013. Der Stelzener Heilbrunnen.

Ganz nahe bei der Kirche von Stelzen entspringt in einer anmutigen, von mehreren hohen Lindenbäumen beschatteten Grotte eine frische Quelle, welche in alter Zeit als Heilbrunnen weit und breit berühmt war. Einem Kranken in der Nähe von Würzburg war die heilige Jungfrau im Traume erschienen, und hatte ihn nach jener Quelle gewiesen, aus welcher trinkend er Genesung schöpfte. Da nun dieser Kranke ein reicher Mann war, so erbaute er neben die Quelle ein Kapellchen, und nannte es Mariahilf, und nun kamen Kranke, absonderlich Lahme und Gichtbrüchige, von nah und ferne her, und suchten hier ihr Heil, und fanden es auch, denn die mit Krücken und auf Stelzbeinen gekommen waren, konnten ohne solche den Heilort verlassen, und hingen zum dankbaren Andenken und Wahrzeichen jene in dem Kirchlein auf, daher das Dorf, das sich nach und nach in der Quellnähe anbaute, den Namen Stelzen erhielt. Das dauerte eine lange Zeit und jedermann durfte das heilende Wasser umsonst trinken, bis der Geldteufel des Eigennutzes in die Bauern fuhr, und sie dachten, die Kranken könnten ja das Wasser bezahlen. Aus war es alsbald mit der Wunderkraft, das Nasser der Quelle sprudelte zwar fort und fort, aber es heilte nicht mehr, und statt dass wie ehedem alljährlich 300 bis 500 Grafen, Ritter und Herren, ohngerechnet das gemeine Volk, nach Stelzen gewallet waren, und in der Kapelle reichliche Spenden geopfert, kam bald keine Seele mehr. Aber selbst als die alte Kapelle einer spätem Pfarrkirche Raum gegeben hatte, fanden sich auf dem Boden der letzteren noch bis zum Jahre 1830 alte Stelzen, die von den Genesenen zurückgelassen worden waren. Im Altare der Kirche, so ging die Sage, sollte ein goldenes Hirschgeweih verborgen sein, allein selbiges hat sich nicht finden lassen. Im Übrigen war die Kirche reich an Gut und Lehnschaften, und das Gehölz des Bleß, eines hohen Waldberges, gehörte ihr zu. Dieses Gehölz vornehmlich wird als das bezeichnet, in welchem die nächtliche Säge oder die Zwergensäge arbeitet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Thüringer Sagenbuch