Montag, 18. Die französische Dame von gestern hatte mir eine Karte in die Deputiertenkammer versprochen, ...

Montag. Die französische Dame von gestern hatte mir eine Karte in die Deputiertenkammer versprochen, wo eine interessante Sitzung sein sollte. Der junge Neuwall brachte sie mir. Ging daher schon bald nach zwölf Uhr dahin, um nichts zu versäumen und Platz zu finden. Vorher auf die Post, um nach Briefen zu sehen. Nichts. Bis zu diesem Grade der Vereinsamung habe ich es gebracht.

In der Kammer war noch niemand, als Zuseher. Kaum hatten sich noch drei bis vier Deputierte versammelt, als Trommelwirbel schon die Ankunft des Präsidenten verkündeten. Ein Mann von nicht viel mehr als 40 Jahren, schlank, groß, mit dunkeln Haaren, bis auf die höhere Statur ein wenig dem Kriegsagenten Dembscher in Wien gleichend, setzte sich auf den erhabenen Stuhl. Da er in nichts dem Präsidenten von neulich glich, fragte ich. Es war Dupin, jener nur ein remplaçant, vielleicht der Vizepräsident. Dupin gefiel mir sehr. Durch nichts in Verlegenheit zu bringen, wohl gar mit einem bon mot antwortend, nachlässig, überlegen, wie zu Hause. Er hatte das weiße Schnupftuch in der Brusttasche stecken, welchen Achtungsverstoß der Zerstreuung er mit einer, wie mir vorkam, nicht ganz unaffektierten Hast verbesserte. Uebrigens schnitt er ein Buch auf und las, auch während eines großen Teils der Verhandlungen. Als er citierte Paragraphen laut vorlesen sollte, verfehlte er Seite und Absatz und las ganz was anderes, worauf er von allen Seiten zurecht gewiesen wurde, was ihn aber gar nicht genierte. Ruhig las er von neuem; wieder was Falsches; wieder unterbrochen, bis er endlich das Rechte fand. Die Verhandlung, die den Zolltarif betraf, sollte, wie gesagt, interessant werden; die Kampfhähne wollten aber nicht recht beißen. Ein Artikel, wenn mir recht ist, über die Foulardtücher, wurde zum Teil verschoben. Ueber die Havannacigarren fing man an, sich zu erwärmen, aber das Centrum mit seinem immerwährenden aux voix! unterbrach alles, und man bekam keine größere Rede zu hören, als die eines unglücklichen Deputierten, der zu Gunsten der minderen Zollsätze sprach, aber so langweilig, daß die übrigen spazierten, diskurierten, lachten. Anfangs schellte der Präsident einmal mit der Glocke, und der Huissier rief mit Stentorstimme: Silence, Messieurs! Dann aber überließ auch er den armen Teufel seinem Schicksale, und er vollendete seine Rede während eines Lärmens, der nicht geringer war, als der auf dem Michaelsplatz nach Beendigung des Burgtheaters. Unmittelbar auf ihn kam ein Mann mit einem Faungesichte, der einige Späße über die Langweiligkeit der Rede seines Vorgängers machte, was anfangs gut aufgenommen wurde; als er aber weiter fortfuhr, erging es ihm nicht viel besser, man konversierte wie vorher, nur daß er, bei einem kräftigen Organe, doch auch einer der Mitredenden blieb. Von den Ministern sprach d'Argout, der es mit einer Art Superiorität, ja Schärfe that und sich wie verweisend umsah, wenn er gestört wurde. Sehr gefiel mir der Handelsminister Passy, ein großer, hagerer Mann, nicht alt, mit kahlem Kopfe. Er spricht gut, ohne Lebhaftigkeit, aber wie es scheint, bündig und überzeugend. Ungefähr in derselben Art, obgleich gewiß besser, würde bei uns Baron Pillersdorff sprechen. In der Frage über den Zollsatz des Mahagoniholzes bestieg er gewiß fünfmal die Bühne, um den Gegnern zu antworten. Der Hauptgegner, der eigentliche diabolus rotae, war ein junger Mann, den ich nach seinem Sitze für de Sade halten muß. Er scheint der Rapporteur des Ausschusses der Kammer gewesen zu sein, und ihm lag ob, all die Aenderungsvorschläge zu verteidigen, die diese Kommission gegen die Anträge der Regierung gemacht hatte. Das that er denn recht klug und verständig, mit Beredsamkeit und Lebhaftigkeit. Er sprach wohl zwölfmal gegen die Minister und ihre Redner. Es war aber alles umsonst. Die Anträge der Regierung wurden durchweg angenommen.


Ich ging vor der Ballottierung und kam erst um sechs Uhr zu Tische. Meine Schweden sagten mir, daß im Théâtre du Palais royal ein paar gute Stücke gegeben würden. Wir gingen hin. Acteon, eine Art Parodie, wo Chiron als Pferdemensch mit dem Regenschirm unter dem Arme vorkommt. Die Hauptrolle spielt ein Herr Alcide recht gut. Das Theater ist wegen seiner derben Spaße bekannt. Einer der besten, daß, als Acteon fragt, ob er (Chiron) schon einen Jäger ( chasseur) mit Hörnern gesehen habe, dieser antwortet: er glaube, bei der Nationalgarde. Eine der Albernheiten Chirons fertigt Acteon damit ab: jetzt habe sich einmal wieder seine partie de derrière geltend gemacht. Hierauf zwei Akte von Les chansons de Desaugiers, wo Levassor und Mad. Déjazet in verschiedenen Verkleidungen auftreten. Ersterer als Engländer, Mylord Doy, recht gut. Ich habe eine ähnliche Figur aber von Alexandre viel besser gesehen. Die Déjazet als Postillon wollte mich nicht recht ansprechen. Im Anfange des zweiten Aktes liegen die beiden, als Herr und Madame Denis, in zwei Himmelbetten, wo es denn an Zoten nicht fehlt, ohne daß ich dabei einen sonderlichen Spaß entdeckt hätte. L'enfant du Faubourg, das Stück en vogue, ist eine schlechte Nachahmung des Gamin de Paris. Levassor spielt den ersten Akt als Taugenichts recht gut, dann verschlechtert er sich zugleich mit dem Stücke. Zuletzt stirbt er als Galeerensklave, von seinen eigenen Kameraden ermordet, was mich höchlich überraschte, da, wenn in dem Stücke irgend ein Sinn wäre, es ihm nach seiner Besserung eher besser, als schlimmer hätte ergehen müssen. Ich wartete das letzte Stück Coliche nicht ab. Das Theater ist sehr klein, kleiner als unser Leopoldstädter. Im Nachhausegehen verfehlte ich den rechten Ausgang des Palais royal, irrte eine Weile herum und fühlte alle Anzeichen einer Verkühlung, als ich mich, seit langem zum erstenmal vor Mitternacht, zu Bette legte.