Die Bedeutung des Besitzes für die parlamentarischen Verfassungen.

Die Hauptschrift über diesen Gegenstand ist:
L. Stein, der Begriff der Gesellschaft und die Gesetze ihrer Bewegung. Einleitung zur Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich. 1. Band. 1850.

Wegen des Mangels an Einsicht in die gesellschaftlichen Grundlagen des Staats sind allerdings die politischen Erörterungen der Gegenwart zum großen Teil unfruchtbar. Die deutsche Bildung wird indessen diesen Mangel sicherlich bald heben. Da in dem Beamtenstaat die Ansprüche und Interessen der einzelnen gesellschaftlichen Klassen sich nicht geschlossen geltend machen können, so war bisher für uns keine Gelegenheit, diese Gegensätze zum Bewusstsein zu bringen.


In England sind die Verfassungskämpfe seit den Stuarts, praktisch betrachtet, Kämpfe zwischen dem Besitz und dem Beamtensystem gewesen. Allerdings haben auch diese „freien“ Verfassungen ein ausgebildetes Beamtensystem; allein die obrigkeitlichen Ämter selbst sind nur in den Händen der herrschenden Klasse, und das Prinzip der Verantwortlichkeit unterwirft jeden Beamten der konzentrierten Gewalt der Gentry im Parlament, welches in der englischen Verfassung zugleich das höchste Reichsgericht für die verantwortlichen Beamten bildet

Politische Freiheit heißt Herrschaft der Gentry über das Beamtentum; Unfreiheit Herrschaft des Beamtentums über die Gentry: das ist der feste Sprachgebrauch des heutigen Organs der englischen Gentry, der Times.

Der Engländer ist zu praktisch, um sich eine Monarchie denken zu können, von welcher unsere Idealisten träumen, in welcher ein erleuchteter Regent wirklich den Staat verwaltete. Absolute Monarchie ist vielmehr der reine Beamtenstaat in welchem durch das feste traditionelle Verwaltungssystem und durch den Corporationsgeist des Beamtentums (meistens verwachsen mit sozialen Vorzügen einzelner Klassen) der Regent in seinem persönlichen Willen oft mehr gebunden ist, als durch das mächtigste Parlament. Die, Bezeichnung „formelle Spitze eines Systems,“ im guten wie im schlimmen Sinne, gehört ebensowohl dem Beamtenstaat, wie der parlamentarischen Verfassung an. England hat daher der Diplomatie des Kontinents gegenüber nachdrücklich die Behauptung festgehalten, dass seine Könige so souverain seien, wie irgend ein Monarch der Erde; und es hat darin die Erfahrung für sich. In der entscheidenden Periode, als es auf ein persönliches Eingreifen des Regenten ankam, in dem Jahrhundert der Tudors, war das Königtum in England allmächtig, trotz seiner Parlamente; während m Frankreich das Königtum durch den absoluten Beamtenstaat im entscheidenden Augenblick neutralisiert und ohnmächtig war, trotz des redlichen Willens Ludwigs XVI.

Die hier gegebene Untersuchung hat übrigens nur den ausdrücklich und wiederholt ausgesprochenen Zweck, nachzuweisen: unter welchen Bedingungen der Mäßigung, der Gerechtigkeit und des Gemeinsinns innerhalb der besitzenden Klassen freie Verfassungen entstehen und bestehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.