2.4 geistiger Hintergrund des Nationalismus

Während in der traditionellen Forschung der Antisemitismus als einziger oder zumindest Hauptbeweggrund für Herzls Wandlung zum Zionisten sehen, legen neuere historische Werke auf das Zeitalter des Nationalismus, in dem er sich befindet, mehr Wert. Nur in einer von Nationalstaaten umgebender Weit kann dieser auch als Lösung für die Judenfrage propagiert werden.
So war der „Ausgleich“ (Entstehung der Doppelmonarchie Österreich-Ungarns) 1867 ein doppelter Anlass für Herzl, sich mit dem Nationalismus auseinander zusetzen: Zum einen durch die Tatsache, sich in einem neuen politischen Gebilde zu befinden, zum anderen durch die Bindung der Juden an das Magyarentum im selben Jahr: Sie hat eine nationale Assimilation zur Folge. Auch verfolgt Herzl Bismarcks Bemühen, eine nationale Einigung in Deutschland zu erreichen, die 1871 ur Gründung des Deutschen Reiches führt. Bismarck wird Herzls Vorbild.
Es bleibt eine ungelöste historische Streitfrage, ob Herzl nach dem Umzug nach Wien (1878) ein Vertreter des österreichischen Vielvölkerstaats (Bein) oder des deutschen viel zentralistischer organisierten Nationalstaat ist (Kornberg): Für ersteres spricht die Darstellung der Helden seiner Romane sowohl als auch der Staatsform des Judenstaates in seinen zionistischen Werken. Es ist die Aristokratie, die er in Österreich vorfindet. Andererseits ist sowohl die „Akademische Lesehalle“ als auch die Bruderschaft „Albia“ eher deutsch-national orientiert.
Festzuhalten ist jedoch, daß Herzls Verständnis des Judenstaats das eines europäischen Nationalstaats ist (im heutigen Israel aufgrund des verstärkten Einfluss orientalischer Juden und im Bezug auf die Palästinenser durchaus problematisch):
Er sieht die Judenfrage als nationale Frage, die mit europäischer Hilfe (Deutschland, England,...) durch einen nur aufgrund der Bevölkerungsstruktur jüdischen Staat gelöst werden kann. Die Symbole dieses Staates übernimmt er aus dem nationalistischen Milieu Deutschlands und Österreichs und versehrt sie lediglich mit jüdischem Vokabular. Sowohl Staatsform als auch beschriebene Gesellschaft ist westeuropäisch.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Theodor Herzl - zentrale Figur des Zionismus?