Berliner Verkehr (1926)

Bezüglich dem berliner Verkehr steht an jeder Ecke ein Mann, der müllert
und hält alle Autos und Kinderwägen und Invaliden auf Rollen an.

Weiße Handschuhe heben sich, Lampen blinken, Signale blitzen,
während gelangweilte Fahrgäste in den Wagen sitzen,
auch haben wir leuchtende Schildkröten, bitte sehr -
und das einzige, das uns noch fehlt, ist der Verkehr.


Aber wo nichts ist, haben nur S. M. der Kaiser das Recht verloren,
nicht aber wir deutschen Organisatoren -
denn ist auch unser Wagenpark noch so klein:
organisiert muß sein.

Es läßt uns nicht ruhen.
Und genau so, wie wir dies tun,
wie wir den nicht vorhandenen Verkehr in Klein-Rülpsig und Groß-Berlin befestigen und organisieren,
regieren
wir im ganzen Lande umher.
Das deutsche Leben gehört dem Aktenverkehr.

Wir organisieren Kleinkinder-Gärten und das Groß-Hamburger Hafenlogis,
den Radiumverbrauch auf dem Lande, den Weinbau in Ostpreußen sowie
Aufzucht von Ammen und Seidenraupen im Spreewald, auch desgleichen
den Wohnungsbau und die Reform der Aktenzeichen.

Sinn hat unser Tun keinen, in allen Fällen.
Wir sind so, wie wir uns die Amerikaner vorstellen.
Wir sind nicht mehr Posen, noch nicht Amerika,
sondern stehen inmitten
beider in emsiger Leere da,
halten den Verkehr auf und uns für sehr fortgeschritten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Tucholsky, Kurt 1890-1935 Gedichte und Lieder