Freitag, 29. Mein Schwede ist entweder krank, oder es hat ihn verdrossen, ...

Freitag, 29. Mein Schwede ist entweder krank, oder es hat ihn verdrossen, daß ich einige seiner wahrhaft gütigen Anerbietungen nicht annehmen konnte. Er hat sein Versprechen, mich in die Bibliothek zu führen, nicht gehalten. Ging daher heute allein. Das Gebäude, Rue Richelieu, von außen unscheinbar, gefängnisartig, von innen freundlich, schön; der Hof ein Garten. Die Büchersäle nichts weniger als imposant oder prächtig. Mit dem Wiener nun schon gar nicht zu vergleichen. Die Einbände, mit Recht als Nebensache behandelt, häufig schmutzig, immer gewöhnlich. Die Bücher nach Materien geordnet. Gleich beim Eingange Voltaires Bildsäule von Erz, dieses Napoleons der geistigen Welt, oder Robespierres vielmehr, dieser Guillotine verjährter Ansprüche und Ueberzeugungen. Man hat ihn mit Recht in einen Imperatorsessel gesetzt, denn er hat die Welt beherrscht und gemacht; der einflußreichste Mensch aller Zeiten. Er ist jetzt in Frankreich vergessen, man kauft seine Werke 10 Sous den Band, aber er war der Pflug, der die Erde aufriß, in die die Zeit ihren Samen legte. Noch allerhand Spielereien. Ein Parnaß mit spannhohen großen Männern. Ein plastischer Aufriß der Gegend um die Pyramiden. Was mögen das für Kolosse sein! Ich benahm mich ganz wie der unwissende Reisende, den mein Guide des voyageurs beschreibt, und begaffte die Sachen, ohne mich um irgend etwas näher zu bekümmern. Teils sieht man derlei überall, teils verstehe ich's nicht, teils fehlt es mir an Zeit, etwas zu approfondieren. Nicht einmal Herrn Hase suchte ich auf, der die Deutschen so freundlich empfängt. Ich fürchtete, weiter hineingezogen zu werden, als die Umstände rätlich machen. Goethes Widerspiel, möchte ich außer der Poesie und dem allgemein Menschlichen sonst nichts betreiben.

Die Münzen, in interessanten Suiten, unter Glas, der allgemeinen Beschauung freigegeben. Ueberhaupt die Einrichtung vortrefflich, daß man ohne Führer und scheinbar ohne Aufsicht die Säle durchwandelt und besieht, was und wie man Lust hat. Aegyptische Mumien, Rüstungen. In einem eigenen Saale zu ebener Erde der Tierkreis von Denderah. Sogar in den Himmel haben diese Chinesen der alten Welt ihre Scheußlichkeiten übertragen. Inschriftenbruchstücke. Ich bin der Meinung, daß man bei kurzem Aufenthalte gleich von vornherein vieles ausschließen muß, was man nicht sehen will, wenn man nicht erdrückt werden soll. Dazu gehört nun für mich hier in Paris alles gelehrte und alles Kunst-Wesen, mit Ausschluß der Theater. Sie würden mich tot von hier wegführen müssen, wenn ich das auch noch mitmachen sollte. Ich leide ohnehin schon .....


Mit Brant englisch gelesen. Der Mann ist sehr geplagt mit mir. Heute schlief er mir unter dem Lesen ein. Dann die Kirche St. Sulpice besehen. Nach Notre-Dame die schönste Kirche in Paris. Die Fassade prächtig, ohne gerade schön zu sein. Die doppelt übereinander gestellten Säulen wollen mir nicht gefallen. Das Innere wunderschön. Nichts ist gefährlicher, als auf Säulen am Aeußern eines Gebäudes innen Pilaster folgen zu sehen. Die von Sulpice aber sind von so schönen Verhältnissen, so schlank bei aller Tüchtigkeit, daß sie dem Eindrucke nichts entziehen. Alle Wände mit Bildern geziert. Die Fresken darunter höchst mittelmäßig, bis auf eines, St. Roch während einer Pest darstellend, mit häufig unrichtiger Zeichnung und auffallender Nachahmung der Raphaelischen Stanzen, aber eben vielleicht aus diesem letzteren Grunde, und weil recht gut zusammengestellt, Wohlgefallen erregend.

Drauf mit Brant und Moreau, weil wir abends in die Oper gehen wollten, wieder in ein wohlfeiles und schlechtes Gasthaus in der passage de l'opéra. Die beiden wollten ins Parterre; mußten daher schon um sechs Uhr sich aufmachen. Mir hatte Meyerbeer eine stalle im Amphitheater der ersten Loge gegeben, mir blieb daher eine volle Stunde; da es aber den ganzen Tag grimmig kalt gewesen war und ich es im Freien nicht aushalten konnte, ging ich in ein Café und las Zeitungen. Endlich ins Theater. Fand meine frühere Meinung bestätigt. Die Schuld des ersten Aktes liegt im Buche. Die verwickelte Lustspielintrigue und der zu viele Text machen es der Musik unmöglich, zu folgen. Im zweiten Akt hätte sich gute Musik machen lassen, sie wurde aber nicht gemacht. Der Anfang wenigstens böte Gelegenheit, dann kommt wieder ein Stück Komödie, wie im ersten Aufzuge. Der dritte Akt beginnt mit einem sehr guten Chor, nimmt dann etwas ab, erhebt sich aber sehr in dem Duett zwischen Valentine und Marcel. Gegen den Schluß kam mir meine gewöhnliche Theaterschwäche. Ich erinnere mich aber, daß er mir das erste Mal gefiel. Von nun an ist die Musik wahrhaft großartig. Man vermißt das etwas sparsam gehaltene melodische Element weniger, und die Situationen werden von der Komposition aufs hinreißendste unterstützt, mit Ausnahme einer Kavatine gegen den Schluß, die in Nourrits Munde sich etwas abgeschmackt ausnimmt. Ueberhaupt die Sänger nicht nach meinem Geschmacke. Serda mit seinem, zwar nicht angenehmen, aber durchgreifenden Basse wirkt allein musikalisch, die andern singende Komödianten. Derivis, der den Grafen von Nerves gibt, blökt, wird aber sehr beklatscht. Blökt ist nicht der Ausdruck. Man glaubt statt aller Vokale immer ein unreines E zu hören, mit widerlicher Vehemenz herausgestoßen. Levasseur ein vorzüglicher Darsteller. Aber es klingt bei allen, als ob man ein Violinstück auf einer Bratsche spielte. Rauh, unangenehm, klanglos. Ich glaube, wenn einer falsch sänge, man würde es nicht sehr merken. Es sind so Kommuntöne. Die Dorus gefiel mir heute weniger. Bei aller Richtigkeit, ja Geläufigkeit, ist sie doch die hiesige Grünbaum, sogar im Herausschlagen und -Schnellen der Passagen. Sie und Mlle. Flecheux, der Page, kalte Stimmen mit hartem A-Klang. Die Krone von allen Mlle. Falcon, die ich, mit Ausnahme der großen Italienerinnen, dem Besten an die Seite stelle, was ich in diesem Fache jemals gehört. Ihr Gesang thut dem Spiel, ihr Spiel dem Gesang nirgends Eintrag. Dabei von einem Fleiß, einer Hingebung, um das Wort Anstrengung nicht zu gebrauchen. Wenn ich die Hugenotten mit Robert dem Teufel vergleichen sollte, so hat letzterer bei weitem mehrere schöne Einzelheiten, dafür aber nichts, was sich so sehr auf gleicher Höhe erhielte, als die zwei oder, wenn man will, die drei letzten Akte der Hugenotten.