Ansprache an den deutschen Kaiser in Jerusalem.

Ew. Kaiserliche und Königliche Majestät! Allergnädigster Kaiser und Herr!

Eine Abordnung von Söhnen Israels naht sich in tiefster Ehrfurcht dem deutschen Kaiser im Lande, welches das unserer Väter war. Durch keinen geltenden Besitztitel sind wir mit diesem heiligen Boden verknüpft. Viele Geschlechter sind gekommen und gegangen, seit diese Erde jüdisch war. Spricht man davon, so ist es nur noch wie von einem Traum aus sehr alten Tagen. Aber der Traum lebt noch, lebt in vielen hunderttausend Herzen; er war und ist ein wundervoller Trost in gar manchen schmerzensreichen Stunden unseres armen Volkes. Es ist etwas Ewiges in diesem Gedanken, der seine Formen freilich mit den Menschen, mit den Einrichtungen, mit den Zeiten mannigfach gewandelt hat.


Die zionistische Bewegung vom heutigen Tage ist denn auch eine völlig moderne. Sie knüpft an die Zustände und Bedingungen des gegenwärtigen Lebens an und will aus den Möglichkeiten unserer Zeit heraus die Judenfrage lösen. Ja, wir glauben, daß es jetzt endlich gelingen kann, weil die Menschheit so reich geworden ist an Verkehrsmitteln und technischen Errungenschaften. Unternehmungen, die noch vor einem halben Jahrhundert phantastisch ausgesehen hätten, sind heute Alltäglichkeiten. Dampf und Elektrizität haben das Antlitz der Erde verändert. Es sind daraus auch Konsequenzen der Menschlichkeit zu ziehen.

Da ist das Land unserer Väter, das sich für eine Kolonisierung und Kultivierung eignet. Ew. Majestät haben das Land gesehen. Es schreit nach Menschen, die es bebauen sollen. Und wir haben unter unseren Brüdern ein schreckliches Proletariat. Diese Menschen schreien nach einem Lande, das sie bebauen wollen. Nun möchten wir aus den zwei Notständen — des Landes und des Volkes — durch die planvolle Verbindung beider eine neue Wohlfahrt schaffen. Für so gut halten wir diese Sache, für so wert einer Teilnahme der Großmütigsten, daß wir Ew. Kaiserliche Majestät um Ihre hohe Hilfe zu dem Werke bitten.

Aber wir würden es nicht wagen, wenn in unserem Gedanken etwas enthalten wäre, wodurch der Herrscher dieses Landes gekränkt oder beeinträchtigt werden könnte. Die Freundschaft Eurer Kaiserlichen Majestät für Se. Majestät den Sultan ist so bekannt, daß kein Zweifel über die Absichten derjenigen bestehen kann, die sich um die Allergnädigste Vermittlung ihrer Wünsche an Ew. Majestät wenden.

Wir sind ehrlich überzeugt, daß die Ausführung des zionistischen Planes auch für die Türkei Wohlfahrt bedeuten muss. Energien und materielle Mittel werden dem Lande zugeführt, eine großartige Befruchtung verödeter Gebietsteile ist leicht vorherzusehen, und aus alledem erwächst mehr Glück und Gesittung für viele Menschen.

Wir planen die Errichtung einer Jüdischen Landgesellschaft für Syrien und Palästina, welche das große Werk in Angriff nehmen soll.

Niemandes Rechte oder fromme Empfindungen bedroht unser Gedanke. Wir verstehen und achten die Pietät aller Konfessionen für den Boden, aus dem ja auch der Glaube unserer Väter erwuchs.

Das ist das Vaterland von Ideen, die nicht einem Volke, nicht einer Konfession ausschließlich gehören. Je höher die Menschen in der Gesittung steigen, um so deutlicher erkennen sie das Gemeinsame in diesen Ideen. Und so ist auch aus der wirklichen Stadt Jerusalem mit ihren schicksalsvollen Mauern längst eine symbolische Stadt geworden, die allen Kulturmenschen heilig ist.

Ein Kaiser des Friedens zieht mächtig ein in die ewige Stadt! Wir Juden grüßen Eure Majestät in diesem hohen Augenblick und wünschen dabei aus tiefster Brust, daß ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit anbrechen möge für alle Menschen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Theodor Herzls Zionistische Schriften