Donnerstag, den 2. bis Sonntag, den 5. Juni 1836

Donnerstag, den 2. Ging zu Figdor, wo ich auf dem Comptoir seinen Vater antraf. Gingen zusammen. Besahen erst die Börse, die Winter und Sommer in einem von Säulengängen umgebenen freien Räume abgehalten wird. Dann ins East India House. Viele indische Merkwürdigkeiten. Waffen Tippo Sahebs. Ein Lieblingsspielzeug desselben, vorstellend einen Tiger, der einen Menschen zerreißt, wo denn eine angebrachte Drehorgel das Gebrüll des Tigers und das Geschrei des Menschen nachahmt. Eine konservative Unterhaltung. Meine Begleiter drängten, hätte gern alles genauer besehen. In die Goldsmith Hall. Von einer Pracht, die alle Vorstellung übersteigt. Riesenspiegel aus einem Stücke. Mahagonimöbel, wie aus Eisen gegossen und zugleich wie aus Papier geschnitten. Das Etablissement eines Herrn Morison, mit allen Arten Waren, vom Seidenband bis zum Shawl und feinsten Vigogne-Tuch. Ein Möbelmagazin, durch sechs oder acht Etagen in Schneckengewinde hinauflaufend. Der Eigentümer stieg mit uns selbst hinauf, obschon wir gleich erklärten, daß wir nur zum Besehen da wären. Mußte mit den beiden in ihre Wohnung nach Islington zum Essen. Fängt an zu regnen. Finde die Tochter. Scheinbar ein höchst liebenswürdiges Frauenzimmer. Mittagmahl nach englischer Weise, zwei Gerichte, aber vortrefflich. Guter Portwein. Angenehme Unterhaltung. War höchst liebenswürdig.

Nach Tisch ins Parlament. Mußten zwei Stunden warten, um für unsere halbe Krone in die Fremdengalerie zu kommen. Eine Aeußerung von mir, ich könnte allenfalls den Dichter Bulwer herausrufen lassen, um Einlaß zu erhalten, veranlaßte den Vater Figdor, in diesem Sinne mit dem Konstabel zu sprechen; und siehe da, auf einmal kommt Herr Bulwer auf mich zu, was mir natürlich sehr unangenehm war, da meine Aeußerung nur im Spaß gemeint war. Trug dem gutaussehenden jungen Manne mein Anliegen vor, da nun einmal gesprochen werden mußte. Er schien, wie natürlich, nicht sehr au fait der Namen und Sachen, benahm sich etwas cavalièrement, versicherte, heute sei das Gedränge zu groß, wenn ich aber des andern Tags um fünf Uhr kommen wollte. Redensart. Ich war froh, ihn wieder los zu werden. Das Haus, nur ein provisorisches, macht anfangs einen höchst unbedeutenden Eindruck, der aber bald zum großartigen wird. Ein langer schmaler Saal, mit Stufensitzen zu beiden Seiten. Der Sprecher im Fond. Alles ohne Schmuck, Galerien rings herumlaufend, die zu beiden Seiten für die Mitglieder zum Ausruhen, was sie denn liegend, lümmelnd, mit den Füßen auf der Balustrade höchst unanständig thun. Gegenüber dem Sprecher die Fremdengalerie, so weit entfernt, daß man nur mit Mühe hören und, der Kronleuchter wegen, immer nur eine Seite des Hauses sehen kann. Wir saßen rechts, also im vollen Anblick der ministeriellen Seite. O'Connel ganz schwarz gekleidet, mit kleiner vorstehender Hemdkrause. Ein starker Mann, schwarzes Haar, eine Papierrolle in der Hand, die er während der Rede der Gegenpartei wie eine Klarinette an den Mund hielt. Seine Züge konnte ich nicht ausnehmen. Er saß auf der zweiten Bank. Beinahe vor ihm auf der ersten Shiel. Hager, blond, lebhaft. Wie wir eintraten, hielt eben der Sekretär für Irland, Lord Morpeth, eine Rede. Stark und kräftig, von hear, hear seiner Partei und Oh, Oh, und Ey, Ey, der Gegenpartei unterbrochen. Darauf Sir James Graham. Anfangs abgebrochen, ohne Fluß, darauf fortlaufend, mehr im Sprech- als Rednerton, nur bei den häufigen Unglücksprophezeiungen mit erhobener Stimme. Da waren denn die Groons und Ens viel häufiger, manchmal fünf Minuten lang, als ob sich beide Parteien überbieten wollten. Dauerte wohl zwei Stunden. Endlich stand Shiel auf. Seine Stimme ist wie ein zweischneidiges Schwert, von vornherein unangenehm, er selbst eine Feuerflamme. Die Lebhaftigkeit seiner Bewegungen, die Abwechslungen der Stimme, die Bitterkeit seines Hohns, das Donnern seiner Verwünschungen unbeschreiblich. Daß es meistenteils Variationen oft dagewesener Themate waren, ist wohl natürlich. Auch konnte ich der Entfernung wegen, der Schnelligkeit, besonders von Shiels Redeweise, und meiner geringen Fähigkeit, englisch Gesprochenes zu verstehen, sehr vieles nicht auffassen. Doch machte es großen Eindruck. Mir schien der Strom seiner Rede heute mitunter mehr gemacht als natürlich. Das hinderte doch nicht den Eindruck des Ganzen. Die Engländer mögen nur ruhig sein. Sie kennen die andern Nationen vielleicht nicht genug, um ganz zu wissen, wie allmächtig sie sind. Wenn sie einmal ernsthaft wollen, wird alles vor ihnen zerstäuben, wie selbst Napoleon zerstäubte. Die Welt ist gesichert. Als Shiel ausgeredet hatte, brauchte es keine Auflösung der Sitzung, alles ging auseinander. Ich kam um halb zwei Uhr nach Hause.


