Tropische Kraefte - Erneuerbare Energien

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 22. 1927
Autor: Diplomingenieur Dr. H. Schütze, Erscheinungsjahr: 1927

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wasserkraft, Windkraft, Kraftquellen, Kohle, Ebbe, Flut, Meereswogen, Wärmevorrat der Meere, Wasserdampf, Dampfturbinen, Kraftwerk, Erdwärme, Kohlensäure,
Ursprünglich wurde nur die Kraft des Menschen zur Arbeit herangezogen. Da dies die teuerste Arbeitskraft ist, die es gibt, konnte man sie sich nur so lange leisten, als die Natur beinahe freiwillig alles hergab, was der Mensch zum Leben brauchte. Später zog man das Tier als billigere Arbeitskraft heran. Dann fand man die anspruchslosere Hilfskraft des fliehenden Wassers und des Windes.

Heute hat uns die Entwicklung dahin gebracht, dass wir uns das Leben ohne die Hilfe von Kraftmaschinen aller Art kaum noch vorstellen können. Die Zahl der Pferdestärken oder, besser gesagt, Kilowattstunden ist geradezu ein Maß für den Reichtum eines Landes geworden. Sie nimmt mit Riesenschritten zu, und wir fragen uns, was werden soll, wenn einmal die wichtigste Kraftquelle, die Kohle, ihr Ende erreicht. Wir treiben Raubbau mit diesem Schatz, den die Sonne in Jahrmillionen geschaffen hat.

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Wasserkräfte sind nicht überall vorhanden, außerdem könnten alle verfügbaren Wasserkräfte zusammengenommen, alle Wasserfälle, Staubecken und Ströme, technisch ausgenützt, doch nur einen kleinen Teil der Kraft liefern, die wir jetzt allein aus den Kohlen gewinnen. Angesichts dessen ist die Technik bestrebt, die Kohlen zu strecken und zu veredeln. Wir verbrauchen alle möglichen Brennöle und wissen, dass sie uns noch viel eher ausgehen werden als die Kohle. Wir suchen die Kraft des Windes uns dienstbar zu machen; wir bemühen uns um die Ausnützung der ständigen Bewegung des Weltmeeres in Ebbe und Flut. Ja, es sind Maschinen ersonnen worden, die den Meereswogen die brechende Kraft entziehen und sie in den Dienst der Menschheit stellen.

Aber alles wird nicht ausreichen!

Da kommt nun etwas ganz Neues, Aufsehenerregendes: ein vollkommen unerschöpflicher, über alle Maßen reicher Schatz von Arbeitskraft ist aufgespeichert in den Tiefen der tropischen Meere! Diesen Schatz hat die Sonne aufgespeichert, und sie ergänzt ihn tagaus, tagein in unermüdlicher Strahlung.

Es handelt sich um den Wärmevorrat des Meeres. Schon lange weiß man, wie aus Wärme Arbeit gewonnen werden kann. Alber dem Kesselfeuer erhitzt man das Wasser und lässt den Dampf Maschinen treiben. Nun soll die Sonne selbst das Geschäft der Feuerung übernehmen. Das erscheint schwierig, denn wenn wir Wasser im Dampfkessel zum Sieden bringen wollen, müssen wir es in der Regel weit über 100 Grad erhitzen, während die Sonne das tropische Meer nur auf rund 24 Grad erwärmt.

Was tut man da? Da es ohne Wasserdampf nicht geht, muss man eben das Wasser von 24 Grad zum Kochen bringen. Das könnte man so machen, dass man das warme Meereswasser in Dampfkessel leitet, es darin erhitzt und verdampft. Dann käme man immerhin billiger dazu, als wenn man kaltes Wasser in den Kessel geleitet hätte. Die moderne Technik begnügt sich aber damit nicht. Sie will die ganze Feuerung sparen und will Dampf aus dem warmen Wasser gewinnen, ohne es noch mehr zu erhitzen. Wie ist das möglich?

Nun, wenn man's richtig anfängt, dann kann man Wasser auch schon bei 24 Grad zum Kochen bringen; die Natur selbst zeigt uns den Weg. Bei 100 Grad kocht nämlich das Wasser nur in der Ebene. Im Gebirge siedet es schon bei 90 Grad in 3.000 Meter Höhe. In Bergländern braucht nun
das Fleisch lange, um gar zu werden. Man hilft sich dadurch, dass man die Kochtöpfe fest verschließt. Dann steigt die Temperatur des Wassers von selbst auf 100 Grad und darüber. Wenn man Wasser in einem fest verschlossenen Topf heiß macht, dann kann man sogar erreichen, dass das Wasser erst bei 200 oder 300 Grad kocht. Das liegt am Druck, der in dem geschlossenen Gefäß entsteht, wenn es erhitzt wird. Umgekehrt siedet Wasser schon bei 20 oder 30 Grad, wenn der Druck zum Beispiel durch eine Luftpumpe stark verkleinert wird. Bringt man Wasser in ein verschließbares Gefäß, aus dem man die Luft herauspumpt, so kommt es auch ohne Feuerung zum Kochen. Das tropische Meerwasser von 24 Grad lässt sich auf diese Weise leicht verdampfen; und den so gewonnenen Wasserdampf will man benützen, um Dampfturbinen anzutreiben.

