Den ersten Unterricht im Lesen und Schreiben

Den ersten Unterricht im Lesen und Schreiben erhielt Theodor von seinem Vater. Da aber dieser durch seine Kanzleiarbeiten sich bald verhindert sah, einer solchen Beschäftigung mit dem Sohne die erforderliche Zeit zu widmen, so übergab er ihn einem Lehrer, welcher auf eigene Gefahr hin und ohne beaufsichtigende Behörde eine sogenannte Klippschule hielt, wie es deren in Neustrelitz damals mehrere gab. Der Schulhalter war zugleich Musikus in der fürstlichen Kapelle, seine pädagogische Bildung ganz nach dem damaligen Zuschnitt. Von einem Pestalozzi hatte er erst ganz fern munkeln hören, und was ihm für die geistige Bildung seiner Schüler an gründlicher und zweckmäßiger Methode mangelte, das suchte er in moralischer Beziehung durch eine strenge Disziplin zu ersetzen. Das zur Zeit des siebenjährigen Krieges zur vollsten Blüte entwickelte Fuchtelregiment hatte von Preußen her seinen glorreichen Einzug auch in Mecklenburg gehalten. Im bürgerlichen wie im militärischen Leben hatte es sich festgesetzt und schnell eine erst in unserer jüngsten Zeit wieder begreiflich gewordene Anerkennung erworben: wie hätte es sich nicht auch über das Schulwesen ausdehnen sollen? — Da musste denn der arme Theodor wiederum an eigener Haut recht derbe Erfahrungen machen. Mit dem Lesen zwar ging's vortrefflich — das hatte er schon bei seinem Vater wunderrasch wie ein Spiel gelernt —; auch mit dem Rechnen ging's nicht übel; aber wenn er schon von dem langsamen und feierlichen Schreiben nicht viel wissen wollte, so war ihm das Auswendiglernen und Hersagen des Katechismus vollends zuwider. Er habe sich, sagte er noch in spätern Jahren, nur zu oft gar nichts Rechtes dabei denken können; gewisse Vorstellungen seien an gewissen Stellen allerdings in ihm aufgetaucht, und zwar recht lebendige; aber die seien dann ihm selbst lächerlich oder widerwärtig oder gar gottlos vorgekommen. Dazu kam sein ungemein lebhaftes und reizbares Temperament, eine prickelnde Ungeduld bei langweiligen Gegenständen, und was vielleicht das Schlimmste war, der nur zu erklärliche Mangel an Ordnung und Pünktlichkeit. Hatte er nun seinen Katechismus nicht wörtlich und genau nach der Aufgabe erlernt, so musste er auf Erbsen oder Steinchen, welche letztern er mühsam und traurig an den Gestaden des nahen Fließbachbruches aufgesammelt hatte, an der Pforte des Schulzimmers niederknien und eine große, mit metallenen Beschlägen und Klammern versehene Bibel über dem Kopfe halten. Damit nicht genug. Nach Verlauf dieser „Züchtigung in der Barbarei“ wurde ihm mit Hilfe eines kräftigen Kommilitonen die Weste gesträmmt, und er musste seinen Buckel einer genau bestimmten Anzahl von Rutenhieben darbieten, und damit er sich ja eine rechte Verbissenheit angewöhne, möglichst der Drohung Gehör geben: wenn er seinen Schmerz verlauten lasse, so werde er die Zahl der Hiebe noch vermehrt fühlen. Die Ruthen hatte überdies der Sträfling eigenhändig in einem herzoglichen Gehölze, der Schlosskoppel, vorher zu schneiden und zuzurichten.

Wurden so Leib und Seele allerdings eigentümlich abgehärtet, so suchte der Lehrer der hierdurch zugleich anwachsenden Rohheit der Pflegebefohlenen auf nicht minder eigentümliche Weise, nicht sowohl durch lange moralisierende Reden als durch eine kurze praktische Verfügung entgegenzuwirken und bei den oft der Reihe nach unter allgemeinem Toben Gezüchtigten die für das residenzliche Fein- und Gebücktleben einst unentbehrliche Höflichkeit auszubilden. So oft er nämlich im bunten, mit den Blumen der Hoffnung und der Freude durchwirkten Schlafrock, den Szepter der Meisterschaft in der Rechten, das Lehrbuch in der Linken, die getürmte, betroddelte Schlafmütze auf dem Haupte, ein sehr kunstgerecht produziertes Niesen in die dumpfe Schulluft hinausgeschleudert hatte, musste das gesamte Schülerpersonal a tempo aufspringen und unisono ein zwar vernehmliches, doch demütiges: „Herr, Sie haben genieset!“ bei tiefer Verbeugung erschallen lassen. Der also Geehrte zog nun freilich mit vornehmer Herablassung die saubere Troddelmütze und sprach: „ich danke für die gütige Bemerkung;“ doch ging eine solche Haupt- und Staatsaktion selten vorüber, ohne dass dabei einige unbereite Zungen und zaudernde Rücken durch doppeltes Erlernen und Hersagen oder auch wohl durch außerordentliche Szepterhiebe zu rascherer Höflichkeitspflege angeleitet wurden. Zu diesen gehörte denn nicht am seltensten der unkultivierte und von einem natürlichen Widerwillen gegen alle Dressur erfüllte Sohn Schreibmüllers, wie Theodor vulgo genannt wurde.


So war in Betreff der persönlichen Behandlung und der damit verbundenen Gemüthsstimmung der arme Knabe auch hier nicht besser dran als im elterlichen Hause. Glücklicherweise aber hatte er es im Lesen, Schreiben, Rechnen und Katechismus-Hersagen, welches Alles mit lärmendem Wetteifer unter unablässigem Fortrücken zum Primus und wieder hinab bis zum Ulx (Ultimus) betrieben wurde, im zwölften Lebensjahre so weit gebracht, dass er nach längerer Behauptung der vordersten Klippschulbank in die öffentliche, sogenannte große Schule vorrückte.