Der Walfischfänger



Von einem leichten Ostpassat getrieben, dazu die Obersegel fest, ja sogar noch mit einem Reff im Kreuzsegel, das vor einigen Abenden hineingenommen und bislang nicht entfernt wurde, kam ein schwerfälliges, schmutzig aussehendes Schiff langsam mit dem Wind nach Süden herunter. Es näherte sich einer in der Ferne eben sichtbar werdenden kleinen, hohen Insel der Cooks-Gruppe. Schon die großen, fettigen Stellen in den Segeln, auf denen die Leute nach dem Tranauskochen beim Reffen allabendlich gelegen hatten, verrieten den Walfischfänger, hätten ihn nicht auch die an besonderen Kranen längsseits hängenden Boote, die zudem noch auf Querstützen an Bord besonders gehalten wurden, gekennzeichnet. Andere Fahrzeuge besuchten auch selten diese Gewässer, und selbst die Walfischfänger nur in den Monaten Januar und Februar, ehe sie wieder mit anbrechendem Frühling nach Norden gingen, um die einträglichere, zumindest ergiebigere Jagd der „rechten Walfische“ der auf Sperm-Wale vorzuziehen. Es war diesmal aber noch ziemlich früh in der Jahreszeit, und der „Delaware“, wie der Walfischfänger getauft worden war, hatte zunächst beabsichtigt, Tahiti anzulaufen. Durch den starken Ostpassat aber und die klein geführten Segel in der starken Äquatorialströmung gegen sich zuviel nach Westen versetzt, mußte er erst wieder nach Süden hinunter, um etwas mehr in die Region der veränderlichen Winde zu kommen oder um auch vielleicht einen der dann und wann einsetzenden Westwinde zu nutzen. Jetzt hatte man beschlossen, die erste in Sicht kommende Insel anzulaufen, um einige Erfrischungen und vielleicht etwas Holz einzunehmen.


Das Wasser zwischen diesen Inseln ist übrigens aufgrund der häufigen Riffe den Schiffen oft gefährlich, und die mit den Örtlichkeiten nicht sehr gut vertrauten Fahrzeuge machen, wenn sie in solchen Inselgruppen nichts zu tun haben, lieber einen bedeutenden Umweg, um sie zu umgehen, ehe sie sich leichtsinnig hineinwagen. Mit einem Walfischfänger ist das aber etwas ganz anderes. Er versäumt, sobald er sich erst einmal in seinem Jagdgebiet befindet, keine Zeit mehr, denn wenn er segelt, hat er die Möglichkeit, daß er von den Fischen weg – oder aber ihnen gerade entgegenläuft. Wenn er still liegt, kann er ebensogut eine ganze „Walschule“ versäumen, die dort vielleicht vorüberzieht, wo er hätte sein können. Das Ganze ist Glückssache und der Pirsch auf Rotwild in einem fremden Walde nicht unähnlich. Kommen diese Walfischfänger also an solche Stellen, so versuchen sie, ehe es dunkel wird, hinter irgendeine kleinere Insel oder Riffbank zu laufen, wo sie entweder Ankergrund oder Raum zum Kreuzen haben, und treiben dort die Nacht, bis ihnen die aufsteigende Sonne wieder ihre Bahn beleuchtet.

Gerade mit Sonnenuntergang war denn auch der „Delaware“ bis westlich von Atiu, einer nicht ganz unbedeutenden Insel, gekommen. Der Kapitän wäre gern die Nacht vor Anker gegangen. Die Stellen aber, die er untersuchte, waren überall bis fast an die schäumenden Riffbänke so tief, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, so nahe dem gefährlichen Ufer von einem der hier oft sehr rasch eintretenden Weststürme überrascht zu werden. Er ließ also die Segel dicht reffen und kreuzte in Lee (der windabgewandten Seite) der Insel hin und her. Das trug nicht gerade zum Vergnügen der Mannschaft bei, die sechs- oder achtmal mit dem Schiff in der Nacht wenden mußte.

