12. September. Was man von der Schönheit des Bosporus ...

12. September. Was man von der Schönheit des Bosporus gesagt hat, ist, mit Einschluß der Uebertreibung, buchstäblich wahr, denn die Uebertreibung ist der Erhebung natürlich. Anfangs trat mein Uebelbefinden störend entgegen, bald aber wurde der Eindruck zu mächtig, und ich gab mich völlig hin. Man hat die Lage von Konstantinopel der von Neapel vorgezogen, vielleicht mit Unrecht, was die Schönheit betrifft; sie ist aber ausgedehnter, kolossaler und dadurch mächtiger. Beinahe durch vier Stunden Weges folgen sich, anfangs bloß auf der europäischen, dann aber auch an der asiatischen Küste Befestigungen, Schlösser, Dörfer, Paläste in ununterbrochen reizender Fortsetzung. Die Welt hat vielleicht nichts, was sich damit als Ganzes vergleichen läßt. Einzeln betrachtet dürften bloß die Festungen die Probe aushalten. Die Paläste der Türken sind nur aneinander geschobene Lusthäuser. Ihre Lebensart zeigt auch im Luxus, daß sie aus der Genügsamkeit hervorgegangen ist. Dazu noch alle diese Gebäude – von Holz. Ich gestehe, daß die Aufklärung über diesen letzten Punkt mir die Hälfte des Genusses genommen hat. In der Ferne jedoch, und ehe man derlei weiß, nimmt sich alles herrlich aus. So geht es denn fort. Ununterbrochen Festungen und Batterien zu beiden Seiten. Das reizende Bujukdere, Therapia, das europäische und asiatische Schloß. Leanders Turm, jetzt, denk' ich, ein Spital. Darüber hinaus die Spitze des Serails mit seinen Mauern, die spanischen Wänden gleichen. Von hinten hervorblickend die Kuppel der Sancta Sophia. Rechts Galata mit der Einfahrt in den Hafen. Links Skutari an der Küste von Asien. Das Schiff hält und ist bald von Kaïken und Lohnbedienten umgeben. Wir wählen einen der letztern und vertrauen uns einer der erstern und stoßen vom Schiffe ab, sehen uns aber bald von einer Barke des Zollamts angehalten mit Beamten, die durchaus auf Visitation dringen. Marinowitsch, der mit uns ist, wirft aber den Beamten ein kleines türkisches Goldstück und ein paar desto größere Grobheiten zu, und man läßt uns passieren. Wir steigen an der Stiege von Pera aus, wo Lastträger, die sich durch eine Art Sättel zu Kamelen umgeformt haben, unser Gepäck, jeder eine Last mehrerer Männer, aufnehmen, und jetzt geht die Wanderung durch die Hotels an, die sich alle besetzt finden. Endlich im Hotel de Bellevue notdürftiger Platz. Gewaschen, gebügelt, rasiert. Collazione, an der zwei widerliche Franzosen teilnehmen. Beschließen darauf, unsere englischen und holländischen Reisegefährten aufzusuchen, von denen wir etwas abrupt abgekommen waren. Finden sie in drei Hotels zerstreut. Machen mit ihnen einen Gang durch die Stadt. Zuerst, als in der Nähe liegend, die tanzenden Derwische. Jedermann weiß, was da geschieht. Wie ein übelklingender Gesang mit allerlei Gurgeleien von einer Art Tribüne herab von einer einzelnen Stimme den Anfang macht, dann der Umzug der Mönche, wobei sie ihren sitzenden Vorsteher kadenzmaßig durch Verbeugungen grüßen. Hierauf Instrumentalmusik, wenn eine Rohrflöte, ein Dudelsack und eine Trommel für Instrumente und die ärgsten Mißtöne für Musik gelten können. Endlich erschallt von derselben Tribüne herab ein heftiges Geschrei, wohl als Gesang gemeint, und nun beginnt, dreimal unterbrochen, anfangs langsam, dann aber immer schneller, ohne je wild zu werden, der Drehtanz der Derwische. Sie werfen dazu ihre verschiedenfarbigen Mäntel von sich und sind darunter weiß, in Jacken und Unterröcken gekleidet. Die Füße nackt, das Haupt mit weißen kegelförmigen Filzmützen bedeckt. Der Tanz bewegt sich in zwei oder drei Kreisen, zwischen welchen ein blau gekleideter, nicht tanzender Derwisch gemessen auf und nieder geht. Auch der Vorsteher tanzt nicht, sondern sitzt außer den Kreisen. Man hat die Bewegungen als heftig und wild beschrieben, ich habe sie eigentlich graziös gefunden. Ein paar hübsche junge Bursche von höchstens achtzehn Jahren, der eine in den Farben der Gesundheit, der andere bleich und hager, die Augen geschlossen, das Haupt gegen den emporgestreckten rechten Arm und dieser dem Haupte entgegen geneigt, wobei sie den linken mit herabhängender Hand gerade vor sich strecken, die Verzückung einer süßen Begeisterung auf den Lippen – sahen so reizend aus, als ein Mann nur immer einen Mann finden kann. Die Aeltern nahmen die Sache etwas berufsmäßiger. Auch die Begrüßung des Vorstehers im Vorüberwandeln hätte manchem Ballettcorps zum Muster dienen können.

Hierauf in den Bazar. Unabsehbare Hallen mit Kaufmannsbuden oder vielmehr Kramläden, denn die meisten scheinen mit 50 Dukaten auszukaufen zu sein. In eine Bude eingetreten. Werden mit Kaffee bewirtet. Pfeifen. Kaufen einige Kleinigkeiten. Ein Damascener Säbel um 3000 Piaster geboten. Zu Tische nach Hause. Wenigstens nicht die schmierige orientalische Fettküche. Französischer Wein. Abends die Reisegefährten besucht, um Baron Comeburg einen Besuch zurückzugeben, der in demselben Hause wohnt. Früh zu Bette. Lange vor Tag aufgewacht, vielleicht durch die Kälte, die unter einfacher Bettdecke grimmig war. Im September in Konstantinopel!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Tagebuch auf der Reise nach Griechenland. 1843