Der Treueid und das Recht des bewaffneten Widerstandes.



Man pflegt jetzt oft das Mittelalter mit seiner Lehnstreue darzustellen als die ideale Zeit der Treue gegen das Königtum. Diese Auffassung ist historisch falsch. Die Geschichte des Mittelalters ist eine Kette von Verrat und Treubruch; es ist eine Zeit der Unsittlichkeit und des Materialismus, verglichen mit der Gesittung unserer Generation. Das Wort Treue bezeichnet im Mittelalter den militairischen Gehorsam; es ist die erste Form der Unterwerfung des Einzelwillens unter eine staatliche Ordnung. Die angelsächsische Zeit kennt nur eine schuldige Treue gegen den Brodherrn, Hlaford, keinen allgemeinen Treueid der Untertanen gegen den König. Das Mittelalter ist noch nicht über den Gedanken der Vertragsnatur dieses Verhältnisses hinaus: so dass der Bruch des Vertrages von Seiten des Herrn auch den Mann seines Treueides entbindet. Der König ist nur oberster Hlaford, und drückt die Gegenseitigkeit seines Verhältnisses durch den Schwur aus, den er bei der Krönung leistet Die angelsächsischen Treueide sind daher bedingt gefasst:


„Ich will treu und wahrhaftig sein dem N., und lieben Alles, was er liebt, und meiden Alles, was er meidet, gemäß den Gesetzen Gottes und der Menschen, und niemals mit Willen und Wissen, mit Wort oder Tat Etwas thun, was ihm missfällig ist, unter der Bedingung, dass er mich halte, wie ich Willens bin zu verdienen, und Alles das erfülle, was unter uns vereinbart wurde, als ich mich ihm unterwarf und seinen Willen wählte.“

Auch wo diese bedingte Fassung fehlt, wurde doch in den genossenschaftlichen Gerichten der Treueid so beurteilt. Eine Andeutung der sächsischen Chronik bei Gelegenheit des Kampfes zwischen Eduard dem Bekenner und Graf Godwin ergibt, dass man die Mannen des Letzteren durch ihren Eid auch gegen den König für gebunden erachtete. Noch das Bechtsbuch des Glanvilla lehrt IX. c 1.: „Mutua debet esse domini et homagii fidelitatis conuexio, ita quod quantum homo debet domino ex homagio, tantum illi dobei dominus ex dominio, praeter solam reverentiam.“ Vergl. Bracton II. c 85. §. 2. und Fleta III. c 16. §. 20.

Ein Gesetz Wilhelms d. Eroberers III. 2. verpflichtet jeden freien Mann in seinen Besitzungen den Eid der Treue dem König persönlich zu leisten, ohne Vorbehalt oder Qualifikation; und gegen Ende seiner Regierung nötigt er alle Landbesitzer, ihm Treue zu schwören gegen alle Personen ohne Ausnahme. In dem Rechtsbuch des Glanvilla 9. Cup. 1. ist es daher ein feststehendes Prinzip, dass in jedem Treueide gegen einen Untertanen der Vasall ausnehmen müsse die schuldige Treue gegen den König und dessen Erben.

Immer aber blieb die Anwendung dieser Grundsätze der gemeinen Rechtsansicht in den genossenschaftlichen Gerichten überlassen, und diese hielt daran fest, dass der Treueid seinem Ursprünge nach bedingt sei, gegründet auf Vertrag und auf die Grundlage gegenseitiger Dienste und Verpflichtungen; dass also der Bruch des Vertrages von einer Seite den andern Teil von seiner Verbindlichkeit entbinde. Alle militärische Subordination auch der normannischen Zeit hat nur diesen Charakter, alle Lehnsverfassungen drücken dies entweder wörtlich aus, oder gestalten sich so in ihrer Handhabung. Dies ist denn auch der Grund der außerordentlichen Müde, mit welcher die überwundenen rebellischen Barone jener Zeit behandelt wurden; während man ihre Leute und ihre Besatzungen niederhieb.

