Neunte Fortsetzung

Hier befinden wir uns bereits an der äußersten westlichen Grenze der ungarischen Ukraine. Von den acht Bezirken des Zipser Komitats bewohnen die meisten Ukrainer den Bezirk Ljubovnja stara (Olublo), wo sie mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Ukrainische Dörfer gibt es hier nur sechs. Die Ansicht Tomasi vskyis, dass Krempaeh (Lublokorompa) ukrainisch ist, bestätigt die Volkszählung von 1910 nicht und so wird man annehmen müssen, dass nördlich von Ljubovnja stara (Olublo) die slowakischen Ansiedlungen bis hart an die galizische Grenze gehen. Ebenso können wir auf Grund der Volkszählung die Gemeinden Repasi nyzni (Alsorepäs) und Torysky (Tarczafö) im Bezirke Levoc (Löcse) nicht zu den ukrainischen zählen. Dafür aber anerkennt die letzte Volkszählung in Übereinstimmung mit Tomasivskyj, Podproc (Lazonpatak) im Podhrader (Szepesväraljaer) Bezirk als ukrainisch. Die Grenze des geschlossenen ukrainischen Territoriums geht hier folgender maßen: Von der Grenze des Saroser Komitats im Halbbogen nach Südosten auf die Wasserscheide zwischen der Toryca und dem Hernad, wendet sich mit dieser Wasser scheide nach Westen, ohne das Quellgebiet der Toryca zu erreichen, springt wieder zur Grenze des Saroser Komitats zurück und, längs der südwestlichen Grenze des Saroser Komitats verlaufend, erreicht sie das Quellgebiet des Baches Jakubjanskyj, eines rechten Nebenflusses des Poprad. Hier betritt sie wieder das Zipser Komitat, läuft in einem nach Osten gekrümmten Halbbogen fast bis zum Poprad nordöstlich von Kesmark und wendet sich dann in nordöstlicher Richtung, an den rechten Talabhang des Poprad sich haltend. Derart durchschneidet sie wieder die Grenze zwischen dem Zipser und dem Saroser Komitat und läuft auf dem Gebiete des letzteren bis zur Mündung des Luh in den Poprad. Von da wendet sie sich mit dem linken (nördlichen) Ufer des Poprad wieder nach Westen und, zur Grenze des Zipser Komitats zurückgekehrt, biegt sie nach Norden gegen die galizische Grenze um. Längs der galizisch-ungarischen Grenze läuft sie nur 5 km, springt dann genau nördlich von Stara Ljubovnja nach Süden bis zum Talabhang des Poprad zu rück, mit dem sie wieder nach Westen läuft, die Wasser scheide zwischen Poprad und Dunajec überschreitet und, ohne den Dunajec selbst zu erreichen, die galizisch-ungarische Grenze schneidet. Außerhalb dieser Grenze des geschlossenen ukrainischen Territoriums gibt es im Zipser Komitat noch ukrainische Inseln, die zwischen der slovakischen Bevöl kerung eingestreut sind, die größte an der Grenze der Bezirke Hnylec (Göllniczbanya) und Novoves (Iglo). Insgesamt leben in Ungarn außerhalb der Grenzen des geschlossenen ukrainischen Territoriums nach der Volkszählung von 1910 etwa 30.000 Ukrainer.