Die Einrichtung, mit deren Hilfe die Brauchbarkeit des Verfahrens bewiesen wurde, besteht aus einem Behälter mit Wasser von 24 Grad, das heißt also mit tropischem Meerwasser. Von diesem Behälter führt ein Rohr in ein Gefäß, in dem sich ein kleines Turbinenrad befindet. Das Turbinenrad ist mit einer kleinen Dynamomaschine und diese wieder mit kleinen Glühlampen verbunden. Auf dem Boden des Gefäßes befindet sich Eis. Ein Rohr führt zur Luftpumpe.

Die Luftpumpe wird in Tätigkeit gesetzt; sobald sie das Gefäß genügend luftleer gemacht hat, beginnt das Wasser von 24 Grad in dem Behälter zu sieden. Es steigen Blasen auf; es entsteht Wasserdampf, der durch das Rohr strömt und an das Turbinenrad gelangt. Er setzt das Rad in Bewegung und hat dann seine Pflicht getan. Ja, er ist sogar im Wege, und man muss dafür sorgen, dass er verschwindet. Zu diesem Zweck befindet sich das Eis in dem Gefäß. Der Dampf kühlt sich daran so stark ab, dass er sich als Wasser niederschlägt. Das Turbinenrad treibt nun die Dynamomaschine, die elektrischen Strom liefert und die Glühlampe leuchten lässt. Das dauert natürlich nur so lange, wie das Wasser kocht. Es kühlt sich aber im Laufe der Zeit ab, und sobald es nur noch weniger als 20 Grad warm ist, hört das Kochen auf. Außerdem schmilzt auch das Eis in dem zweiten Gefäß, so dass sich der Dampf nicht mehr niederschlagen kann. Die Turbine arbeitet eben nur so lange, als ein Temperaturunterschied von etwa 20 Grad zwischen beiden Gefäßen besteht.

Man braucht also einen Temperaturunterschied von rund 20 Grad, und diesen erhält man von der Natur geschenkt. Wir sagten schon, dass das Wasser der tropischen Meere 24 Grad hat; aber nur an der Oberfläche bis in einigen Metern Tiefe. Geht man dagegen auf tausend Meter in das Meer hinunter, so kommt man auf Wasser von 4 Grad, hat also die 20 Grad Unterschied gewonnen. Dieses Kühlwasser aus tausend Meter Tiefe dient an Stelle des Eises zum Niederschlagen des Wasserdampfes, nachdem er seine Arbeit in der Turbine geleistet hat. Man holt es in einem gut isolierten langen Rohr empor und braucht dabei gar nicht sehr viel zu pumpen, denn das Wasser steigt von selbst in die Höhe, bis es nahezu die Oberfläche des Meeres erreicht hat. Man muss es nur in Bewegung setzen, damit immer neues Wasser aus der Tiefe emporsteigt und neue Kühlung bringt.

Unsere Abbildung zeigt, wie sich die Erfinder eine solche Anlage denken. Das Kraftwerk, in dem sich die Dampfturbine und die Dynamomaschine befinden, schwimmt auf dem Meer und ist mit langen Ketten, die von Schwimmern aus Stahlblech gehalten werden, fest verankert. Das Wasser von 24 Grad ist immer vorhanden und strömt von der Oberfläche des Meeres zu. Das Kühlwasser kommt durch das senkrecht in die Tiefe geführte Rohr herauf. Man hat also warmes und kaltes Wasser beieinander. Das warme Wasser bildet den Dampf, der die Maschinen treibt, und das kalte Wasser kühlt ihn ab, damit er wieder zu Wasser wird. Denn wenn das nicht geschieht, sind bald alle Behälter voll von Wasserdampf, und es kann sich kein neuer mehr bilden, um die Turbinen zu treiben. Auch darf man den Dampf
nicht einfach in die freie Luft ablassen. Er würde nicht einmal ins Freie gehen, sondern die Luft würde in die Behälter eindringen, und dann wäre es aus mit dem Betrieb.

