Die Hochverratsgesetzgebung.

Das Königtum konnte seiner großartigen Aufgabe natürlich nur genügen, indem es sich gegen die Selbstsucht und Gewalttätigkeit der Großen auf eine materielle Macht stützte. Sein Domainenbesitz reichte dazu nicht aus. Die angelsächsischen Könige mussten sich durch große Geschenke und Hoffeste ihre Großthane geneigt machen, und verloren sichtlich ihren Einfluss, seitdem sie wenig Geschenke und Ländereien mehr zu verteilen hatten. Wilhelm der Eroberer hatte sich diese Macht geschaffen durch die Stellung seiner Prälaten. Indem er kluger Weise die Absonderung der Prälaten von den Baronen in zwei verschiedene Curien nicht aufkommen lies, war dem Königtum für gerechte Vorschläge eine Majorität im Parlament ziemlich gesichert. Das Stimmverhältnis der Prälaten und Lords ergibt sich aus der Schrift von Ch. H. Parry: „The Parliaments and Councils of England chron. arranged from Will. I. to 1688. London 1839.“ pag. XVII. sqq. Es wurden danach geladen zu dem Parlament:

49 Henry III. 120 Prälaten, 23 Barone,
23 Edw. I. 77 Prälaten 63 Barone,
23 Edw. I. sess 2. 90 Prälaten 50 Barone,
24 Edw. I. 91 Prälaten 43 Barone,
27 Edw. I. 58 Prälaten 90 Barone,
28 Edw. III. 102 Prälaten 89 Barone,


Von Heinrich IV. bis Heinrich VI. überhaupt durchschnittlich die doppelte Zahl von Prälaten.

Dies große Übergewicht der Kirche hatte nun aber in anderer Beziehung seine Bedenken, seitdem die Konflikte des Königtums mit der kirchlichen Macht begannen. Außerdem lies sich die Kirche immer mehr durch die Adelsinteressen influenziiren. Das Königtum musste sich daher auf die Sympathieen der großen angelsächsischen Bevölkerung stützen, und den bisher unvertretenen Klassen zu einer Stelle im Parlament verhelfen. Aus der sächsischen Grafschaftsverfassung heraus, mit dem altgermanischen Prinzip der Repräsentation im Gegensatz des Lehnswesens, setzt sich also ein neuer Bestandteil an das Parlament an, das Unterhaus. In der Bedrängnis eines von Neuem ausgebrochenen Bürgerkrieges berufen beide Teile, der König wie die Barone, Repräsentanten der Grafschaften und einzelner Städte zu einer berathenden Versammlung, mit welcher 1265 das Haus der Gemeinen seinen Anfang nimmt.

Eine verfassungsmäßige Stellung kam diesen Repräsentanten in dem Lehnsparlament nicht zu: sie konnten solche nur erhalten durch das Königtum. Da nämlich dem König das Veto zustand, so hing es nur von ihm ab, zu erklären, dass er seine Genehmigung zu den Parlamentsbeschlüssen nur erteilen werde auf Antrag der Gemeinen. Eine Erklärung in diesem Sinne hat schon einmal Eduard III. abgegeben; ausdrücklich und allgemein erfolgte sie unter Richard II. Auf diesem formellen Wege wurde aus dem ursprünglichen Petitionsrecht der Gemeinen ein Recht der Zustimmung. Durch das Königtum also wurde das Unterhaus allmälig zu einem integrierenden, gleichberechtigten Bestandteil des Parlaments erhoben. Das Königtum stand jetzt zwischen zwei rivalisierenden Systemen des Besitzes, welche durch das Ober- und Unterhaus vertreten waren: und von diesem Augenblicke an ist die Notwendigkeit einer selbstständigen Stellung des Königtums zum klaren Bewusstsein gekommen. Von da an datiert in England der Name und der Begriff der königlichen Prärogative. Es war unmöglich, dem Unterhause zu seiner Geltung zu verhelfen, so lange das Königtum durch das legale Widerstandsrecht der vereinten Barone fortwährend bedroht wurde. Die Magna Charta hatte das Widerstandsrecht selbst der Einzelnen nicht kategorisch aufgehoben. So sandte noch Heinrich III. einmal einen förmlichen Absagebrief an Wilhelm, den Grafen Marschall, und umgekehrt wurde er gegen Ende seiner Regierung von den Baronen mit Fehde überzogen. Vor der Schlacht von Lewes senden die conföderirten Barone eine Botschaft an den König, und versprechen ihm Treue und Gehorsam, und klagen nur über seine Umgebung. Der König in seiner Antwort dagegen nimmt die Partei seiner Freunde, und erklärt alle ihre Feinde außer seiner Protektion; die Barone auf seiner Seite erklären die Gegner für Lügner und verzichten auf jedes Treuhand und Freundschaft mit ihnen. Diese Antwort des Königs wird eine littera diffiduciationis genannt, und nach Empfang des Absagebriefs schreiten die Conföderirten zur Schlacht.