Wenn wir bei der Besprechung der Verhältnisse in der Bukowina und in Ungarn auf die Missbräuche bei der Volkszählung hingewiesen und einige besonders krasse Fälle von solchen Missbräuchen aufgezeigt haben, so hat es sich dort doch nur um mehr sporadische, vereinzelt vorkommende Fälle gehandelt, welche sich auf einzelne Dörfer beziehen oder die man noch auf ein mehr oder weniger strittiges Gebiet an der ethnographischen Grenze beschränken kann. So war es z. B. im Snczawer Bezirk, so auch im Ugocser und Bereger Komitat in Ungarn. In Galizien steht die Sache anders. Hier können wir in dem Zeiträume, aus dem wir statistische Daten haben, zwei Phasen von Missbräuchen bei der Volkszählung feststellen. In der ersten, älteren, ging es den politischen Machthabern im Lande darum, nachzuweisen, dass die Polen die absolute Mehrheit der Bevölkerung im Lande bilden, um mit ziffermäßigen Angaben ihre politische Oberherrschaft zu stützen. In dieser Phase der Durchführung der nationalen Statistik war ihr Hauptaugenmerk auf das ethnographische Grenzgebiet gerichtet, und zwar hauptsächlich auf den mittleren und nördlichen Teil dieses Grenzgebietes und auf die Städte. In der zweiten, jüngeren Phase hat die polnische Verwaltung, angesichts der immer lauter erhobenen Forderung der Ukrainer nach administrativer Teilung Galiziens in ein östliches und westliches, ukrainisches und polnisches, sich zum Ziel gesetzt, nachzuweisen, dass es in Galizien überhaupt kein geschlossenes ukrainisches Territorium gebe, dass Ostgalizien einen so großen Prozentsatz Polen habe, dass man es für ein Gebiet mit gemischter Bevölkerung ansehen müsse. Unter dieser Parole begann man schon 1900, und mit besonderem Hochdruck im Jahre 1910, die nationale Statistik zu fabrizieren. Jetzt beschränkte sich diese Tätigkeit nicht mehr auf einzelne Ansiedlungen oder Grenzgebiete, sondern erfasste gleichmäßig das ganze Land. Die Fälschung der Volkszählung wurde nach einem bestimmten System und durchaus planmäßig durchgeführt. Dem Zwecke der zahlenmäßigen Stärkung des polnischen Elementes in Ostgalizien mussten in erster Linie die Juden dienen, welche hier besonders in den Städten und Städtchen in ziemlich ansehnlicher Zahl leben. Jedem, der die östlichen Verhältnisse kennt, ist es bekannt, dass die galizischen Juden ein ganz eigenartiges Element bilden, welches in seiner Hauptmasse weder in Sprache, noch in religiösen und kulturhistorischen Überlieferungen, noch schließlich in der Passe, irgendetwas Gemeinsames mit den Polen hat. Dessen ungeachtet weist die offizielle Statistik sie als Polen aus und das gibt dem polnischen Element in Galizien einen ansehnlichen Zuwachs, nach der letzten Volkszählung mehr als 800.000 Seelen. Nach ihnen kommen die Ukrainer römisch-katholischen Glaubens an die Reihe. Im ukrainischen Teile von Galizien, und zwar besonders im mittleren Teile und in den podolischen Bezirken, finden wir unter der ortsansässigen Bevölkerung ziemlich viele Katholiken. Ein Teil von ihnen ist in eigene Gemeinden, die sogenannten ,,masurischen Ansiedlungen“, zusammengefasst; das sind Kolonisten jüngeren Datums, die aus Westgalizien hierher eingewandert sind. Sie gebrauchen das Polnische als Umgangssprache, halten sich von näheren Beziehungen zur umgebenden ukrainischen Bevölkerung fern und ihre Zugehörigkeit zum polnischen Volke unterliegt keinem Zweifel. Aber der weitaus größere Teil der ostgalizischen Katholiken lebt auf den Dörfern gemischt mit der ukrainischen Bevölkerung, gebraucht ausschließlich die ukrainische Umgangssprache, kann überhaupt nicht polnisch und fühlt sich in allen seinen politischen, ökonomischen und kulturellen Interessen mit seinen griechisch-katholischen Nachbarn eins. Das sind hinsichtlich ihrer Nationalität heute reinrassige Ukrainer ohne Rücksicht darauf, ob man sie als Nachkommen ukrainisierter polnischer Kolonisten oder in den religiösen Kämpfen zum Katholizismus herüber gezogener Ukrainer anzusehen hat. Die offizielle Statistik macht keinen Unterschied zwischen beiden Kategorien und zählt alle Römisch-Katholischen ohne Ausnahme zu den Polen. Die von der letzten Volkszählung angegebene Zahl von 42.880 römisch-katholischen Ukrainern ist lächerlich gering im Vergleich zur Wirklichkeit. Doch nicht genug damit. Weil die oben besprochenen zwei Arten von Fälschung der nationalen Statistik doch noch nicht das gewünschte Resultat liefern, haben die Volkszählungskommissionen in der letzten Zeit ganz ungeniert auch Griechisch-Katholische als Polen einzutragen begonnen, obwohl es allgemein bekannt ist, dass die griechisch-katholische Kirche in Galizien alle Merkmale einer streng nationalen Kirche hat und obwohl selbst der Professor Smolka in seinem letzten Werke *) zu wiederholten Malen mit Nachdruck (und großem Bedauern) festgestellt, dass die sogenannten ,,gente Butheni, natione Poloni“, das sind Griechisch-Katholische nach dem Glauben und Polen nach der Nationalität, schon im Aussterben begriffen sind. Diese Kategorie von Leuten beschränkt sich auf eine ganz kleine Zahl von Individuen, welche übrigens in letzter Zeit zum römischen Katholizismus übergetreten sind. Die amtliche Volkszählung von 1910 weist 235.328 griechisch-katholische Polen aus und das hat sogar den Zweifel eines fremden, mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertrauten Gelehrten hervorgerufen.**) Daher ist es kein Wunder, wenn bei einer solchen Durchführung der Volkszählung in Galizien die Polen aus einer nationalen Minderheit nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Mehrheit geworden sind, dass der Prozentsatz der polnischen Bevölkerung wie auf Hefen wächst, in noch rascherem Tempo als der Prozentsatz der magyarischen Bevölkerung in Ungarn. Das zeigt folgende Zusammenstellung


Volks-Gesamtzählungzahl der aus dem Bevölk. Jahre Galiziens Ukrainer Davon: Polen Deutsche Juden 1846 f) 1851 ff) 1857 f+) 1880fft) 1890+ff) 1900ftt) 1910fft) 4,875.149 4,555.477 4,632.866 5,938.461 6,578.835 7,284.703 7,980 477 2.441.771(501%) 2,281.839(50-1%) 2,085.431 (45'Oo/ 0 ) 2,549.707 (42'9%) 2,835 674(43-1%) 3,074.449(42 2°/o) 3,208.092(40-2%) 1,994.802 (40-9° 0 ) 1,864.101 (40'9%) 1,981.076(42-7%) 3,058.400(51-5%) 3,509.183(53-3%) 3,988.702(54-8%) 4,672.500(58-5%) 100.000(2-0%) 335.071 (6-9%) 93.387 (2-0%) 312.962 (6 9%) 114.293(2 5%) 324.336(5-5%) 227.600 (3-5%) 211.752 (2-9%l 90.114(1-1%) 448.973(9-7%)

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Territorium und Bevölkerung der Ukraine