Nur die Persönlichkeit des Regenten konnte solche Verfassungen zusammenhalten; und unter der unglücklichen Regierung des milden Stephan kam unter dem Vorwand eines Streits um die Thronfolge der wirkliche Charakter einer bloßen Militärverfassung zum Vorschein, in welcher jeder bewaffnete Grundbesitzer bei passender Gelegenheit den Gehorsam kündigt. „In dieses Königs Zeiten,“ sagt die gleichzeitige sächsische Chronik, „war Alles Zwietracht und Uebelthun und Raub; denn gegen ihn standen die Reichen (d. h. Grossen) auf, die Verräther waren, und als sie fanden, er sei ein milder Mann und sanft und gut, und halte kein Gericht, da thaten sie alle Wunder. Sie huldigten ihm und schworen ihm, aber sie hielten kein Treu und Glauben, und waren alle meineidig und machten sich Nichts aus ihrem Wort, denn jeglicher reiche Mann hatte seine Burgen, und sie trotzten ihm darin, und das Land ward von denen Vesten angefüllt; sie schunden gar grausam die armen Leute im Lande mit Frohnen, dass sie die Burgen bauten, und da die Burgen standen, so füllten sie solche mit Teufeln und übeln Männern; da nahmen sie die Leute, von denen sie meinten, sie haben Gut und Geld, bei Tag und bei Nacht, Bauern und Bäuerinnen, und warfen sie ins Gefängniss für ihr Gold und Silber, und folterten sie mit unsäglichen Qualen, und litt nie ein Märtyrer solche Pein, als sie; einige hängten sie auf bei den Füssen und räucherten sie mit bösartigem Rauch; andere hängten sie auf an dem Daumen oder an dem Kopf, und hingen Panzerhemden an ihre Füsse; einigen banden sie Seile um den Kopf und drehten so lange daran, bis sie in das Hirn eindrangen; andere warfen sie in Kerker, wo Ottern und Schlangen und Kröten waren, und tödteten sie so; andere steckten sie in einen Kasten, der kurz und enge und nicht tief war, und thaten scharfe Steine darein, und wenn der Mann darein gezwängt war, so hatte er alle seine Gliedmassen gebrochen. Viele Tausende liessen sie verhungern. Sie legten immer mehr Bussen (Steuern) auf die Städte, und als die armen Leute Nichts mehr zu geben hatten, plünderten und verbrannten sie die Städte, so dass man einen Tag lang hätte gehen können und hätte nicht gefunden, wo noch ein Mann in einer Stadt oder auf einem angeblümten Felde sesshaft gewesen wäre. — Hernach schonten sie weder Kirche noch Kirchhof, sondern nahmen alles Gut, das darinnen war, und verbrannten dann die Kirche und alles miteinander; noch schonten sie Bischofs noch Abts noch Priesters Land, sondern plünderten Mönche und Geistlichkeit und jeglichen andern Mann, so etwas galt — — Solches und mehr als wir sagen könnten, mussten wir 19 Winter lang büssen um unserer Sünden willen.“

Wilhelm von Neuburg sagt von dieser Zeit: Erant in Anglia quodammodo tot reges, vel potius tyranni, quot domini castellorum.

Endlich kam der Vergleich über die Thronfolge zwischen Stephan und dem Herzog von der Normandie, dem spätem König Heinrich II., zu Stande, und ein Hauptartikel desselben war: dass alle Burgen, die seit den Zeiten Heinrichs I. errichtet waren, geschleift werden sollten. Die Zahl derselben belief sich auf 126 (nach Andern auf 375, ja sogar auf 1115), die wirklich zum großen Teil niedergerissen wurden.

Man begreift den Jubel, mit welchem nach solchen Zuständen das Volk die unbestrittene Thronfolge Heinrichs II. begrüßte, und das freundliche Einvernehmen, welches unter der langen kräftigen Regierung dieses Monarchen zwischen dem Königtum und der angelsächsischen Bevölkerung stattfand — trotz einzelner Härten und willkürlichen Handlungen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.