Suwarow. (1730-1800) - Ein Lebensbild

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1869
Autor: K. Ztlylius, Erscheinungsjahr: 1869

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Suwarow, Russland, Russen, Feldmarschall, Napoleonische Zeit, Katharina, Zarin, Feldherr, Weltgeschichte,
Suwarow, der Eroberer von Rimnik, Oczakow und Ismail, ist einer der größten Feldherren der Neuzeit und gleichsam ein geborener Krieger, jedenfalls aber der ausgezeichnetste General, welchen die russische Armee jemals besaß, und daher bei derselben auch in verdientem Andenken, während in der allgemeinen Weltgeschichte seine Bedeutung einigermaßen zurücktritt vor den Feldherren der Napoleonischen Zeit, welche unserem Andenken und Interesse näher liegen. Allein unter allen Umständen gehört Suwarow oder Suworow, wie die Russen seinen Namen schreiben, unter die merkwürdigsten öffentlichen Charaktere der neueren Geschichte

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Aus einer ursprünglich schwedischen Familie abstammend, Sohn eines Offiziers, war Peter Alexei Wassiljewitsch Suwarow am 35. November 1730 in Finnland geboren und schon mit 13 Jahren in die Stammliste eines Garde-Regiments eingetragen, erhielt die gewöhnliche Erziehung eines Kadetten jener Zeit, verfolgte aber dabei emsig das Studium der neueren Sprachen, der Geschichte und der Mathematik. Der Ausbruch des siebenjährigen Krieges fand ihn als Hauptmann in einem Linienregiment; er zeichnete sich in den Schlachten von Zorndorf und Kunersdorf durch Tapferkeit und Umsicht aus, ward 1760 zum Major befördert, war 1761 bei der Erstürmung von Schweidnitz durch Laudon mit tätig, focht im Dezember desselben Jahres unter Romanzow vor Kolberg und erstürmte an der Spitze seines Bataillons eine Hauptschanze. Zur Belohnung hierfür wurde er zum Oberstleutnant und Platzmajor in Königsberg ernannt, 1763 aber nach dem Frieden mit Empfehlungsschreiben an die Kaiserin Katharina II. nach St. Petersburg geschickt, welche den schönen tapferen Offizier zum Obersten des astrachanischen Garde-Regiments ernannte. Eine Äußerung der Kaiserin, dass Jeder, welcher sein Glück machen
wolle, sich durch irgendetwas auszeichnen müsse, veranlasste ihn, forthin den Sonderling zu spielen und durch eine Menge der unvermitteltsten Übergänge vom Zyniker, Possenreißer und Halbverrückten zum Schmeichler, zum Weisen oder Stoiker die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Diese Rolle, welche er sich selbst auferlegt, war ohne Zweifel auch die Veranlassung, dass er später sich schon nach kurzer Ehe von seiner jungen Gattin, einer Prinzessin Proscurowska, wieder trennte. Beim Ausbruch der polnischen Revolution im Jahre 1768 begann für ihn jene Laufbahn als „Werkzeug einer mordenden militärischen Despotie“ (wie Schlosser sagt), welche er 31 Jahre lang mit dem entschiedensten Glück verfolgte. Als Oberst mit einem Truppenkorps nach Polen gesendet, nahm er Teil an der Erstürmung von Krakau, verübte eine Reihe glänzender Waffentaten, und zeichnete sich durch ungewöhnliche Energie, Tätigkeit und Umsicht so aus, dass er 1770 zum Generalmajor ernannt wurde.

