Sechste Fortsetzung

Die Art der Durchführung der amtlichen Statistik der Nationalitäten in Ungarn erinnert in vieler Hinsicht an das, was wir in der Bukowina gesehen haben. Hier ebenso wie dort, steht die Nationalitätenstatistik im Dienste politischer Rücksichten, sie bemüht sich hauptsächlich, der Bedeutung der Magyaren gerecht zu werden, — je eher je lieber die absolute Mehrheit der Bevölkerung im ungarischen Staate zu erlangen. Da aber die Entwicklung in dieser Richtung sehr langsam vor sich geht und die Wirklichkeit davon noch weit entfernt ist, so will die offizielle Statistik diesen Prozess wenigstens auf dem Papier beschleunigen. Einzelne krassere Fälle auf ukrainischem Gebiet werden wir bei der Einzelbetrachtung aufzeigen. Jetzt wollen wir nur so viel bemerken, dass die ganze Intelligenz ukrainischer Abstammung, die unierte Geistlichkeit, die Lehrer, Beamten u. a. mit ihren Familien zu den Magyaren gerechnet werden. Die Juden in den Dörfern sind meist als Deutsche eingetragen, in den Städten als Magyaren. Es ist interessant, dass sich im Jahre 1900 eine für dortige Verhältnisse nicht geringe Zahl, 10.146, d. i. 1,2% aller Juden Ungarns, als Ukrainer eingetragen, haben. Bei der letzten Volkszählung vom Jahre 1910 ist die Zahl der Juden-Ukrainer auf 2.702, d. i. 0,3%, gesunken. Überhaupt muss man bemerken, dass die letzte Volkszählung mit noch größerer Ungeniertheit als die früheren zugunsten des magyarischen Elementes durchgeführt wurde. Und wenn die Gesamtzahl der Ukrainer im ungarischen Staate für das letzte Jahrzehnt dennoch einen Zuwachs aufweist, und zwar nicht nur einen absoluten von 429.447 (1900) auf 472.587 (1910), sondern auch einen prozentuellen von 2,2% auf 2,3% der Bevölkerung des ganzen Landes, so ist dies nur dem Umstande zu verdanken, dass ziemlich viele Dörfer, die früher als slowakisch eingetragen waren, jetzt als ukrainisch anerkannt worden sind.

Die Ukrainer wohnen in geschlossenen Massen in Ungarn im nordöstlichen Teil des Karpatenberglandes, und zwar in größeren oder kleineren Teilen der Komitate: Marmaros, Ugocsa, Bereg, Ung, Zemplen, Saros und Zips. In anderen Komitaten finden sich nur ukrainische Inseln und Kolonien. Das größte ukrainische Komitat ist Marmaros, wo die Ukrainer zwei Drittel der Fläche einnehmen (6.347 km2 von 9.720 km2) und nach den offiziellen Daten der letzten Volkszählung (1910) 44,6% der Gesamtbevölkerung des Komitats ausmachen. Von den zehn Bezirken dieses Komitats entfallen auf das ukrainische ethnographische Gebiet ganze fünf: Voliv (magyarisch Ökörmezö), Dovha (Dolha), Hust (Huszt), Tysa (Tisza) und Torec (Taraczviz), außerdem noch Teile der Bezirke Vysova (Viso), Syhit (Szigeth) und Tjacovo (Tecsö). Andere zwei Bezirke gehören zum rumänischen ethnographischen Territorium. Das Marmaroser Komitat ist bemerkenswert durch den auffallend hohen Prozentsatz jüdischer Bevölkerung, der 18,4% beträgt, und in dieser Hinsicht steht es an erster Stelle unter allen Komitaten Ungarns. Allzu krasse und auffällige Missbräuche bei der Volkszählung finden wir hier zwar nicht, dennoch sind aber fast in jeder Gemeinde mehr Griechisch-Katholische als Ukrainer eingetragen, wobei der Unterschied stellenweise in die Hunderte geht (z. B. in Hust 5.902 Griechisch-Katholische und nur 5.230 Ukrainer) und die wahrscheinliche Zahl der tatsächlich magyarisierten Individuen um ein bedeuten des übertrifft. Indessen kann man hier die ethnographische Grenze auf Grund der Volkszählung genau und wahrheitsgetreu ziehen. Sie wendet sich von Kirlibaba, wo wir sie in der Bukowina verlassen haben, in nordwestlicher Richtung und geht längs der ungarisch-bukowinischen und hier auf der ungarisch-galizischen Reichsgrenze, also mit dem Hauptkamm der Karpaten zur Budijiver Spitze, von hier mit der Wasserscheide zwischen den Flüssen Vasyr und Ruskova, rechtsseitigen Nebenflüssen des Viso, biegt dann gegen den Viso um, geht bei der Krasna (Petrovakraszna) auf das linke Ufer des Viso-Tisza über, durchschneidet die Theiß (Tisza) oberhalb Szigeth und hält sich bis Vyskovo (Visk) am linken Theißufer, nur in der Gegend von Szigeth und Tjacovo (Tecsö) weicht sie bogenförmig nach Norden aus. Unterhalb Vyskovo (Visk) geht sie wieder auf das linke Theißufer über und trifft dort mit der Grenze des Ugocser Komitats zusammen.