Freitag, 3. Juni. Hatte versprochen, um zwölf Uhr zu Figdor zu kommen, einige Dinge in der City zu besehen. Aber es regnete. Ging daher, da gerade ein Einlaßtag war, ins Museum. Durchlief den naturhistorischen Teil, der, außer der Mineralogie mit merkwürdigen Versteinerungen, nichts Besonderes zu sein scheint, und wendete mich wieder zu den Altertümern, d. h, zu den Elgin-Marmoren. Sog mich voll von den Eindrücken des Minerventempels. Diese Metopen, mehr als halb zerstört, und doch die Denkmäler der höchsten Schönheit. Was für Arme und Beine. Diese Priesterinnen, in halbsoldatischem Ausschritt, und doch so weiblich gelehrig vor dem sie belehrenden Priester. Diese Pferdebändiger, dasselbe hundertfach abgestuft. Endlich die Figuren der beiden Frontispize. Das östliche kann man sich beinahe vollkommen in Gedanken zusammensetzen. Die drei Schicksalsgöttinnen möchten wohl, wenn unverstümmelt, das Schönste sein, was im Fach der Gruppe auf uns gekommen. Laokoon ist nur im einzelnen schön, die Knaben haben mir nie gefallen können. Und das alles an einem Tempel. Die erhaltenen Säulenschäfte zeigen das Riesenhafte des Baues. O neue Pfeffer- und Thee-Welt, wie kommst du da zur Vergleichung!

Abends wieder ins Unterhaus. Nach einer Stunde Wartens eingelassen. Es sprach eben Mr. Ward, einer der Minister, wie ich glaube. Ziemlich langweilig. Dann stand ein Konservativer auf, How-Vane oder wie er hieß. Drosch das oft gedroschene Stroh. Ward unterbrochen, verspottet, nahm's übel, berief sich auf das Recht, seine Meinung zu sagen. Plötzliche Bewegung, alles drängt sich, die Zuseher stehen auf. O'Connell fängt an, zu sprechen. Wenn je ein Mensch alle äußern Eigenschaften eines Redners vereinigte, so ist er's. Tüchtige Gestalt, tiefes klingendes Organ, leichte, treffende Bewegungen; im Spott wie im Donner des Ernstes gleich wirksam. Was er sagte, schien nicht viel Neues, wenigstens was ich davon verstand. Auch war der Fluß seiner Rede nicht immer ununterbrochen, nicht so ununterbrochen als bei der Feuerflamme Shiel. Des Lärmens und Beifalls war kein Ende. Er spie Invektiven und Persönlichkeiten, so daß ihn der Sprecher zurecht weisen mußte. Jeden Augenblick unterbrach ihn seine Partei mit Geschrei und Jubel, so daß er fast keinen Satz aussprechen konnte. Die Irländer scheinen vortreffliche Deklamatoren, die Engländer gute Redner, Sprecher möchte ich eher sagen. Aus der Vereinigung beider würde der gute Redner hervorgehen. Am Ende seiner Rede eine ungeheure Bewegung unter den Mitgliedern, deren Ursache ich nicht abnehmen konnte. Vielleicht wollte man schon abstimmen. Da ertönt plötzlich eine klare, ruhige Stimme, es war Sir Robert Peel. Meine Kraft aber war erschöpft. Ich konnte nicht mehr sitzen. Von sieben Uhr bis ein Uhr gedrängt, bestürmt, ohne Haltpunkt, von der Aufmerksamkeit auf die mir nur halb verständliche Sprache aufgerieben. Dazu drängte mein Begleiter, ein Deutscher aus demselben Kosthause, der trotz seiner athletischen Konstitution nicht mehr aushalten konnte und der den notwendigen Hausschlüssel mit sich führte (die vorige Nacht hatte ich eine halbe Stunde mit Klingeln zubringen müssen). Es war gegen ein Uhr. Ich konnte nicht mehr hören, verstehen schon gar nicht. Dazu peinigte mich ein kaum mehr auszuhaltender Durst. Die Zeitungen mußten ja doch den weitern Verfolg erzählen. Ich ging und schlief wie ein Toter bis neun Uhr in den Tag hinein.

