Rede im Makkabäerklub. 1896

(LONDON, 6. JULI 1896.)

Meine Herren!


Seit ich zum letzten Male die Ehre hatte, vor Ihnen zu sprechen, hat die Judensache Fortschritte gemacht. Ich werde Ihnen heute hier nicht alles sagen können, weil gerade die wichtigsten Dinge, welche vorgekommen sind, eine äußerst delikate Behandlung erfordern. Aber ich habe drei Männern, die von Ihnen geachtet werden, vertrauliche Aufschlüsse gegeben. Diese drei Männer sind Oberst Goldsmid, Sir Samuel Montagu und Reverend Singer. Was ich also nur andeuten kann oder geradezu verschweigen muss, steht unter der moralischen Garantie dieser drei Männer.

Als einen nicht geringen Fortschritt glaube ich es ansehen zu dürfen, daß der Plan der Errichtung eines Judenstaates von regierenden Persönlichkeiten in durchaus ernster Weise mit mir diskutiert worden ist. Das wird manche überraschen, die vor einigen Monaten mit ungemein ironischem Lächeln auf mich und meine verrückte Idee herabzusehen beliebten. Gelächter, Geschrei, Beschimpfungen und Verdächtigungen begleiten jede menschliche Idee auf ihrem Schmerzensweg. Daran hat es auch in diesem Falle nicht gefehlt. Die Hauptsache ist, daß wir unbekümmert weitergehen.

Als ich mein kleines Buch vom Judenstaat schrieb, glaubte ich besonders schlau zu sein, indem ich ajle Einwände vorwegzunehmen versuchte. Das hat aber nichts genützt. Alle Einwände, die ich schon in meiner Schrift logisch zu widerlegen versucht hatte, wurden dennoch vorgebracht, ohne Rücksicht auf meine antizipative Widerlegung. Bemerken Sie: meine Gründe wurden nicht bekämpft, sondern nicht beachtet. Viele Menschen lesen in einem Buche nicht, was darin steht, sondern was sie hineinlegen. Und gar diejenigen, die nur den Titel kennen! Die waren in ihrem Urteil am erbittersten. Der Judenstaat! Welcher Wahnwitz! Oder soll man sagen: Dummheit? Oder ist es nicht noch eher der Spaß eines Humoristen, der einmal die Welt recht herzlich lachen machen möchte — auf Kosten seines eigenen unglücklichen Volkes?

Die abfälligen Bemerkungen waren gar nicht zu zähleil. Manche habe ich aufbewahrt, und sie werden einmal ein schönes Denkmal für ihre Verfasser bilden, wenn der Judenstaat entstehen sollte. Was meine Philosophie zu einer heiteren machte, war der Umstand, daß die Kritiker sich gegenseitig noch schärfer widersprachen als mir. Ich stand mit meiner Schrift sozusagen in der Mitte. Der eine erklärte mich für einen törichten Optimisten, der andere für einen angstvollen Pessimisten. Bald war der Plan ein Traum in Wolken, bald eine raffinierte Geschäftssache. Die Völker, unter denen wir zerstreut leben, wären froh, wenn wir gingen, aber wir würden nicht gehen. Nein, erklärte ein anderer ebenso bestimmt, man würde uns nicht ziehen lassen, obwohl wir gerne zögen. Natürlich hat man sich auch mit meiner Person beschäftigt, und die Behauptung war verbreitet, daß ich König oder Minister im Judenstaat werden wolle, während vielen eine andere Ansicht einleuchtete: daß ich auf einen jüdischen Posten im Auslande reflektiere, etwa auf den eines Botschafters in Wien. On ne peut pas contenter tout le monde et son pere.

Glauben Sie aber darum nicht, daß ich mich rechthaberisch an jedes Wort klammere, das in meiner Broschüre steht. Es ist ein politischer Gedanke, und in der Politik muss man sich oft von der Nützlichkeit leiten lassen — selbstverständlich unter Festhaltung des Zieles.

Ich habe mich vielfach über meine Irrtümer belehren lassen. In dem Plane sind wichtige Änderungen eingetreten, welche die praktische Durchführung fordert. Ich wollte ja nur eine Anregung geben, wie man dem tiefen, alten Elend unseres Volkes vielleicht abhelfen könnte. Aber meine Irrtümer wurden unserer Sache nützlich. Viele sinnreiche Köpfe arbeiten mit, indem sie meine Fehler berichtigten. Durch Wort und Schrift wurde der Gedanke des Judenstaates von unseren besten Märnern ausgestaltet und heute fliegt er schon über Land und Meer.

