6. Sept. Diese Nacht besser geschlafen.

6. Septbr. Diese Nacht besser geschlafen. Gegen Morgen träumte ich von *** mit eigentlichem Verlangen. Mein Uebelbefinden hält an. Diese Art zu reisen taugt für mich nicht. Ich bin an viele Bequemlichkeiten gewöhnt, die mir hier fehlen, die Fahrt auf der Eilpost Tag und Nacht ist beschwerlich und die immer neuen Gegenstände lassen meinen Geist nicht zur Ruhe kommen, ohne ihn durch ein besonderes Interesse zu begeistern; das ermüdet mich, greift mich an, macht mich krank.

Ich hatte gehofft, auf dieser Reise mich durch die Notwendigkeit, mich um alles selbst zu kümmern, aus meiner Indolenz herauszureißen, aber nichts weniger als dies. Diese Bemühungen um Kleinigkeiten ennuyieren mich, ich verrichte sie mit Widerwillen und sinke dann in meine alte Unthätigkeit zurück.


Ich will wieder nach Hause. Acht Tage in Berlin bleiben, weil ich nun denn schon einmal da bin; in Weimar den alten Dichterkönig sehen, zu dessen Unterthanen ich einmal gehörte, in München die Galerie, dann nach Wien, um auszuhalten, es komme wie es wolle. Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Ich fühle mich erlöschen von innen heraus.

Habe mir mit dem Barbiermesser den Zeigefinger der rechten Hand halb gespalten, muß daher mit der Schreiberei für einige Zeit aussetzen. Laus deo.

Wenn Autorschaft hier blüht, wen, Freunde, wundert das? Stand nah der Sandbüchs denn nicht stets das Tintenfaß?

Lange mich in stumpfer Dumpfheit herumgetrieben; konnte nicht schreiben meines verwundeten Fingers wegen. – Schade! Das Schreiben macht mich meist ruhiger: hier mußte ich dies Mittel entbehren; noch jetzt wird mir's sauer.

Diese Stadt gefällt mir immer besser, je länger ich mich darin aufhalte; das ist schon ein gutes Zeichen. Wien dürfte auf manchen leicht die entgegengesetzte Wirkung hervorbringen. Alles hat hier einen Anstrich von Großartigkeit, Geistigkeit und Liberalität, der einem armen Teufel von Oestreicher schon des Kontrastes wegen wohlthut.

Die Menschen habe ich hier angenehmer gefunden, als ich sie mir vorstellte. Ein hoher Grad von Gutmütigkeit ist hier nicht seltener als in Wien, nur die Art sich anzukündigen und daher auch sie zu erkennen ist verschieden. Der Oestreicher scheint im Auslande leicht ein Tölpel, der Preuße ein Großsprecher; zu Hause sind beide etwas anderes, wenn sie gleich einen kleinen Beischmack davon behalten mögen. Einen herzlichern Mann als Marchand gibt es auch an der Donau nicht. Die Unterhaltung übrigens ist hier ungleich geistreicher als bei uns, selbst dem, der sie nicht glänzend will. Eine Tischgesellschaft, die, nachdem sie eine feine Anzahl Rheinweinflaschen überwunden, zu einem Gespräche über die moralische Natur des Menschen überginge, wie dies bei Marchand der Fall war, gibt es in Wien nicht.

Wenn die christlichen Einwohner beider Städte verschieden sind, so gleichen sich dagegen die Juden auf ein Haar. Bei Mendelssohn gewesen. Er, ein tüchtiger Mann, besser als die Wiener Juden, Madame dagegen und die liebe Familie wie nach den Arnstein, Pereiras, Herz u.s.w. kopiert, oder vielmehr jene nach diesen. Ich saß neben Madame; einmal konnte ich kaum widerstehen, ihr tüchtige Grobheiten zu sagen. Eine thätliche Grobheit wäre mir fast noch näher gelegen.

Wie bald diese Preußen ihre Konstitutionslust verloren haben! Sie vergöttern ihren König, als ob er nicht mehr der von Anno 1806 wäre, und als ob sie alles erhalten, was sie im Jahr 1816 so heiß zu wünschen schienen; aber am Ende ist er ihr König und sie wollen nicht Wort haben, daß etwas an dem ihrigen mangelhaft sei. Man muß aber auch gestehen, daß die hiesige Regierung, wenn sie einmal im wesentlichen nichts aufgeben will, sich in Bezug auf das Zufällige musterhaft benimmt, und Oestreich könnte und sollte sich daran ein Beispiel nehmen. Eine Beengung des einzelnen ist hier nirgends sichtbar, die Polizeivorkehrungen stören nirgends, Kunst und Wissenschaft sind frei und man müßte weit gehen, wenn man sich an den gezogenen Schranken irgend verletzend stoßen sollte. Daher haben die Preußen ihre politischen Anforderungen auch so bald vergessen. Der Geist hat auf so viel Seiten freie Bahn, daß er am Ende die einzige verschlossene kaum mehr vermißt.

In Oestreich zieht man aber die Grenzen immer enger, und das Geistige muß daher entweder ganz erliegen, was doch die Regierung selbst nicht wollen kann, oder es muß einen Satz wagen, wie der eingehegte Hirsch, und – im Springen kömmt man leicht weiter als man glaubte und wollte. Weiß Gott, wie fern mir alles Politische liegt, ich erkenne aber das Verfahren Oestreichs, auch von Seite des Interesses der Regierung betrachtet, als völlig unzweckmäßig.

Die hiesigen öffentlichen Gebäude haben alle beim ersten Anblicke etwas höchst Imposantes, bei näherer Betrachtung verlieren sie aber, teils durch eine gewisse Ueberladung an Verzierungen, die häufig an die Haarbeutelmanier erinnern, teils durch die Art, wie die Säulen angebracht sind, die alle ohne stark vortretende Substruktion vom ersten Stockwerke an in die Höhe steigen, was auf mich einen widerlichen Eindruck macht, da die Säule, ihrer Natur nach eine Stütze, auf dem Boden ruhen soll. In ihrer hiesigen Anwendung erscheint sie mehr als ein müßiges Beiwerk.

Einer Generalprobe der Oper Nurmahal von Spontini unter persönlicher Leitung des Komponisten beigewohnt. Merkwürdig, daß, indes er den kleinsten Verstoß gegen Rhythmus und die äußere Delikatesse von Seite der Instrumentisten, sowie alles Ungehörige der äußeren Anordnung aufs strengste rügte, er falsche Intonationen der Sänger gar nicht zu merken schien.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Tagebuch auf der Reise nach Deutschland. 1826