Der Verrat und wie sich beide Teile dabei irrten -3-



Als sie hörte, was René passiert war, erschrak sie sehr. Um so größer war die Freude über die jetzt überstandenen Gefahren. René hütete sich natürlich zu erwähnen, was aus dem geistlichen Mann geworden war. Allerdings konnte er nicht verheimlichen, daß er durch dessen freundliche Fürsorge verraten war.


Was war aber inzwischen aus ihm geworden?

Als das Boot dicht genug am Schiff angelangt war, rief der Kapitän schon mit Donnerstimme hinüber:

„Boot ahoi!“

„Ship ahoi!“ lautete die rasche Antwort des Harpuniers. „All right!“

„Scharf, meine Jungen, macht daß ihr an Bord kommt! Steht bei hier bei den Taljen! Alles klar?“ schrie die Stimme zurück.

„Alles klar, Sir!“ lautete die Antwort der Matrosen, die an den Kränen bereitstanden.

„Nieder mit den Blöcken!“ rief man von unten herauf, als das Boot an die Seite schoß und die Ruder wie mit einem Schlag in die Höhe geworfen wurden. „Hier, hakt ein, hinauf mit euch, all right!“ brüllte der Harpunier durch das Schreien der Leute und das Rasseln der Rahen, die ebenfalls zu gleicher Zeit herumflogen. Seine Leute kletterten rasch an Bord hinauf. Nur zwei Mann blieben zurück und achteten auf die eingehakten Taljen. Eine halbe Minute später schwebte das Boot nach oben unter die Kräne. Dann holten die beiden Männer den Gebundenen hervor und reichten ihn auf das Deck.

„Der hat die letzten zehn Minuten gestrampelt, als ob er sich die Seele aus dem Leibe treten wollte!“ sagte Bill, als sie ihn über die Schanzkleidung holten.

„Aber zum Donnerwetter...!“

„Zwei Reffs in Vor- und große Marssegel – fort mit euch da hinauf!“ schrie der Kapitän in diesem Augenblick. Die Leute mußten den Gefesselten liegenlassen. Er wand sich auf dem Deck wie ein Wurm. Das Niederrasseln der Rahen, das Heulen der Leute an den Refftaljen übertäubten für den Augenblick selbst das jetzt mit Macht aufkommende Wetter. Die nächste Viertelstunde nahm durch das Reffen alle in Anspruch, und niemand kümmerte sich um den unglücklichen Priester. Erst als die Mannschaft mit dem gemeinsamen „Oh, jolly men – hoy!“ die Marsrahen wieder aufzog, trat der zweite Harpunier zu ihm. Er war nicht mit an Land gewesen und hatte schon während der letzten Minuten die an Deck liegende Gestalt mißtrauisch und forschend betrachtet. Jetzt rief er erstaunt aus:

„Why, damn it – das ist nicht René!“

„Nicht René?“ antwortete der Kapitän, der dicht neben ihm stand, die Linke um eine der Brassen und mit dem Blick zu den aufsteigenden Haben. „Wer soll es denn sonst sein? Belay that! Große Marsrahe! Was liegt an?“

„Norden halb Westen“, tönte die monotone Stimme vom Steuerrad herüber.

„Steady then – halt den Kurs – wer soll’s denn sein, Mr. Browning?“

„Weiß nicht, Sir“, antwortete der. Er hatte dem Stewart zugerufen, daß er eine Lampe bringen sollte. „Wen haben wir denn hier?“

„Hallo, Mr. Rowsey!“ rief in diesem Augenblick der Kapitän. Er war ebenfalls herangetreten und starrte in das ihm fremde, wilde Gesicht des Bruders Rowe. „Wen zum Henker haben Sie uns da vom Land mitgebracht? Haben Ihnen die Insulaner diese Jammergestalt als René verkauft?“

Der alte Harpunier drückte sich rasch durch die Offiziere, die um den gebundenen Mann standen. Während ihn alle halb lachend, halb staunend ansahen, stand er wohl eine halbe Minute verdutzt vor dem Gefangenen, dann platzte er heraus:

„Why – Gott strafe mich, das ist ja der Pfaffe! Den? Himmeldonnerwetter, den haben wir doch nicht etwa im Boot mitgebracht?“

„So bindet ihn wenigstens los!“ sagte der Kapitän ruhig und verbiß sich nur mit Mühe das Lachen. Während zwei darangingen, die Fesseln aufzuschneiden, fluchte und wetterte der alte Harpunier und schien nicht wenig Lust zu haben, jetzt selbst über den Missionar herzufallen. Als ob der arme Mann die Schuld für diese traurige Verwechslung trug!

Bruder Rowe bekam aber kaum den Mund frei, als er auch augenblicklich seine Meinung kundtat. Er schrie Mord und Gewalt und verlangte, sofort wieder an Land gebracht zu werden. Nur mit Mühe bekam man von ihm heraus, daß nach seiner Meinung einer der Leute vom Schiff ihm einen Schlag versetzt hatte, der ihn bewußtlos niederstreckte. Dann hätte man ihn wahrscheinlich gebunden und gefesselt. Dagegen protestierte aber der Harpunier energisch. Das wäre unmöglich, denn so lange Zeit war niemand von seinen Leuten entfernt gewesen. Trotzdem rief man alle Mann zusammen. Der Priester sollte jetzt den zeigen, den er für den Täter hielt. Aber das konnte er nicht. Der Harpunier erinnerte sich, einen hinaufgeschickt zu haben, der nach dem Gefangenen sehen sollte. Der sei aber sofort zurückgekehrt. Adolphe meldete sich. Er habe nur die Gestalt am Boden liegen sehen und sich um nichts weiter gekümmert.

Zwar war Adolphe Renés Landsmann, und mancher mochte einen leisen Verdacht hegen, aber es ließ sich überhaupt nichts beweisen. Auch der Kläger erinnerte sich nicht an den Täter. Dazu kam der alte Groll, den Walfänger gegen Missionare meistens haben. In den Ärger über das Entkommen des Matrosen mischte sich bald eine Portion Schadenfreude, daß gerade der Priester, der den Seemann verraten hatte, in die Grube gefallen war, die er dem anderen gegraben hatte. Der Kapitän zuckte zuletzt nur mit den Schultern, als der geistliche Herr im Zorn versicherte, er werde sich an seine Regierung wenden und volle Genugtuung für diese unwürdige Behandlung verlangen. Als er aber immer noch darauf bestand, sofort wieder an Land gebracht zu werden, rief er aus:

„An Land! Bei diesem Wetter! Und wenn Sie mir tausend Dollar Passage bis zu der verdammten Insel bezahlen, könnte ich weder ein Boot noch mein Schiff zwischen die Riffe schicken!“

Bruder Rowe war außer sich, aber Drohungen wie auch Versprechungen blieben fruchtlos. Der Kapitän tröstete ihn damit, daß er eine der nördlich gelegenen Inseln anlaufen werde. Von da könne er dann sehen, wie er wieder nach Tahiti zurückkäme. Zwei Tage später lief er Bola-Bola an, wo er den Reverend Mr. Rowe absetzte. Vierzehn Tage vergingen, ehe er von dort aus mit einem kleinen Schoner weiterfahren konnte. Seine Bootsleute hatten sich inzwischen keinerlei Gedanken über seine lange Abwesenheit gemacht. Sie wären noch länger neben dem Boot geblieben, wo es genug Brotfrüchte und Kokosnüsse für sie gab.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Tahiti