Und das war der größte meiner Irrtümer, dessen Erkenntnis mich beglückt. Ich hatte zögernd zu sprechen begonnen und vorsichtig erklärt: Ich weiß nicht, ob meine Staatsschrift nicht nur ein Staatsroman ist.

Ein Ruf der Zustimmung erhob sich mit Macht an allen Orten, wo die Juden leiden. So viel Begeisterung hatte ich selbst nicht erwartet, obwohl ich bekanntlich ein Optimist bin. In zahlreichen Resolutionen von Vereinen und Versammlungen wurde ich aufgefordert, der Schrift die Tat folgen zu lassen. Und so habe ich mich entschlossen, auf dem Wege der Tat weiterzugehen — obwohl ich bekanntlich ein Pessimist bin.

Ich habe alle diese Kundgebungen, Zuschriften, Resolutionen, Zeitüngsstimmen sorgfältig gesammelt. Ich wollte sie ursprünglich bei der ersten Gelegenheit, wo ich öffentlich spräche, vorlegen, aber es klänge ruhmredig und könnte den Eindruck machen, als wollte ich auf meine Person ableiten, was offenbar der Sache gilt. Ich werde diese Sammlung von Schriftstücken der Society of Jews abtreten, die sich jetzt bilden soll. Es geht daraus mit überzeugender Kraft hervor, daß der Judenstaat nicht mehr der isolierte Traum eines Einzelnen ist, sondern von Unzähligen geteilt wird. Ich weiß heute schon, und morgen wird es die Welt wissen, daß die Juden ihren Staat haben wollen, wo sie endlich als freie Menschen leben und gedeihen können. Viele reiben sich ja noch verdutzt die Augen und fragen: ob sie träumen oder ob ich träume? Wir haben so viele, viele Jahre hindurch gesagt „leschonoh haboh b'jeruscholajim“ und uns gewöhnt, das nur für einen Spruch, für einen Seufzer zu halten. Nun soll es auf einmal möglich sein. Es ist so möglich wie das Erwachen, wenn man nicht tot ist, sondern nur schläft. Es ist so möglich wie die Genesung eines Kranken, dessen Lebenskraft unverwüstlich ist. Es ist so möglich wie die Befreiung eines Gefangenen, der nicht für immer verurteilt sein kann.

Die Juden wollen erlöst werden von der Angst vor immer wiederkehrenden Verfolgungen. Denn selbst in den Ländern, wo unsere Brüder augenblicklich nicht zu leiden haben, ist ihre Freude eine zitternde. Ich habe dafür viele Beweise. Jeder Protest, der von solchen Gutsituierten gegen meinen Plan erhoben wird, ist ein Beweis. Sie meinen, mit Unrecht, daß ich die Duldung gefährde, die sie genießen, wenn ich vom Judenstaat spreche. Und beim ersten judenfeindlichen Ruf, den irgendein Individuum ausstößt, fahren sie aus ihrer armseligen Ruhe auf und blicken scheu um sich: Fängt es schon an?

Man hat gesagt, daß die Aufstellung der Judenstaatsidee den Patriotismus der Juden an ihren jetzigen Wohnorten verdächtig mache. Die das glauben, scheinen noch nie zugehört zu haben, wenn man von uns spricht. Als Fremde werden wir angesehen, im günstigsten Falle als Fremde, die man sich gefallen läßt — bis auf Widerruf (jusqu' a nouvel ordre).

Es heißt wirklich den Wert überschätzen, den man auf uns legt, wenn man glaubt, man werde uns in irgendeinem Lande ungern scheiden sehen. Ja, wenn unsere Reichen mit ihren Reichtümern abzögen, hätte man vielleicht etwas dagegen. Aber die Reichen denken nicht daran, mitzugehen. Aber mein Plan beruht nur darauf, daß unsere Armen nach der neuen Heimat auswandern, die unsere alte Heimat ist, unterstützt durch die Wohlhabenden, die dabei nichts verlieren, sondern gewinnen, und geführt von unseren überproduzierten mittleren Intelligenzen, die an ihren jetzigen Wohnorten durch die Judenverfolgung zu Proletariern werden.

