001. Frau Holle in Eisfeld.

Mythischer Zauber umfließt, wie so viele Stromquellen, auch die Quellen der Werra. Aus frühen Vorzeittagen haftet noch gar mancher Nachhall an Örtlichkeiten, an Gebräuchen, an alten Namen, und dauernd und unaustilgbar erhalten sich die überkommenen Kunden, wenn auch die vorgeschrittene Kultur der Waldbewohner sie nicht mehr glaubt. Es handelt sich ja bei sagenhaften Überlieferungen im Volksmunde überhaupt gar nicht darum, dass das Volk an deren wirkliches Geschehensein glaube, und wird ihm dies von niemand angesonnen werden können, sondern darum, dass es sich dieselben als etwas, was die Urvater und Urmütter einander erzählten, wieder und immer wieder sagt. Das ist das einfache Wesen der Sage.

Götter und Dämonen haben einzig nur in Sagen der Nachwelt ihre Spuren und die Erinnerung an ihren Kult hinterlassen.


Die Stadt Eisfeld, in deren Nähe die Werraquellen aus dem Schoße thüringischer Berge zu Tage rinnen, soll uralten Ursprunges sein. „As-Feld" wird sie noch immer im Volksmunde geheißen, und alte urkundliche Überlieferungen legen des Ortsnamens früheste Rechtschreibung als Asifeld offen dar. Wenn sich nun auch nicht mit unumstößlicher Gewissheit eine Verwandtschaft dieses Orts Namens mit den Asen, den Gottheiten der heidnisch-germanischen Frühe, — behaupten lässt, so erinnert doch der Name an dieselben. As hieß Gott, und vorzugsweise wurde Thor, oder Donar mit diesem Namen bezeichnet; so konnte gar wohl eine den Vätern heilige Stätte, an der sich allmählich Ansiedler niederließen, ein Gottesfeld heißen, wie ja ein zweites Gottesfeld, nur wenige Wegstunden von Eisfeld entfernt, noch bis heute diesen Namen führt. Es ist dasselbe Gottesfeld (auch Gothes- und Godesfeld geschrieben) über den Tälern der Finster-Erlau und der Weser, auf dem der Sage nach eine ob ihres gottlosen Wesens verwünschte und versunkene große Stadt gestanden haben soll. Alle diese Sagen von Verwünschung und vom Versunkensein verschiedener Städte, Dörfer, Burgen, Kirchen und Klöster deuten weit hinauf in die mythische Frühzeit. Thor ist der Donnergott der altnordischen Mythe, ein wunderbarer Hammer ward ihm zugeteilt, mit dem er nach den ihm feindlichen Riesen wirst. Aber gerade die Riesensage mit ihrem Hammerwerfen ist in der Eisfelder Gegend völlig heimisch. Als bedeutendste Erscheinung weiblicher mythischen Wesen tritt unbedingt in ganz Thüringen und Hessen die Holda, Hulda, Frau Holle im Voigtland Frau Berthe oder Perchta), auf, und ein eigentümlicher Brauch, der auf dieselbe Bezug hat, hat in Eisfeld ihren Namen verewigt. Am heiligen Dreikönigstage, demselben, an welchem die Perchta mit ihrem Heimchenheere, dem Huldevolke der nordischen Mythe, und die Perchtl in Tirol mit dem Seelenheere der ungetauft gestorbenen Kinder zieht, ward alljährlich zu Eisfeld die Frau Holle verbrannt. Die Sage vom Ursprunge dieses jedenfalls altheidnischen Feuerkults am Julfeste wurde aber fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein Nonnenkloster habe in Eisfeld gestanden, dessen Äbtissin, Juliane genannt, habe sich fleischlich vergangen und zwar mit dem bösen Feinde selbst, sei zweier Kindlein auf einmal genesen, und darauf zur Strafe solcher Teufelsbuhlschaft samt den beiden Kindern verbrannt worden. Zum Gedächtnis dieser Sühne zog später Alt und Jung am Epiphaniassonntage nach beendigtem Nachmittagsgottesdienste mit Musik auf den Markt, sang ein geistliches Lied und rief sich dann scherzhaft einander zu: Frau Holle wird verbrannt. Nun war aber zu Eisfeld nie ein Kloster, und der Ursprung jenes Brauches reicht weit über die Klosterzellen hinaus.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Thüringer Sagenbuch