Kapitän Lewis kümmerte sich aber den Henker darum, ob er seinen Leuten damit einen Gefallen tat oder nicht. Er und sie standen, wie man es an Land sagen würde, „auf Hofton“ miteinander. Das bedeutete, daß er seit einigen Auftritten, die er mit ihnen auf den Sandwichinseln gehabt hatte, nur sehr höflich sprach und sie, wenn er sie zu einer Arbeit einzeln aufforderte, gewöhnlich mit „Mister“ ansprach und dabei hat: „If you please“ – mit starker Betonung des letzten Wortes, aber mit einem Blick dabei, der deutlich genug sagte: „Wenn du nicht springst, Kanaille, so laß ich dich bei den Beinen aufhängen!“

Er hieß zum Dank dafür bei seinen Leuten nicht, wie sonst gewöhnlich „der Alte“ (the old man), sondern „the old devil“ (der alte Teufel) und wußte das auch recht gut. Ja, es schien ihm ordentlich Spaß zu machen, daß er so genannt wurde, und er hatte seiner Mannschaft schon mehrmals versichert, daß er sich bemühen wolle, seinem Namen keine Schande zu machen. Dieses Versprechen hatte er auch bis jetzt redlich gehalten.

Die Mannschaft eines Schiffes ist in solchen Fällen übel dran. Widersetzt sie sich, so ist es Meuterei, und sie wird entsprechend bestraft – mögen die Leute recht haben oder nicht. Halten sie aber aus bis zum Schluß und verklagen dann den Kapitän, so kann man zehn gegen eins wetten, daß der trotzdem Recht bekommt. In sehr vielen Fällen hat er es aber auch. Es gibt wohl auf keinen Schiffen der Welt – Kriegsschiffe vielleicht ausgenommen – ein toller zusammengewürfeltes Volk als auf diesen Walfischfängern. Ein ordentlicher Matrose geht selten oder nie an Bord eines Walfängers. Es ist meistens aufgelesenes „Ufervolk“, das faul genug ist, die eigene Arbeit beiseite zu werfen, und romantisch genug, sich von einem „Walfischzug“ ein ganz besonderes Vergnügen und außerdem einen bedeutenden Nutzen zu versprechen. Die guten Leute sehen dann gewöhnlich immer etwas zu spät ein, daß sie sich in ihren Erwartungen getäuscht haben, und sie sind dann eben einmal und nie wieder Walfischfänger gewesen. Fast jedes neu ausgehende Schiff hat deshalb, mit Ausnahme der Offiziere, auch eine völlig neue Besatzung.

Schuster und besonders Schneider sieht man sehr häufig dabei, Tischler und Maurer, Schmiede und Böttcher, Gerber und Zigarrenmacher – alles wird Walfischfänger. Der Kapitän eines solchen Schiffes hat dann unleugbar eine furchtbare Zeit vor sich, dieses Volk wenigstens soweit anzulernen, daß es erst einmal versteht, was sie nur überhaupt zu tun haben. Dabei muß er ständig damit rechnen, daß sie ihm bei passender Gelegenheit an den nächsten Anlegeplätzen davonlaufen. Kommen ordentliche, ruhige Menschen einmal zwischen eine solche Mannschaft, so fühlen sie sich höchst unglücklich und verwünschen den Augenblick, wo sie sich von der Romantik der Sache betören ließen – aber leider zu spät, und die viereinhalb Jahre, die eine solche Fahrt sehr häufig dauert, werden ihnen zur Hölle. Die Offiziere, vom Bootssteuerer aufwärts, bilden dabei ein ganz besonderes, abgeschlossenes Korps.

Doch zurück an Bord unseres Fahrzeuges. Zum Ausschauen vorn auf der Back stand ein junger Mann, dessen edle, fast schöne Gesichtszüge wie auch der schlanke, schmächtig gebaute Körper wohl passender für einen Salon als das Vorschiff eines Walfischfängers schienen. Das volle, braune Haar quoll ihm in dichter Menge unter der breiten schottischen, dunkelblauen Mütze hervor. Seine saubere Kleidung unterschied ihn auffällig von der übrigen Schar. Es war ein junger Franzose aus sehr guter Familie, der sich in Boston aus einer Laune heraus hatte verleiten lassen, an Bord des „Delaware“ eine Reise in die Südsee mitzumachen. Still und vor sich hinbrütend sah er jetzt nach dem nahen Land hinüber, das mit dem dunklen Schatten seiner Palmen in träumerischer Ruhe vor ihm lag.

