Berlin, den 15. März 1836

Ich ergehe mich in Goethes „Wanderjahren“ mit erneutem Genuss, mit wachsendem Staunen und Ertrag. Ein weiter großer Dom, nicht ausgebaut, aber in seiner Unvollendung schön und erhaben, heiter im Einzelnen, beruhigend durch Hindeutung auf ein zu erahnendes Ganze. Schätze der Weisheit liegen hier ausgestreut, Gaben der Schönheit in tausend Formen. Goethe ist ein wahrer Lehrer, ein starker, kundiger Menschenführer. Die Mannigfaltigkeit der Welt, die Fülle des Lebens lehrt er kennen, und zuletzt führt er auf weise Betrachtung, auf höchsten Seelentrost, auf wohltuende Frömmigkeit zurück. Ich finde hundert seiner Sprüche und Schilderungen ganz biblischer Art und Kraft; der Dichter verschwindet fast unter dem weisen Lehrer, dem versöhnenden Vermittler, dem großen Verkündiger. Aber nicht nur das Größte und Wichtigste lehrt er, sondern auch im Besondern und Kleinen weiß er tausend Vorteile anzugeben, durch erfahrene Klugheit Schaden abzuwenden, Gewinn zu mehren. Ich habe mir in diesen Tagen Schätze und Ratschläge von ihm entlehnt, die dem nächsten Geschäfte der Viertelstunde wie vielleicht auch dem ganzen Jahre gleich heilsam sind. Große Gedanken und ein reines Herz sollen wir von Gott erbitten, sagt er einmal; wie schön! Dann wieder, der Mensch möge sich selbst etwas Gutes gönnen! — Wie wenig ist noch diese Seite in Goethe gewürdigt worden!

Ich finde, dass man in der Jugend allenfalls Leitung, Rat, Zuspruch und Unterricht entbehren kann, aber im Alter hat man das alles dringend nötig! Lernen wird da zum höchsten Bedürfnis, und schon der ist geborgen, der in Ermangelung des wahren Unterrichts in Sachen, wenigstens mit einem äußerlichen in Formen sich hinhelfen kann, zum Beispiel eine neue Sprache lernt. Mir fehlt es nicht an Lust und Trieb; allein wohl die glückliche Zusammenstimmung der Aufgaben und die Klarheit der einzelnen; mir kommt zu wenig in persönlicher Lebendigkeit, und alles nur in drängender Verwirrung und Zerrissenheit zu.