019. Der Mönch in Ketten, und die nächtliche Wehklage.

An der Stelle der heutigen Fronfeste zu Hildburghausen stand früher ein Zeughaus. Tort erschien allnächtlich ein Mönch mit langwallendem Barte und in aschgrauer Kutte. Er keuchte langsam des Weges daher, schwer beladen mit einer Last von Ketten und seufzte unaussprechlich. So büßte er ein sündenvolles Leben, und musste also wandern, bis er jemand fand, der ihm die Ketten abnahm. Dieses muss ohne Zweifel geschehen sein, da sich dieser Spuk in unsern Zeiten nicht mehr hören noch sehen lässt. In einer Nacht rief der Wächter zu Hildburghausen die Mitternachtsstunde ab, und schritt die Gasse hinauf, die beim Rathaus auf die Marktgasse führt. Da hörte der Mann hinter sich her ein klägliches Wimmern und schneidende Klagetöne und einen schlurfenden Schritt, und als das kein Ende nahm, blieb er an der Ecke stehen, und leuchtete die Gestalt an. Er erblickte mit Grauen ein uraltes, völlig in sich zusammengebücktes und gedrücktes Weiblein in graue Lacken gehüllt und mit einem spinnenwebfarbigen Gesicht, das barmte noch einmal auf das herzbrechendste, und dann zerfloss es vor seinen Augen, wie ein grauer Nebel. Der Nachtwächter dachte sich wohl, dass das kein gutes Zeichen sein möchte, und behielt die Sache für sich, sagte niemand etwas davon. In der nächstfolgenden Nacht, als derselbe Mann wieder die nämliche Straße ging und an die Stelle kam, an welcher er zuerst das Gewimmer und Gewinsel vernommen, sah er aus einem Haufe schwarze Rauchwolken heftig in die Höhe steigen und gleich darauf schlug eine helle Flammenlohe aus dem Dache. Rasch wuchs die wilde Glut, und obschon der Nachtwächter sogleich Feuer rief und tutete, so währte es doch lange, ehe genügende Hülfe kam, weil die Menschen im ersten Schlafe lagen, indes das Feuer immer weiter um sich griff, und eine Reihe Häuser bald zu gleicher Zeit brannten, und es setzte sich die Glut fort bis an jene Ecke, an der die nächtliche Wehklage verschwunden war, da stand das Feuer, wie gebannt, und fraß nicht weiter.

Solches Gespenst der Wehklage kennt man auch in andern Städten Thüringens, so namentlich in Weimar, wo auch ein gespenstiges Klageweib wimmernd und sich jammervoll gebärdend durch die Straßen geht, wenn es brennen will, oder der Stadt sonst, ein Unglück droht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Thüringer Sagenbuch