„Nun, René, so in Gedanken?“ sagte plötzlich neben ihm eine freundliche Stimme, und eine Hand berührte sacht seine Schulter. „An was denkst du?“

Der Angeredete fuhr erschrocken aus seinen Gedanken empor und schaute sich um. Als er den Sprecher erkannte, sagte er rasch und fast erfreut: „Es ist mir lieb, Adolphe, daß du gerade in diesem Augenblick zu mir kommst, ich bin eben mit meinem Entschluß fertig geworden. Ich verlasse das Schiff.“

„Unsinn“, sagte Adolphe kopfschüttelnd. „Du kennst die Verhältnisse hier nicht, René. Selbst wenn du wirklich glücklich das Land erreichst, so braucht der Kapitän nur eine unbedeutende Belohnung auf deine Ergreifung auszusetzen, und du wärst rettungslos verloren. Ich bin schon früher hier gewesen und habe das schon zweimal erlebt. Die Eingeborenen sind herzensgut, aber wie die Kinder. Ein Spielzeug könnte sie zu irgend etwas verführen, sei es nun zum Guten oder zum Bösen.“

„Habe ich erst festen Boden unter den Füßen, so könnten sie mich nur als Leiche wieder zurückschaffen“, murmelte René mit düsterem Blick und zusammengebissenen Zähnen.

„Das wäre wirklich Unsinn“, sagte aber sein älterer Freund. Adolphe war ein Landsmann von ihm und jetzt dritter Harpunier auf dem „Delaware“. Er hatte mit René schon in Algier gefochten und in Kanada gejagt. Damals hatte er auch alles versucht, um ihm seinen Entschluß, als einfacher Matrose das Leben eines Walfischfängers zu führen, auszureden – aber vergeblich.

„Du bist noch jung, René, und das Leben steht dir weit und freudig offen! Bring dich deshalb nicht gleich um alles, bloß weil es dir in den Sinn kommt, die Suppe, die du dir selber eingebrockt hast, nicht ausessen zu wollen. Ein, höchstens zwei Jahre, und du bist wieder frei wie der Vogel in der Luft. Selbst diese Zeit wird dir dann, so entsetzlich sie dir jetzt auch erscheint, eine freudige Erinnerung sein, vielleicht schöner, als manche andere ruhige Stunde!“

„Ich halte es nicht aus, Adolphe, ich halte es bei Gott nicht aus!“ sagte René kopfschüttelnd. „Hier unter diesem rohen Volk noch jahrelang leben und dabei geistig und körperlich zugrunde gehen – ich kann es nicht. Du weißt außerdem, daß ich schon zweimal nahe daran war, mit dem Kapitän selber aneinanderzugeraten, denn er ist der Schlimmste von allen. Lieber will ich deshalb mein Leben hier wagen, wo mir noch die Möglichkeit des Entkommens bleibt, als zuletzt gezwungen zu werden, dem Kapitän ein Messer in den Leib zu rennen und über Bord zu springen. Nein, Adolphe, ich bin fest entschlossen!“ setzte er mit leiser, aber ruhiger und überzeugter Stimme, hinzu. „Die erste Gelegenheit, die sich mir bietet, an Land zu kommen, benutze ich. Ich weiß und fühle, daß mir nichts Schlimmeres begegnen kann, als was ich jetzt schon zu leiden habe.“

„Hol’s der Henker“, sagte Adolphe nach kurzem Überlegen. „Wer weiß, ob ich’s an deiner Stelle und mit deinem jungen Blut in den Adern nicht doch auch täte. Aber wie willst du es ausführen? Es ist noch ganz ungewiß, ob der alte Teufel ein Boot abschickt, um Erfrischungen einzunehmen. Er traut uns allen nicht!“

„Doch, ich habe vorhin zufällig gehört, daß unser Boot mit dem ersten Harpunier morgen mit Tagesanbruch hinüber soll, um Brotfrüchte und Kokosnüsse zu holen“, entgegnete René. „Die Gelegenheit will ich nutzen, noch dazu, wo es einen Vorwand gibt, reichlich Kleidung mitzunehmen. Die Leute haben ja sonst nichts, um sich Kleinigkeiten von den Eingeborenen einzutauschen.“

„Wenn du dann im Wald bist, hetzt der alte Seehund von Harpunier dir die ganze Einwohnerschaft hinterher. Wie willst du ihnen entgehen? René, René, das Land liegt verlockend vor uns, und selbst mir zuckt es in den Knochen, einmal frei darauf herumzuspazieren und von diesem verdammten Marterkasten loszukommen. Aber – ich weiß nicht – bist du einmal davongelaufen und wirst wieder eingefangen, so kommst du wirklich in eine Hölle, wenn du vorher in keiner gewesen bist. Ich glaube nicht, daß es länger als zwei Tage dauert, bis sie dich wieder haben, und die zwei Tage verlebst du wie ein gehetzter Wolf.“

