Die Versammlung -3-



Tati wollte sprechen, und seine ganze Gestalt zitterte vor innerer Aufregung. Er war heute in einen weiten Zeugmantel gehüllt, der in malerischen Falten bis über seine Knie hinunterhing. In den Haaren trug er, wie zum Trotz der anderen Partei, die alten Häuptlingsfedern.


„Bleibt Tati die Antwort schuldig?“ erkundigte sich höhnisch der Sprecher.

„Nein, nein, und abermals nein!“ schrie jetzt der stolze Häuptling, dessen Zorn die Oberhand gewonnen hatte. „Nur brauche ich dir nicht eine solche Frage zu beantworten. Da, die Männer an deiner Seite, die schwarzen mit dem frommen Blick, sollen dir Rede stehen, wenn du so neugierig bist!“

„Wir? Wer, wir?“ erkundigten sich die Missionare erstaunt und auch bestürzt über den trotzigen Ton des einflußreichen und immer noch gefährlichen Mannes.

„Jawohl, ich wiederhole es: Ihr!“ rief der Häuptling und trat vor. Den rechten Arm streckte er gegen die Missionare aus. Etwas ruhiger fuhr er dann fort: „Das unnatürliche Verhältnis, das dieses Land fest in seinen Banden hält, trägt jetzt die Schuld an unserem Zwiespalt, und es wird noch blutige Früchte tragen. Ihr verhüllt euch unter einem Mantel oder kommt darunter hervor, wie es euch paßt. Mit eurer durch nichts zu erschütternden Ruhe und dem Frieden Gottes auf den Lippen könntet ihr einem Heiligen die Kriegskeule in die Hand pressen und den Wurfspeer. Ihr Prediger seid es gewesen, die unser Land regiert haben, seit Pomare II. im Grab liegt. Ihr habt Gesetze aufgeschrieben, und durch den Mund der Häuptlinge wurden sie umgesetzt. Ihr habt Strafen aufgeschrieben, und durch die Hand der Häuptlinge wurden sie Wahrheit. Ihr wart es, die uns das Buch erklärten, das ihr die Heilige Schrift nennt. Wir kannten es nicht, Gott hatte uns im Dunkel gelassen über sein Reich. Ihr habt viel Gutes getan, ihr habt Väter daran gehindert, daß sie ihre Kinder erschlugen. Ihr habt manches Leben gerettet, denn Oros Priester sind von diesen Inseln verschwunden, und sie schlachten keine Opfer mehr. Aber ihr habt auch das Vertrauen des Volkes zu seinen Fürsten und Häuptlingen untergraben und nennt die Bibel, wenn man euch fragt, warum. Ihr habt unsere Gebräuche und Feste vernichtet, und die Bibel ist der Grund, auf dem ihr fußt. Eure Gesetze und Strafen, fragt man euch danach, kommen sie aus der Bibel!“

„Aber, Tati, das ist ja...“ unterbrach ihn hier Aonui.

„Ruhe dort, wenn Tati spricht!“ donnerte ihm der Häuptling entgegen und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Nach kurzer Pause fuhr er fort: „Das ist gut. Das Buch der Bücher ist ein fester Grund, und ihr versteht es, darauf zu bauen. Aber laßt es nicht den Wall sein, hinter den ihr springt, um euch zu verbergen. Als jene fremden Priester, die in unser Land gekommen waren, durch euch verbannt wurden von dieser Insel...“

„Das ist falsch!“ unterbrach ihn der Missionar Rowe mit einem frommen Blick nach oben und einem tiefen Seufzer. „Das ist falsch, denn Tahitis Gesetze sprachen allein ihr Urteil.“

„Und wer gab die Gesetze, die sie damals trafen?“ lachte bitter der Häuptling. „Ihr! Wer deutete sie der Königin? Ihr! Wagt es und sagt, die Königin sei frei! Es ist nicht wahr, sie liegt in euren Maschen, in eurem Netz liegt das ganze, fanatisierte, Volk. Es braucht nur einen Aufruf und einen Bibelvers, um sich blind dahin zu stürzen, wohin ihr es verlangt. Dreht eure Augen zum Himmel. Gottes Tod – hier stehe ich, und der Herr da oben mag mich stürzen, wenn ich ein einziges falsches Wort spreche, ein einziges Wort, das mir nicht warm und wahr in der Seele glüht. Die Gesetze? Die Häuptlinge? Nicht ihr? Wagt es und sagt das eurer Königin ins Gesicht. Sagt das Fanue, Terate und Avei, nicht ihr? Die Häuptlinge, das Volk führen es aus, ihr aber, mit der Bibel in der Hand, ihr steht dahinter, und euer Ruf ist es, heimlich, aber laut, der sie treibt!“

„Du sollst deiner Königin nicht als Ankläger Rede stehen, Tati von Papara, sondern als Vorgerufener!“ rief jetzt Raiata. Er hatte mit leichter Schadenfreude den Zorn des Häuptlings auf Leute ausströmen sehen, die ihm bis dahin viel zu mächtig schienen, um so etwas überhaupt nur für möglich zu halten. Aber die Königin winkte, und er mußte gehorchen.

