Dienstag, den 10. Schreibe der Gräfin einen der artigsten Briefe,

Dienstag, den 10. Schreibe der Gräfin einen der artigsten Briefe, die seit Erfindung der Schreibkunst je geschrieben worden sind. Würde im Laufe des Tages bei ihr vorsprechen, um eine andere Stunde für die projektierte diplomatische Entrevue entgegenzunehmen. Nach Auteuil zu Börne. Er steht schon erwartend auf dem Balkon, da ich um eine ganze Stunde zu spät gekommen bin. Macht mich mit seinen Hausgenossen bekannt. Eine liebenswürdige Frankfurterin mit ihrem wackern Manne. Sind aus Anhänglichkeit für Börne zu ihm nach Paris gezogen. Nun begreife ich, daß der Mann hier aushalten kann. Börne herzlich, gutartig. Keine Erwähnung von Politik. Nur ganz einfache Verunglimpfungen beiderseitiger Regierungen, Systeme und Bureaukraten. Man hätte selbst bei uns nicht viel damit riskiert. Sumptuoses Frühstück, einem ziemlichen Mittagsmahl nicht unähnlich. Die Frau erbietet sich, mir das Bois de Boulogne zu zeigen, an dessen Eingang Auteuil liegt. Börne bittet, zu bleiben. Sie aber weiß, daß er gern ein Viertelstündchen schläft, und besteht darauf. Ich nehme gern an, um die warme Luft zu genießen, und da ich das historische Wäldchen doch gesehen haben will.

Wir gehen in dem jungen Waldanflug spazieren. Sprechen über Börne. Er hat die Frau zu seinen Ansichten über Goethe bekehrt. Ich erkläre mich aufs bestimmteste für die entgegengesetzte Ansicht. Sie meint, ich möchte bei unserer Zurückkunft Börne ein wenig damit aufziehen. Wenn das Gespräch es fügt, warum nicht? Ich hatte ihm schon neulich, als er, obschon sehr manierlich, einen Seitenblick auf unsern großen Dichter that, warnend mit dem Finger gedroht. Ohnehin verzeihe ich ihm noch am ersten seine Ketzereien darin. Er tragt seinen politischen Haß gegen Goethe, den Aristokraten, nur auf Goethe, den Dichter, über. Jeder Mensch, der lebhaft Partei nimmt, ist ungerecht. Was soll man aber von den Menzeln und derlei Geschmeiß sagen?


Wir kommen zurück. Das Gespräch lebhaft und angenehm. Lenau hat ihm seinen Faust zugeschickt und gebeten, das Gedicht zu besprechen. Börne scheint damit nicht sehr zufrieden. Da ich den Schluß nicht kenne, konnte ich nur über die erste Hälfte mich lobend, warm aussprechen. Was auch an dieser Hälfte, wie bei allem Menschlichen fehlt, war freilich auch mir nicht entgangen. Auch Auersperg hat ihm seinen »Schutt« gesendet. Armer Thor, der ich war, als ich mir's mein ganzes Leben zu einer Gewissenssache machte, auch nicht mit einem Worte Kritiker und Journalisten für mich zu stimmen.

Börne fordert mich auf, entweder den Abend da zu bleiben oder mit ihm zu einem großen Diner zu fahren, wo eine große Menge Litteratoren, fremde Polen, Refugiés und dergleichen sich versammeln und wo eine Gesundheit au plus grand poëte de l'Allemagne mir nicht entgehen könne. Ich mochte beides nicht. Wir fahren zusammen in die Stadt. Am Tuileriengarten trennen wir uns. Er zu seinem radikalen Diner, ich Place Vendôme zur Gräfin Kielmansegge. Unter dem Hausthor begegnet mir der Mann. Soll Samstags bei ihnen essen. Es ist der Tag, wo ich morgens abreise. Verspreche bis Mittwoch, sie zu besuchen.