Samstag, den 4. Juni. Gar zu gewöhnlicher Tag. Mußte einige Einkäufe machen; wollte Figdor besuchen. Zuerst zur Gesandtschaft. Fand den unfindbaren Legationssekretär wieder nicht. Sprach mit einem der Beamten und trug ihm mein Anliegen wegen des Eintritts in die Pairskammer vor. Hierauf mit Dankel in die City. Kaufte Rasiermesser, die schlecht waren. Zu Figdor, den ich nicht zu Hause antraf. Holte bereits gekaufte East-India-Schnupftücher, die ziemlich häßlich sind, ab, und so war der Vormittag vertrödelt.

Schon während des Mittagsessens fing es zu gießen an. Ich wollte in die italienische Oper, was denn nun nicht möglich war. Hatte vormittags die beiden Nummern des Morning Chronicle gekauft, die die Reden enthielten, die ich mit angehört hatte. Las jetzt bis zum Erblinden das Gehörte nach und fand die Reden, mit Ausnahme der von Lord Morpeth, unbedeutender, als ich mir vorgestellt hatte. Spielte, da es zu regnen nicht aufhörte, ein kasuelles Whist und zu Bette.

Sonntag, 5. Juni. Wer weiß, was für ein schreckliches Ding ein Sonntag in London ist, wird meine Lage begreifen, wenn ich sage, daß es schon am frühen Morgen zu regnen anfing und mit kurzen Unterbrechungen erst am Abende aufhörte. Wollte eine Partie in die Umgegend machen, allenfalls nach Windsor. Das ward alles durch das Wetter zerstört. Wendete den Vormittag an, teils meine Zeitungen zu lesen und mich so in der Sprache zu üben, größtenteils aber die ausgelassenen Tage in meinem Reise-Journal nachzutragen und dieses so gewissermaßen zu vervollständigen. Freilich sind die ersten Eindrücke unter dem Schwall neuer Dinge vergessen; doch ist es besser so, und in der Folge wird, hoffe ich, die Erinnerung an manches Uebergangene mit Hilfe des wenigen Niedergeschriebenen wieder erwachen und mir die Möglichkeit geben, das Bild dieser ungeheuern Stadt für alle kommenden Tage bei mir festzuhalten. Was mich gleich anfangs daran hinderte, Tag für Tag das Erlebte aufzuzeichnen, war das völlig Unbehagliche meiner Lage. Schlecht bewohnt, unzufrieden, kaum im stande, mir Tinte zu verschaffen, durch das abgeschmackte Boarding-Leben, wo das gemeinschaftliche Frühstück den halben Morgen wegnimmt und die Notwendigkeit, den Plan der Stadt zu studieren, um sich auf seine Exkursionen vorzubereiten, die andere Hälfte. Kurz, es war rein unmöglich, und gesteh' ich's nur, meine wenige Bekanntschaft mit der Sprache, die mir allenfalls erlaubte, mich selbst zur Not auszudrücken, mir aber, was die andern sagten, beinahe unverständlich machte, setzte mich so ziemlich in die Lage eines Schiffbrüchigen, der im löchrigen Kahn allein in der Unermeßlichkeit des Weltmeers herumtreibt. Doch hoffe ich, dem Zweck meiner Reise, Wiedergewinnung der eigenen Selbstthätigkeit und der Möglichkeit, mit Menschen beisammen zu sein, durch alle diese Drangsale hier näher gerückt zu sein, als in Paris, wo mir alles entgegen kam und gerade durch die Unzweckmäßigkeit der Berührung mich störte und verwirrte.

Heute also, nachdem ich bis gegen drei Uhr geschrieben, benützte ich vor Tisch eine regenlose halbe Stunde, um ein paar Straßen zu durchlaufen und mir einige körperliche Bewegung zu verschaffen. Mittagsmahl um fünf Uhr, wie hier des Sonntags gewöhnlich, um den Dienstleuten einen längern Nachmittag zu verschaffen. Nach Tisch ein wenig mit einem der hier wohnenden Engländer gelesen, dann wieder ins Freie durch die sonntäglich wenig belebten Straßen. Bei geschlossenen Buden gibt die Stadt mit ihren schwarzen gleichförmigen Häusern einen traurigen Anblick, Durch Oxford-street, Regent's-street, Picadilly in den Hydepark. Achillesstatue zum Andenken Wellingtons und seiner Armee. Die einbrechende Dunkelheit verbot, weiter in den Park einzudringen, der hübsch genug aussieht. Zurück, vom Wege abgewichen, mich in den Straßen von Grosvenor Square verirrt, durch einen artigen jungen Mann wieder in die Oxford-street zurückgebracht. Nach Hause. Sah den jungen Leuten zu, die der Langweile des Sonntags durch Kinderspiele Herr zu werden versuchten, weshalb die Frau und Tochter vom Hause in echt englischer Sonntagsabgötterei sich entfernt hatten. Die Theezeit war längst vorüber. Etwas Käse mit Brot that die nämlichen Dienste. Zu Bette.