In Ugocsa bilden die Ukrainer nach den Angaben der amtlichen Statistik sowohl territorial als auch zahlenmäßig die Minderheit. Die Volkszählung von 1910 weist 37,5% Ukrainer gegen 46,5% Magyaren (mit Juden) aus, während es noch 1900 39,3% Ukrainer und 42,9% Magyaren gab. Von den zwei Bezirken, in die dieses Komitat zerfällt, ist der zistiszanische (Tiszäninnen) überwiegend ukrainisch, der transtiszanische (Tiszäntül) nur in seinem nordöstlichen Teil. Die Tabelle der Konfessionen zeigt, daß 62,7% der Bevölkerung des ganzen Komitats zur griechisch-katholischen Kirche gehören. Wenn man davon 10,6% griechisch-katholische Rumänen und etwa 4 — 5% griechisch-katholische Magyaren abzieht, welche hier im! südwestlichen Teile des transtiszanischen Bezirkes wirklich Vorkommen, so bleiben doch noch 46 — 47% der Bevölkerung für die Ukrainer, also die relative Mehrheit. Schon aus den Zusammenstellungen von Tomasivsikyj *) ersieht man, wie besonders in Ugocsa im Laufe des 19. Jahrhunderts das ukrainische Territorium verschieden bestimmt wurde, wie bei jeder folgenden Volkszählung immer je einige bisher ukrainische Gemeinden als magyarisch ausgewiesen wurden.

*) S. Tomasivskyj, Ethnographische Karte der ungarischen Ukraine, St.-Petersburg 1910; Abdruck aus dem „Zbornik po slavjanovjedjenju“ III, S. 17.

Wenn wir die beiden letzten Volkszählungen miteinander vergleichen, können wir neuerdings dieselben Tatsachen nachweisen. Im zistiszanischen Bezirke ist Ardovec (Szöllösvegardo) im Jahre 1900 noch ein ukrainisches Dorf, in dem auf 1.253 Einwohner 903 (72%) Ukrainer und 204 (16,2%) Magyaren waren; im Jahre 1910 wird es bereits zu einem magyarischen Dorf, denn auf 1.141 Seelen wurden nur 276 (24,2%) Ukrainer (886 Griechisch-katholische!) und 861 (75,5%) Magyaren gezählt. Das Dorf Sasvar hat im Jahre 1900: 704 (78,4%) Ukrainer und 110 (12,2%) Magyaren; nach 10 Jahren sinkt die Zahl der Ukrainer bis fast auf die Hälfte herab, 396 (41,8%), während die der Magyaren auf 514 (54,3%) hinaufschnellt. Eine ähnliche Operation wurde an dem Städtchen Dubovenka (Kyrälyhäza) des transtiszanischen Bezirkes ausgeführt, welches nach der Ansicht Torna sivskyj s überwiegend ukrainisch ist und noch im Jahre 1900 eine relative ukrainische Mehr heit hatte, 1248 (49,2%) ukrainischer Bevölkerung gegen 1.056 (41,6%) Magyaren. Doch schon 10 Jahre später zeigt Dubovenka nur noch 932 (29,7%) Ukrainer (auf 1.630 Griechisch-Katholische!), dafür hat sich die Zahl der Magyaren mehr als verdoppelt: 2.224 (70,2%). Es ist klar, das hier, ebenso wie in der Bukowina, die Wirklichkeit keine so plötzlichen Sprünge aufweist, dass also die angeführten amtlichen Daten gar keinen Glauben verdienen und dass wir vollauf berechtigt sind, die genannten Orte auch weiterhin dem ukrainischen Territorium zuzuzählen. Daher führen wir die ethnographische Grenze von der Marmaroser Grenze zum oberen Batar, einem rechten Nebenfluss des Tur, und von hier südlich von Dubovenka auf das rechte Theißufer. Nach dem sie Syvlus (Nagyszöllös) in einem Halbbogen umgangen hat, springt sie wieder auf das linke Theißufer über, erfasst das Dorf Hemlivci (Hömlöcz) jenseits des Flusses Batar, um dann einige Kilometer unterhalb wieder auf das rechte Theißufer zurückzukehren. Von hier wendet sie sich in einem rechten Winkel nach Norden und erreicht den Fluss Borza unterhalb der Mündung der Irsava (Ilosva).
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Territorium und Bevölkerung der Ukraine