„Es hilft alles nichts“, lächelte René trübe. „Ich hab’s mir einmal in den Kopf gesetzt, und ich führe es auch aus, mag daraus werden, was will. Schlimmer kann es nicht werden.“

„O doch, es kann noch viel, viel schlimmer werden. Du hast es noch nicht gesehen, wenn es an Bord eines Schiffes wirklich schlimm ist“, sagte Adolphe und schauderte dabei zusammen. „Ich möchte es auch nie wieder erleben. Außerdem verstehst du die Sprache dort gar nicht, wie willst du dich verständigen? René, in der Welt sieht doch jeder auf seinen eigenen Vorteil, und die Eingeborenen hier wissen ganz gut, daß sie von einem entlaufenen Matrosen nicht viel zu erwarten haben, der Kapitän ihnen aber eine Menge Sachen geben kann, die für sie und ihr einfaches Leben wirklich Schätze sind!“

„Ich habe Geld bei mir“, antwortete René rasch. „Peste, ich brauche nicht das Blutgeld des alten Schurken und kann mir meine Freiheit auch im schlimmsten Fall erkaufen, wenn es denn nicht anders sein kann.“

„Das ist schon ein großer Vorteil“, erwiderte Adolphe und lächelte. „Es werden wenig Matrosen von Walfischfängern weglaufen, die wirklich einen Franc in der Tasche haben. Aber ein Kapitän bleibt immer im Vorteil. Äxte, Beile, Kattunstoffe und Schmuck und besonders Alkohol sind ihnen viel lieber als Geld, und über diese Sachen kannst du nicht verfügen.“

„Gut, so muß ich dir zustimmen, Adolphe“, antwortete René auf diese Argumente. „Ich glaube ja auch selbst, daß es ein verzweifelter Schritt ist, auf einer so kleinen Insel zu entlaufen. Die Möglichkeit ist immer eher da, daß man wieder eingefangen wird.“

„Sag lieber, die Wahrscheinlichkeit.“

„Meinetwegen auch die Wahrscheinlichkeit“, murmelte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Ich habe mir aber noch nie etwas so fest vorgenommen, und ich will den Versuch machen oder zugrunde gehen!“

„Gut, wenn du so unerschütterlich in deinem Entschluß bist, ist es nicht nötig, weiter darüber zu sprechen. Meine Wünsche für das Gelingen begleiten dich, ich wollte nur, ich könnte dir dabei irgendwie nützlich sein, wenn ich nur wüßte, wie!“

„Wer weiß, wie sich das noch ergibt. Aber auf dem Quarterdeck werfen sie schon wieder die Fallen los. In der Mitternachtswache möchte ich dir noch etwas sagen.“

„Ship about!“ unterbrach ihn hier der eintönige Ruf. Die Leute traten alle auf ihre Posten, und das Schiff wurde über den anderen Bug gelegt, jetzt wieder vom Lande abhaltend. Mit der nächsten Morgendämmerung hatten sie die Küste gerade vor sich. Es war eine kleine Bai, die von zwei auslaufenden Korallenriffen gebildet wurde. Der Ruf des ersten Harpuniers sammelte die Leute in sein Boot. Mehrere dort schon aufgeschichtete Sachen, Handels- und Tauschartikel für die Eingeborenen, wurden hineingelegt. Das Boot schwang frei und auf das Wasser hernieder, die Mannschaft legte sich in die Ruder.

„Was sind das für Pakete da vorn?“ erkundigte sich der Harpunier, als sie vom Bord abgestoßen waren. „Wer hat die hineingeworfen?“

„Ein paar Hemden und andere Kleinigkeiten, Mr. Rowsey“, erwiderte einer der Leute. „Wir wollten uns auch etwas von den Früchten eintauschen.“

„Und das andere daneben?“

„Genauso“, antwortete René, an den die Frage gerichtet war. Der Harpunier sagte nichts weiter, und René warf noch einen verstohlenen Blick an Bord zurück, wo Adolphe stand und ihm zuwinkte. Er war ihm behilflich gewesen, die Sachen rasch und unbemerkt ins Boot zu schaffen. Der Kapitän hätte es sonst nicht zugelassen, obwohl es an Bord eines Walfängers nichts Ungewöhnliches war.

Kanus sahen sie nicht. Erst als sie die Korallenbank erreichten, erschienen oben zwischen den Büschen eine Anzahl Männer und Frauen mit geflochtenen Körben aus Kokosblättern, in denen sie Früchte und Muscheln trugen. Sie schienen ein Zeichen der Fremden abzuwarten, ehe sie sich näherten.