Nein, nein, ich glaube eher, daß man es uns in den Ländern, wo man die Juden nicht mag — und selbst in den anderen — als ein patriotisches Verdienst anrechnen wird, wenn wir die lästige alte Judenfrage endlich lösen, wenn wir die überflüssigen Juden ableiten und damit die Gefahr einer Revolution beseitigen, die bei den Juden anfinge und man weiß nicht wo aufhören würde.

Ich kann sagen, ich habe viel anhören müssen, aber von nicht jüdischer Seite ist mir der Gedanke, einen Judenstaat zu gründen, bisher nicht übelgenommen worden. Im Gegenteil, er berührt sympathisch. Man glaubt nur, daß die Juden selbst es nicht wollen werden. Es ist ja kein Wunder, wenn der Staatsmut uns im Laufe verfolgungsreicher Jahrhunderte abhanden gekommen ist. Aber das war der historische Sinn der Judenemanzipation in der Neuzeit, daß wir dadurch den Staatsmut wiedergewinnen sollen. Daß die Emanzipation nicht zur Assimilierung führen kann und soll, beweist die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre. Eine Anzahl Juden verträgt gewiß jedes Land, und die dürfen sich auch assimilieren, die werden resorbiert. Ist aber diese unbestimmbare Anzahl überschritten, dann ruft der Antisemitismus Halt! Ich glaube, der Judenstaat wird insbesondere den Ländern nützlich sein, wo es heute noch keinen offenen Antisemitismus gibt. Bedenken Sie: die Kunde, daß es den Juden irgendwo nicht schlecht geht, lockt die Unglücklichen an. Sie wandern ein. Wehe, wenn sie arm bleiben und durch ihre Genügsamkeit in den Existenzbedingungen den Arbeitslohn drücken — dann ruinieren sie die Eingeborenen! Wehe aber auch, wenn die Eingewanderten reich werden — dann haben sie das Volk ausgesogen.

Darum brauchen wir für unsere Armen eine Heimat, ein Land, das uns völkerrechtlich gehört. Kleinere Völker, als das unsere, haben es gewagt, das politische Eigentum eines Stückes der Erdoberfläche zu verlangen. Und weil sie es wagten, weil sie den Staatsmut hatten, haben sie es auch bekommen. Und unser ebenso berühmtes als unglückliches Volk, dessen Geschichte in der heiligen Schrift steht, sollte diesen Wunsch nicht erklären dürfen? Ja, begreifen denn die jüdischen Gegner des Judenstaates nicht, daß wir schon durch das bloße Aussprechen dieser Forderung die Achtung der Welt erwerben? Wir haben mindestens so viel Recht wie die anderen, ein Land als Körper unserer nationalen Existenz zu verlangen. Wir haben dieses Recht erworben durch Leiden, die in der Geschichte des menschlichen Geschlechtes beispiellos sind. Ein Strom von Blut hat unseren Gang durch die Jahrhunderte begleitet. Es waren sinnlose Qualen, wenn wir sie nicht in der Hoffnung auf den Juden-Staat aushielten. Werfen wir unser Judentum weg, wie ein zerfetztes altes Kleid, wenn wir nicht an den Judenstaat denken!

Aber es ist doch ein unmöglicher Traum?

Wer sagt das?

Zur Stunde, wo ich mit Ihnen spreche, beschäftigen sich mächtige Fürsten in ernsthafter Weise mit dem Plane. In welcher Form wird er verwirklicht werden? Das weiß ich nicht. Aber verwirklicht wird er werden, davon bin ich in tiefster Seele überzeugt. Diejenigen, die gestern noch über unsere Schwärmerei lachten, werden morgen beschämt sein.

Es fällt mir übrigens durchaus nicht ein, alle Gegner unseres Planes für dumm oder schlecht zu erklären. Es befinden sich unter ihnen sogar vortreffliche Männer, deren Leistungen für unsere armen Brüder ich dankbar bewundere. Leider sind sie zu — zu menschenfreundlich. Es klingt paradox. Einem Volke kann man nicht philantropisch helfen, sondern einzig und allein politisch. Diese Wohltäter haben nur einen gewissen Widerwillen gegen die jüdische Staatsidee, weil sie besorgen, daß das nützliche Kolonisationswerk gestört werden könnte, wenn die leitenden Kreise erführen, daß die Juden eine Staatsgründung beabsichtigen. Ich kann die Kolonisatoren beruhigen, denn ich komme von Konstantinopel. Der Sultan ist den Juden gnädig gesinnt. Ich wage sogar zu behaupten, daß die Juden in der ganzen Welt gegenwärtig keinen großmütigeren Freund haben als Seine Majestät den jetzt regierenden Sultan!