Große Wassermengen sind nötig, damit bei den tropischen Kraftwerken etwas herauskommt, aber warmes und kaltes Wasser ist in unerschöpflicher Menge vorhanden. Man hat berechnet, dass eine Anlage, die in jeder Sekunde tausend Kubikmeter heißes und eben so viel kaltes Wasser durchströmt, rund eine halbe Million Pferdestärken liefert, wobei die Arbeit für das Wasserpumpen schon abgerechnet ist. Ein solches Kraftwerk genügt für den Bedarf einer Großstadt; es kann zum Beispiel zehn Millionen elektrische Glühlampen mit Strom versorgen. Ein solches Werk hätte nur einen Durchmesser von 180 Meter, und da es längst Schiffe von 200 und mehr Metern Länge gibt, so kann die moderne Technik eine schwimmende Anlage dieser Größe ohne weiteres bauen und sturmsicher einrichten. Man denkt sogar daran, das Werk nicht über, sondern einige Meter unter dem Wasser schwimmen zu lassen, weil es dann von den Meereswogen nicht erreicht werden kann.

Der Nutzen des Kraftwerkes liegt in erster Linie darin, dass es elektrischen Strom liefert, mit dem man Städte beleuchten und Fabriken versorgen kann. Außerdem aber bringt es den Tropen Kühlung, und das ist sehr willkommen. Das Tiefenwasser hat seine Arbeit getan, sobald es das Kraftwerk durchflossen und den Wasserdampf abgekühlt hat. Dabei erwärmt es sich von 4 Grad auf 8 Grad und ist für tropische Verhältnisse immer noch außerordentlich kalt. Man schickt es durch wärmedichte Rohrleitungen aufs Land und benutzt es zum Kühlen der Wohnungen und Nahrungsmittel. Dadurch könnten die tropischen Länder zu vollkommenen Siedlungsgebieten werden.

Das Weltmeer ist ungeheuer groß und bietet Platz für tausend und abertausend von tropischen Kraftwerken, ohne dass deren Betrieb auf die Temperatur des warmen Wassers merklichen Einfluss hätte. Unerschöpflich ist der Vorrat von Arbeitskraft, und nur aus diesem Grunde möchte man bedauern, dass wir fern von den tropischen Meeren leben und auch keinen Kolonialanteil an ihnen haben. Glücklicherweise sind wir aber auch in der Lage, in nördlichen Breiten ähnliches zu schaffen. Wir müssen es nur umgekehrt machen; oben kalt und unten warm, der Vorgang ist an sich der gleiche. Die Wärme holen wir aus der Tiefe der Erde, die mit je hundert Meter um 3 Grad steigt. Wir legen tausend Meter tiefe Rohrleitungen an, durch die wir Wasser treiben. Dabei erwärmt es sich auf etwa 25 bis 30 Grad und kommt 24 Grad warm oben an. Das kühle Wasser liefert dagegen die Nordsee in Deutschland oder das Eismeer im Nordland. Man wird deshalb solche Kraftwerke nicht allzu weit von der Küste anlegen.

Ob es bei uns einmal solche Werke geben wird, ist noch ungewiss, denn sowohl die Anlagen als auch der Betrieb werden viel teurer als bei den tropischen Meereskraftwerken. Man braucht tausend Meter tiefe Schächte, die gar nicht billig sind, und man muss nicht nur das Kühlwasser, sondern auch das warme Wasser aus der Tiefe holen und pumpen.

Der Leser, der uns bis hier gefolgt ist, denkt an die Phantasien Jules Vernes, die er als Junge gierig verschlungen hat, und lächelt ungläubig. Er merkt auf das große Aber, das nun kommen soll. Es kommt aber keins, denn die Pläne sind ernst gemeint, und hinter ihnen stehen keine Phantasten, sondern bedeutende Forscher, nämlich die Franzosen Claude und Boucherot. Verbessert wurden die Arbeiten durch den deutschen Wasserkraftingenieur Dr. Bräuer, der als Betriebsstoff nicht Wasser selbst, sondern nur seine Wärme verwenden will. Die Turbine soll nach seinen Entwürfen mit gasförmiger Kohlensäure getrieben werden. Der große Vorzug dieser Neuerung beruht darin, dass die Kohlensäure bedeutend höheren Druck liefert und man, um dasselbe zu erreichen, mit viel kleineren Maschinen auskommen kann. Die Verwirklichung der tropischen Kraftwerke muss die Zukunft bringen. Wir wollen hoffen, dass sie dazu beitragen werden, das Los der Menschheit zu verbessern.

Grafik: Das schwimmende Großkraftwerk der Zukunft (Scherl)

Grafik: Ein schwimmendes Kraftwerk, das in einer Meerestiefe von tausend Meter verankert ist.
In der Mitte die Zuleitungsröhre für das kalte Wasser. (Scherl)

Das schwimmende Großkraftwerk der Zukunft - Scherl

Das schwimmende Großkraftwerk der Zukunft - Scherl

Ein schwimmendes Kraftwerk das in einer Meerestiefe von tausend Meter verankert ist

Ein schwimmendes Kraftwerk das in einer Meerestiefe von tausend Meter verankert ist