Noch merkwürdiger ist der Absagebrief bei der Absetzung Eduards II. Vor dem König erscheint Sir William Trussell „als Bevollmächtigter der geistlichen und weltlichen Lords und Anderer“ und in ihrem Namen und kraft ihres Vollmachtsauftrags verzichtet er und zieht zurück den Huldigungs- und Treueid gegen Eduard als König von England und erklärt seine Constituenten frei und ledig von solcher Huldigung und Treue für die Zukunft in bester Weise, wie sie Gesetz und Herkommen gewähre, und fügt den Protest hinzu, dass sie fortan nicht zu erachten seien in seiner Treue oder Untertanenpflicht und kein Lehn von ihm besäßen als König, sondern ihn zu betrachten hätten als Privatperson, entkleidet der königlichen Würde.

Schon einmal früher war Eduard II. aus einer ähnlichen Lage nur durch die bewaffnete Unterstützung der Gemeinen befreit worden.

Aus diesen Verhältnissen musste sich die Ansicht entwickeln, dass das Königtum eines verstärkten Rechtsschutzes bedürfe, und dass es sich bei einer Auflehnung gegen den König um ganz andere Interessen handle, als bei einem einfachen Absagebrief unter zwei kampflustigen Grundbesitzern. Schon früher war die Auflehnung gegen den König tatsächlich härter geahndet worden als ein „größerer Verrat.“ Die Entscheidung hing jedoch von der konkreten Beurteilung des genossenschaftlichen Gerichts ab. Erst jetzt bildet sich aber der technische Begriff und Name des Hochverrats, High treason, welcher eine veränderte Auffassung in der rechtlichen Stellung des Königtums bezeichnet. Dem Zeitgeist entsprechend geschah dies Anfangs tumultuarisch, wie bei der barbarischen Bestrafung des Fürsten David von Wales 1283. Unter Eduard III. wurde der neunzigjährige Graf de Spenser als Verräter aufgehangen, ihm noch lebendig die Eingeweide aus dem Leibe gerissen, sein Leichnam in Stücke geschnitten und den Hunden vorgeworfen, — bis ein Gesetz 25 Edw. III. c. 2. dem neuen Rechtsbegriff die gesetzliche Sanktion erteilte, und ihn zugleich nach der andern Seite gegen Willkür und Barbarei begrenzte.

Die brutale Grausamkeit dabei in einzelnen Fällen gehört dem Zeitgeist an. Übrigens ist jenes Hochverratsgesetz des gesegneten Parlaments einer der wichtigsten Akte für die Ausbildung der englischen Verfassung. Es liegt dabei im Hintergrunde die Einsicht, dass jenes mittelalterliche Widerstands- und Fehderecht mit einem geordneten Staatsleben unvereinbar sei. Sollte insbesondere das Unterhaus eine verfassungsmäßige Stelle im Staate erhalten, so konnten die Barone des Oberhauses weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit ein Recht beanspruchen, welches im Endresultat die Selbstständigkeit der Krone aufhob. Es liegt darin ein bedeutender Fortschritt der Staatsidee, und mittelbar eine Vorbedingung für die steigende Macht des Unterhauses.

Hand in Hand mit der Unterdrückung des Fehderechts gegen den König geht die völlige Unterdrückung der Privatfehde, an der die herrschenden Klassen des Mittelalters so lange festhielten. Noch Bracton kennt die Privatfehde als einen rechtlichen Begriff. Fleta wiederholt fast dieselben Worte. Bei Britton ist sie schon mit Stillschweigen übergangen. Unter Eduard III. wird sie als ein Eingriff in die königliche Gewalt behandelt, und in dem Gesetz über den Hochverrat nach Umständen für Felonie oder Übertretung erklärt. Bracton II c. 35. §. 57. 79b. Fleta III. c. 16. §. 16. Britton, c. 68. 25 Edw. III. st. 5. c. 3. §. 113. Allen a. a. O. 121. 122. Noch viele Menschenalter hatten jedoch die verbesserten Gerichte gegen die alte Unsitte zu kämpfen, und noch am 10. August 1470 kommt ein vereinzeltes Beispiel einer Privatschlacht vor, in welcher Viscount Lisle mit 150 Mann blieb.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.