„Gut, wenn Pomare dann absichtlich blind ist – was kümmert es mich! So höre also meine Antwort. Weil wir die Lösung unserer Wirren wollten, weil wir von den Feranis, die uns bedrängten, Hilfe erwarteten in dieser schweren Zeit gegen heimliche Feinde, schrieb ich meinen Namen unter das Papier. Bist du nun zufrieden?“

„Und du, Utami?“

„Tati hat den Grund genannt“, antwortete der allgemein beliebte Richter, und schüchtern wurden einige Beifallsstimmen laut.

„Und Paraita? Und Hitoti?“

„Utami und Tati hatten unterschrieben“, nahm der vorsichtige Paraita das Wort. „Wir dachten nicht weiter darüber nach, Utami denkt allein für viele.“

„Und stimmt Hitoti ebenfalls zu?“ erkundigte sich der Sprecher erneut.

„Ich habe es nicht nötig, andere vorzuschieben. Ich tat es, weil ich es für das beste für unser Land hielt, weil mir das Volk mehr am Herzen liegt als die Kirche. Es mag ein Fehler sein, aber es ist wahr.“

Da erhob sich Pomare selbst, mit leicht gerötetem Gesicht. Mit der Rechten stützte sie sich auf den Stuhl und sagte leise, aber doch überall verständlich:

„Wünscht ihr, Häuptlinge meines Landes, die Hilfe und den Schutz der Feranis?“

„Nein, nein, beim ewigen Gott!“ riefen die Häuptlinge, Tati und Hitoti an der Spitze, durcheinander.

„Was brauchen wir den Fremden?“ fuhr Tati fort und schleuderte den weiten Mantel von seinem Arm. „Unsere Bäume sind fruchtreich, unsere Quellen süß, und wer kam, um Nahrung für die weite Fahrt zu holen, er oder wir? Trenne Tatis Hand vom Rumpf, wenn sie sich je ausstrecken sollte, um einen Fremden um Hilfe zu bitten, solange er sich im eigenen Land helfen darf!“

„Nein, wir wollen keine Hilfe von Fremden!“ wiederholte Hitoti. „Aber laß dann auch deine Priester zu dem stehen, was sie sind, die Lehrer unserer Kinder, unseres Volkes. Als Richter brauchen wir sie aber nicht. Sie kennen unser Land nicht und nicht unsere Sitten. Sie kennen nur Gottes Wort. Laß sie das lehren, und wir wollen folgen und sie ehren.“

Die junge Königin winkte dankend mit der Hand, und Raiata ergriff wieder das Wort.

„So melde ich euch denn, ihr Häuptlinge und Eingeborenen der Insel, euch Fremden und Geistlichen, die ihr Anteil an uns und unserem Lande nehmt, daß es der Königin Wunsch und Wille ist, mit allen fremden Nationen und Fürsten auf freundschaftlichem Fuß zu stehen und zu bleiben. Sollte sie aber je die Hilfe einer anderen Nation benötigen, was Gott verhüten möge, so sei dieses Land kein anderes als Großbritannien. Sollte sie sterben, so soll ihr Erbe von diesem Land Schutz erbitten, bis zur spätesten Generation hinab. Ihr großer Bundesgenosse ist England. Von dort hat sie ihre Lehrer, ihre Zivilisation, ihre Gesetze und Religion erhalten, und sie will keinen anderen Bundesgenossen als den Briten.“

„England hat uns die Bibel gebracht!“ rief ein Teil der Häuptlinge durcheinander. „Es hat uns den Heiland kennen gelehrt!“

„Und Krankheiten, die uns das Fleisch auf den Knochen verfaulen lassen!“ setzte Tati dazu. „Verschreibt euch meinetwegen dem Teufel.“

„England ist unser Heil, unser Stolz. England ist unser Anker in der Not und im Sturm!“ rief wieder ein Teil der Anführer, und der englische Kapitän verneigte sich dankend zu dem bunten Chor. Tati aber nahm Utamis Arm und wollte ihn aus dem Gedränge ziehen.

„Warte noch, erst kommt noch ein Gebet von einem der frommen Männer!“ antwortete Utami. Auf ein Zeichen war die Menge still. Tati schüttelte ärgerlich den Kopf und zog den Freund fort.

„Laß sie doch beten und singen, ich will mich nicht ?ber das schwarze Volk ärgern. Unser Volk ist blind und stürzt sich auf den Segen wie früher auf die Wunder Oros. Dabei läßt es sich die Hände binden. Weg hier, hinaus ins Freie, die Komödie ist zu Ende, und die schwarzen Areois haben ihre Sache gut gemacht.“

Wütend den Mantel um sich ziehend, ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging er die Straße zur Stadt hinunter.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Tahiti