Samstag, 30. April. Heute gerade ein Monat, daß ich diese wunderliche Reise antrat.

Samstag, 30. April. Heute gerade ein Monat, daß ich diese wunderliche Reise antrat. Ich nenne sie wunderlich, denn was war ihr Zweck? Zu sehen? Ich suche Zerstreuung? Zerstreut wäre ich wohl genug. Wenn ihr Zweck aber Sammlung, Fassung, Ermutigung gewesen wäre, so bin ich davon so weit entfernt, als da ich von Hause abging. Indes, vielleicht kommt die Wirkung, wie bei den Bädern, hintennach.

Es ist entsetzlich kalt, demungeachtet meine Gesundheit besser. Die Wolken des Innern teilen sich, ein wenig Licht schimmert durch. Gehe schon um zwölf Uhr zu Brant. Wir lesen viel englisch. Die Zunge fängt an, sich etwas zu gewöhnen. Wir beschließen, einige Sehenswürdigkeiten nachzuholen. Kaum auf der Gasse, beginnt es heftig zu schneien. Oh, la belle France, was ist das?


Wir treiben uns in bedeckten Gängen, Passagen herum bis zur Essenszeit. Brant hat Lust, mich zum Essen wieder in eine Kneipe zu schleppen, wo man für 32 Sous speist. Setze es doch durch, daß wir zu einem menschlichen Restaurateur gehen. Ich bin beinahe froh, bald wieder von Paris wegzukommen. Paris gesehen habe ich. Es kennen zu lernen, braucht's ein Jahr und darüber. Diners und Gesellschaften mag ich nicht mitmachen, weil ich übler Laune bin und mich derlei geniert. Hätte ich meinen Brief an die Rothschild früher abgegeben, so war ein Haufen Einladungen kaum zu vermeiden, jetzt hoffe ich früher loszukommen, eh es eigentlich losgeht. In London kenne ich niemand. Da will ich eigentlich leben, wie mir's gefällt. Kein Gesandter dort. Den Brief, den mir der hiesige Rothschild an den dortigen mitgeben soll, warte ich nicht ab. Ein paar kleine Empfehlungen, die ich für den Fall der Not bei mir habe, will ich eben nur im Fall der Not brauchen. Und so bin ich mein eigner Herr. So lieb und gut die Neuwalls sind, so hat mir ihr Haus doch den hiesigen Aufenthalt verleidet. Ich verliere alle Haltung und Richtung, wenn ich üble Stimmungen nicht mit mir allein abmachen kann, sondern mich andern gegenüber zwingen muß. Vor allem durch das gewöhnlich fruchtlose Streben, meine Stimmung zu verbergen, zu überwinden, die andern nicht darunter leiden zu lassen.

Also wir aßen im Café français, ganz gut bei schlechtem Weine. Brant wollte mich für den Abend zum Thee, ich beschloß aber, ins Theater zu gehen, das für mich denn doch ein Hauptzweck ist. Vielleicht überwinde ich dadurch meinen Widerwillen dagegen und kann auch zu Hause wieder hineingehen. Diesmal sollte es ins Palais royal, wo die Déjazet und Achard spielen. Da das Ding erst um acht Uhr anfängt, trank ich eine Tasse Kaffee im Café de la régence, dem Zusammenkunftsorte der guten Schachspieler, fand aber keine einzige Partie.

Die Zugänge zum Theater gedrängt voll. Mußte Queue machen und kam endlich gegen halb neun Uhr in meine stalle.

Esther à St.-Cyr, ein munteres Stück. Alcide Tousez spielt eine Art Haremswächter sehr gut. Ein trockener Komiker, nach Art unsers Korntheuer. Ebenso einseitig und wirksam als er. Mlle. Théodore als Gouvernante recht gut. Ebenso auch Herr Octave. Dabei ein bildhübscher Mensch.

Hierauf La Marquise de Protintaille, was eigentlich jetzt das Zugstück dieses Theaters ist. Eine Verspottung des alten Adels. Das Kostüme der Zeit Ludwigs XV. treu bis zum Abgeschmackten und in dieser Genauigkeit völlig wirksam. Die Dupuis sieht aus wie die Madame Bativia in der Hundskomödie, und nach den ersten zehn Worten stört es nicht mehr. Levassor der Chevalier als schwindsüchtiger Roué, dünn wie eine Kerze, in roter Chevauxlegersuniform, die dümmste Suffisance im Gesichte, das er nie verleugnet bis ans Ende. Achard, als Jean Grivet, von einer Vortrefflichkeit, von der man keine Vorstellung hat. Der hübsche Kerl mit feurigen schwarzen Augen und eben solchen Augenbrauen, in einer weißgepuderten Stutzperücke nimmt sich prächtig aus. Die altmodische Kleidung, als ob er nie eine andere getragen hätte, dabei sein Spiel, jede seiner Bewegungen so eins mit seiner Rolle, der damaligen Zeit und der heutigen Empfindung, daß man nur anstaunen kann. Derlei ist nirgends als hier. Nicht viel weniger gut die Dupuis als Kammermädchen. Was die Déjazet, den Liebling des Publikums des Palais royal, betrifft, so gefällt sie mir nicht. Man kann ihr Spiel nur loben. Sie weiß die Momente zu ergreifen und durchzuführen, aber für mich hat sie eine verletzende Gemeinheit. Es ist ein delabriertes Sichgehenlassen der Liederlichkeit in ihr, das mich anwidert. Damit stimmt auch das sackmäßig Hangende ihrer nicht übeln Züge überein. Es war einmal eine junge Schauspielerin auf den Wiener Vorstadttheatern, auf die mich ihr Wesen erinnert, Demoiselle Groll oder Hoch oder Groß. Nur spielt die Déjazet unendlichemal besser. Arien singt sie ganz gut, mit Spuren von Schule; die eigentlichen Vaudevilles aber gellend, pöbelmäßig, widrig.

Das dritte Stück, La fille du cocher, recht hübsch. Eine Mlle. Emma, äußerst gut, liebenswürdig. Dazu sieht sie recht gut aus. Durand, der ehemalige Kutscher, wie ein dermaliger. Den Hauptspaß des Stückes macht eine deutsche Ehrenwächterin, die kein Wort Französisch versteht, ihre Kenntnis der deutschen Sprache aber durch die Worte: Was isch das? und Nix beurkundet. Daß sie sich mehr wie ein Tier als ein Mensch benimmt, versteht sich von selbst.

Der Colonel des Stücks schien anfangs seine Rolle nicht hinlänglich memoriert zu haben. Schon wollte ein Sturm losbrechen, als er glücklicherweise abzugehen hat. Beim Wiederauftreten ging die Rede wie am Schnürchen. Um ein viertel auf zwölf Uhr nach Hause.