Es steht heute bereits fest, daß ich dem Kolonisationswerk, wie es bisher betrieben wurde, nicht geschadet habe. Allerdings halte ich es für ein ungenügendes, wieviel Wohlwollen darin auch stecken mag. Denn die Judenfrage ist nicht gelöst, wenn wir ein paar Hundert oder einige Tausend Familien in Palästina ansiedeln. Ich glaube vielmehr, daß die Gefahr für die Angesiedelten wächst, je zahlreicher sie werden, ohne ihren eigenen staatlichen Schutz zu besitzen. Dann sind sie auf die Gnade wechselnder Machthaber angewiesen. Ein Fürst ist mild, sein Nachfolger hart — wie oft haben die Juden das erlebt.

Es nützt absolut nichts, die Augen vor den Tatsachen und ihren notwendigen Folgen zu verschließen, die jedem historisch Gebildeten klar sein müssen.

Der spärlichen jetzigen Kolonisation Palästinas wird man von Seite der Hohen Pforte vermutlich keine neuen Schwierigkeiten bereiten. Ich glaube jedoch, daß man eine Infiltration in größerem Maßstabe absolut nicht gestatten wird, ohne daß darin die mindeste Feindseligkeit gegen die Juden wäre. Einer größeren Infiltration könnte nur der Staatsgedanke zugrunde liegen, und wenn man die Einrichtung eines mehr oder weniger unabhängigen jüdischen Gemeinwesens überhaupt zuzulassen geneigt ist, so wird man diese für uns so wertvolle Sache doch nicht ohne Entschädigung gewähren. Und das ist ganz recht, das ist auch ganz in unserem Interesse. Wir müßten und wir wüiden für die völkerrechtliche Einräumung eines Territoriums — ob es nun Palästina oder ein anderes sei — große materielle Vorteile gegenleisten; nur müßten und würden wir uns bei dieser Gelegenheit auch alle jene Garantien ausbedingen, die für die endlich zu sichernde Zukunft einer nationalen Existenz nötig sind. Das schwerste Gebrechen der philantropischen Kolonisierung ist, daß sie mit der Eventualität künftiger Stimmungsumschläge in den besiedelten Ländern nicht rechnet. Wenn man den Menschen, die wegen Verfolgungen auswandern, eine neue Heimat — wäre es auch die historische — anweist, so muss man ihnen doch wenigstens versprechen können, daß sie aus religiösen oder nationalen Gründen nie mehr verfolgt werden sollen. Das verspricht unser politischer Judenstaatsgedanke. Es ist das einzige, was er verspricht. Denn es ist keine Marktschreierei darin. Wir verheißen nicht das Blaue vom Himmel. Es wird auch im Judenstaat Unglückliche, Kranke und Arme geben. Aber der Druck, der alle Leiden noch bitterer macht, wird aufhören, und kein Talent wird daran verderben, daß es jüdischen Ursprunges ist. Das fühlen unsere jungen und armen Leute deutlich, darum hat die Idee bei ihnen so mächtig gezündet. Und wer unseren Armen und Jungen wirklich helfen will, der muss vom wohltätigen zum politischen Zionismus übergehen.

Glauben Sie nicht, daß ich das sage, um die Führung auch dieser Kräfte des jüdischen Volkes zu erlangen. Es ist im Gegenteil mein innigster Wunsch, mich von der Leitung dieser Bewegung zurückzuziehen, die ganz unpersönlich, rein und stark sein soll. Ich bin nur ein Schriftsteller. Der jüdische Staatsgedanke hat mich aus meiner Arbeitsstube herausgejagt, und ich bin eigentlich sehr erstaunt, wenn ich mich in Versammlungen, wie diese hier, reden höre oder mit regierenden Politikern verhandeln sehe. Kaum wage ich in Gegenwart eines unserer Freunde, der sich gestern interviewen ließ, zu gestehen, daß ich sogar mit Finanziers verkehre. Ich bin eben der Ansicht, daß das Geld so gut oder so schlecht ist wie der Gebrauch, den man davon macht. Es wäre schöner, wenn wir durch irgendeinen romantischen Feldzug das Land für unseren Staat erobern könnten, aber man muss zwanzig Jahre alt sein, um das für möglich zu halten. Nein, auf dem Boden der Vernunft, mit den Mitteln, über die wir verfügen, und innerhalb der Grenzen einer praktischen Politik muss es geschehen. Alle unsere besten Kräfte müssen sich in den Dienst der wunderbaren Sache stellen, und um allen gerechten Bedenken Rechnung zu tragen, formuliere ich das Programm der Society of Jews, die in diesen Tagen gegründet werden soll, in der folgenden Weise:

Die Society of Jews macht sich zur Aufgabe die völkerrechtliche Erwerbung eines Territoriums für diejenigen Juden, die sich nicht assimilieren können.

