was sich darin auf die normannischen Lehnsbarone bezog, ist später abgestorben mit der Lehnsverfassung selbst. Was aber lebendig geblieben bis heute, das ist die Zusicherung der sächsischen Gemeindeverfassung und ihrer Gemeindegerichte, und deshalb ist sie noch heute der Grundstein der englischen Freiheit. „Alles später Erlangte,“ sagt Hallam, „ist wenig mehr, als Bestätigung, Commentar dazu, und wenn alle späteren Gesetze weggenommen wären, so würden noch immer zurückbleiben jene kühnen Grundstriche, welche eine freie von einer despotischen Monarchie unterscheiden.“ Hallam M. A. II. 177.

Wie sehr die Engländer auf verbriefte und klare Rechte halten, ergibt sich schon diese Magna Charta. Abschriften derselben sollten an alle Cathedralkirchen gesandt, zweimal jährlich dem Volke vorgelesen, und Anathema und Excommunication Allen gedroht sein, welche durch Wort oder Tat dagegen handeln würden. Bis zu den Zeiten Heinrichs VI. ist sie sodann zwei und dreißig Mal durch eben so viele besondere Acte bestätigt worden.

Das für uns so fremdartige Recht des bewaffneten Widerstandes, welches dem Buchstaben nach noch in der heutigen englischen Verfassung dasteht, ist nur Anerkennung der vertragsmäßigen Natur der Lehnstreue. Während aber bis dahin jeder einzelne Baron in England wie auf dem Kontinent sich selbst als Richter über die Frage betrachtete, ob der Lehnsherr den Pakt gebrochen habe; während bis dahin jeder einzelne Große sich berechtigt glaubte, bei geringfügiger Veranlassung loszuschlagen, das Land zu verwüsten und in Verwirrung zu setzen: so ist darauf nunmehr stillschweigend verzichtet. Die Barone in ihrer Gesamtheit sollen fortan die Richter darüber sein, ob der König seinen Pakt gebrochen habe; es wird ein geregeltes Verfahren dafür vorgeschrieben, und zwar mit Zuziehung der Gemeinen. Die Fehden des Königtums mit dem Einzelnen sollen damit aufhören; nur die Gesamtheit der beiden Nationalitäten und der beiden großen Klassen des Volks sind als Gesamtheit widerstandsberechtigt. Der Einzelne, der gegen den Herrn zu den Waffen greif, tut es auf seine Gefahr, wenn die Gesamtheit den Schritt missbilligt

Noch immer hat die daraus entstandene Verfassung also eine Vertragsnatur. Das Wichtige aber, was ihre Entstehung und wiederholte Bestätigung in dem Bewusstsein des englischen Volks lebendig erhielt, war das Gefühl der Gemeinsamkeit der Interessen und der Rechte aller Klassen des Volks. Sie war Jahrhunderte lang ein laut redendes Zeugnis für die praktische Wahrheit, dass alle Freiheitsrechte zunächst Rechte sind für die Geltung und Würde der besitzenden Klassen; dass aber der Adel keine Rechte und Freiheiten haben kann ohne gleiche Garantie für die Rechte der schwächeren Klassen; — der erste praktische Beweis, wie die Freiheit nur bestehen kann durch die Mäßigung und den Gemeinsinn, nicht aber durch die engherzige Absonderung der höheren Klassen.

Der weitere Fortschritt ist sodann:


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.