Der Harpunier, der sich seit seiner Jugend in dieser Meeresgegend aufgehalten hatte, sprach ihre Sprache ziemlich geläufig. Ein paar freundliche Worte von ihm wirkten Wunder. Die zunächst furchtsamen Eingeborenen riefen sich erstaunt zu, daß die Fremden Freunde seien und ihre Sprache sprächen. Aus allen Büschen und Dickichten brachen sie jetzt heraus und mischten sich so sorglos und vertrauend wie Kinder zwischen die Matrosen. Sie befühlten das Zeug ihrer Kleider, lachten über ihre Bärte und Schuhe, sprangen und sangen, als ob sie sie schon lange kannten. Der Tauschhandel begann, Messer und Tabak, Kattun und Glasperlen wurden gegen große Mengen der herrlichsten Früchte getauscht. Besonders gute Orangen und Brotfrüchte waren mit dabei. Während der Harpunier unter einem mächtigen Pandanus, einem breitfächerigen Baum, saß und bestimmte, was er für die Waren geben wollte, blieb nur ein Mann bei dem Boot. Die übrige Mannschaft mischte sich unter die Eingeborenen, um ihre Kleinigkeiten gegen Früchte und Muscheln einzutauschen. Diesen Zeitpunkt nutzte René, nahm sein kleines Bündel und verschwand im Dickicht. Von den Eingeborenen sahen ihn einige, aber sie achteten nicht weiter auf ihn. Die Leute vom Schiff waren viel zu sehr mit sich selber und ihrer Umgebung beschäftigt, als sich um irgend etwas anderes kümmern zu können.

Etwa zwei Stunden später hatte der Harpunier alle Waren eingetauscht, und das Boot war völlig mit den neuen Waren gefüllt. Sein Befehl rief die Männer wieder zusammen, er stieg ins Boot, um an Bord zurückzukehren.

„Wo ist René?“ erkundigte er sich mit einem Blick über die Mannschaft.

„René! René!“ riefen die Matrosen, aber keiner wußte, was aus ihm geworden war. Einige bezweifelten überhaupt, daß er mit an Land gekommen sei, so sehr waren sie durch das Erlebte in Anspruch genommen. Jedenfalls fehlte aber ein Mann, und der Offizier wußte auch, daß er bei der Herfahrt seine volle Besatzung gehabt hatte.

„Damn it!“ rief der Harpunier und sprang von seinem Sitz wieder auf. „Er ist fort, die Pest über den Halunken! Aber den wollen wir bald wieder haben. Bleibt hier im Boot, bis ich zurückkomme!“ rief er seinen Leuten zu und sprang über die Sitze hinweg, eilte wieder an Land und wandte sich dort an einen der Eingeborenen, der eine Art Oberherrschaft über die anderen auszuüben schien.

„Halle, Freund! Einer von meinen Leuten ist mir weggelaufen. Könnt ihr ihn wieder einfangen, und was wollt ihr dafür haben?“

„Hat er Gewehr mit?“ frug der alte Mann vorsichtig, denn er schien danach den Fangpreis bestimmen zu wollen.

„Nein, kein Gewehr, vielleicht nicht einmal ein Messer“, lautete die ermutigende Antwort.

Die Eingeborenen begannen jetzt eifrig, miteinander zu reden. Sie sprachen dabei so rasch in ihrer eigentümlichen Sprache, daß der Amerikaner selbst nicht verstehen konnte, was sie beratschlagten. Dann gingen zwei von ihnen zu einem besonderen Punkt am Waldrand und untersuchten hier die Fährten. Aus ihren Zeichen wurde deutlich, daß sich der Flüchtling dort in die Büsche geschlagen hatte. Der alte Eingeborene erklärte dann auch, daß man den Matrosen wieder einfangen würde, und stellte eine ziemlich hohe Forderung. Er wollte Kattun und Messer sowie etwas Tabak. Als der Harpunier einwilligte, hatte er ein Beil in die Hand genommen und noch ein Hemd und andere Kleinigkeiten vergessen. Der Harpunier wußte, daß sich sein Kapitän hier nicht lange aufhalten wollte, und willigte deshalb in alle Forderungen ein. Der Handel sollte perfekt werden, wenn der Gefangene am Strand stand und sie ihn an Bord holen konnten.

Nach dieser Abmachung stieß das Boot ab, während die Eingeborenen wie Spürhunde der einmal angenommenen Fährte des Flüchtlings nachliefen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Tahiti