Dieses Programm dürfen, wie mir scheint, auch die besten Patrioten aller Länder unterschreiben. Man muss nicht einmal Jude sein, um es zu unterschreiben. Wenn ich nicht irre, wäre Mr. Holman Hunt sofort dazu bereit. Und einer vor allen hätte es wohl unterschrieben, wenn er die merkwürdigen Ereignisse der letzten Monate erlebt hätte.

Es ist schwer, im Trauerjahr nach Baron Hirsch in einer jüdischen Versammlung zu sprechen, ohne dieses Mannes zu gedenken. Es ist viel, es ist genug, wenn man von einem Menschen sagen kann: er hatte ein Herz für seine armen Brüder. Darum wird die Gestalt des Barons Hirsch nie aus dem Gedächtnis des jüdischen Volkes schwinden. Wohl glaubte er, daß man den Juden philantropisch helfen könne, aber seine Intelligenz war weit genug, auch auf den politischen Zionismus einzugehen, wenn er gesehen hätte, daß diese Bestrebung von den Regierungen ernst genommen wird. An einem Frühlingstage dieses Jahres wurde ich, wie Sie alle, durch die Nachricht vom Tode des Barons Hirsch überrascht und tief erschüttert. Und es gab ein seltsames Zusammentreffen: an demselben Tage erhielt ich die Aufforderung, die Judensache einem Souverän vorzutragen. An diesem Frühlingstage starb der wohltätige Zionismus und der politische wurde geboren. Den Inhalt jener Audienz kann ich vorläufig nur einem kleinen Kreise von Vertrauensmännern mitteilen, denn der Souverän, von dem ich spreche, der uns seine wohlwollende Unterstützung gewährt, hegt die edle Besorgnis, daß seine jüdischen Untertanen es mißverständlich als Antisemitismus auslegen könnten, wenn er die Gründung des Judenstaates fördern will.

Alle Missverständnisse müssen im vorhinein beseitigt werden. Alle Welt muss klar sehen in dem, was' wir wollen, und wenn wir die Sache auch mit der ganzen Behutsamkeit politischer Unterhandlungen anfassen und betreiben, so haben wir doch nichts zu verbergen.

Aus den Kreisen unserer Gebildeten muss dieser lichte und beglückende Gedanke hinausgetragen werden in unser Volk, unter alle Völker. Darum benutze ich die Gelegenheit, vor Ihnen im Makkabäerklub zu sprechen.

Der Sinn Ihrer Vereinigung war, der Welt zu zeigen, daß die Juden auch noch andere Interessen als die des Geldes haben. Wir müssen ja so viele alte, feindliche Legenden zerstören, bevor man glaubt, daß wir nicht weniger sind als andere Menschen. Und insofern die Ackerbaukolonien des Barons Edmund Rothschild die Legende von der jüdischen Unlust zur körperlichen Arbeit zerstören wollen, begrüßen wir apch diese mit dankbarem Verständnis. Auf der jetzigen Berliner Ausstellung sehen die Besucher mit Erstaunen, vielleicht auch mit Beschämung die Produkte des jüdischen Fleißes in den Kolonien. Und da ist eine, deren Name anfängt berühmt zu werden: Rischon le Zion! Die armen Verfolgten, die dorthin kamen, sitzen heute schon frei und glücklich auf einem gesegneten Boden, der ihnen gehört. Von Rischon le Zion sprechen schon jetzt unsere armen Leute in aller Welt mit einer Rührung, in die sich Hoffnung mischt.

Das Land unserer Väter existiert also noch. Es ruht nicht auf dem Boden eines Meeres. Es gibt Leute, die dort leben und fröhlich arbeiten. Die alte Erde verjüngt sich dort unter den regsamen Händen. Sie trägt wieder Blumen, sie trägt wieder Früchte, sie wird vielleicht auch eines Tages, eines schönen Tages, das Glück und die Ehre der Juden tragen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Theodor Herzls Zionistische Schriften