Er war der einzige russische Befehlshaber, welcher in diesem Feldzuge gegen die tapferen Polen niemals geschlagen worden war. Mit Ruhm bedeckt kehrte er nach der ersten Teilung Polens nach Petersburg zurück. Bei Ausbruch des Türkenkriegs von 1773 ward er erst im Kaukasus beschäftigt und dann nach dem Balkan geschickt, um den schwierigen Rückzug der Russen hinter die Donau zu decken; aber er war Sieger in Turtukay und bei Hirsowa geblieben; 1774 befehligte er die zweite Reserve-Division und siegte bei Korludsche. Im Jahr 1780 zum Generalleutnant befördert, befehligte er das Armeekorps, welches gegen die von den Türken zum Krieg aufgehetzten Völkerschaften des Kaukasus ausgeschickt worden war, bezwang sie, half die Krim erobern und ward dafür zum General der Infanterie und Gouverneur jener Provinzen befördert. 1787 machte er den Türken, welche die Krim wieder erobern wollten, dieses Land streitig, zeichnete sich bei Kinburn aus, und verteidigte das ihm anvertraute Gebiet mit der zähesten Energie, half im Juni 1787 dem Prinzen von Nassau-Siegen den Kapudan-Pascha und die türkische Flotte in den Gewässern von Oczakow schlagen, siegte 1788 in Verbindung mit den Österreichern unter dem Prinzen von Koburg bei Fockschani und 1789 am Rimnik, und ward dafür in den russischen und österreichischen Reichsgrafenstand erhoben und mit dem Namen Rimnikski belohnt. Er war derjenige, welcher für den ehrgeizigen, hinterlistigen und undankbaren Potemkin die Schlachten schlug, deren Verdienst sich dieser anmaßte, und der um die Gunst der Kaiserin und ihres Günstlings Tausende von Soldaten opferte, um durch sein wildes Ungestüm und seine unaufhaltsame Energie den russischen Fahnen den Sieg zu erfechten.

So erstürmte er am 22. Dezember 1789 die Veste Ismail unter furchtbaren Menschenopfern, wobei türkischerseits binnen vier Tagen 33.000 Menschen niedergemetzelt und 10.000 gefangen genommen wurden, und er sich von der ungeheuren Beute der dreitägigen Plünderung nichts aneignete, nicht einmal ein Beutepferd, und allen Ruhm dieser Waffentat in serviler Schmeichelei seiner Kaiserin und ihrem Günstling Potemkin zu Füßen legte. Nach dem Friedensschluss wurde Suwarow Gouverneur der eroberten Provinzen und blieb mehrere Jahre in Cherson, wo er sein Hauptaugenmerk aus Errichtung einer guten Küstenverteidigung richtete. Als 1794 der Krieg gegen Polen ausbrach, erhielt er den Oberbefehl über die russische Armee, beendigte in dritthalb Monaten diesen erbitterten Krieg durch Gefangennehmung Kosziuskos, durch die Erstürmung von Praga und die Besetzung von Warschau, und wusste durch ein leutseliges Benehmen die Polen für sich einzunehmen. Zur Belohnung für diese guten Dienste ward er Feldmarschall. Katharina II. blieb ihm bis zu ihrem Tode (17. November 1796) sehr gewogen, und gestattete ihm nach dem Frieden gerne, dass er sich auf sein Landgut Kantschausk im Gouvernement Nowgorod zurückzog und im Kreise seiner Familie und seiner Nachbarn ein gemeinnütziges patriarchalisches Stillleben führte. Unter Kaiser Paul I. aber fiel Suwarow in Ungnade, weil Jenem hinterbracht worden war, dass der alte Feldmarschall sich über die vom Kaiser eingeführte neue kostbare Uniformierung geringschätzig und spöttisch geäußert hatte: Zöpfe seien keine Piken und Locken keine Kanonen. Gleichwohl musste der Kaiser sich doch bequemen, Suwarow wieder zu Gnaden anzunehmen, als es 1799 galt, die Siege der französischen Republik in Ober-Italien einzudämmen, und man keinen anderen Feldherrn fand, welcher den französischen Generälen die Spitze zu bieten vermocht hätte.

Suwarow zog daher als Generalissimus der russisch-österreichischen Heere im Frühjahr 1799 nach Italien, schlug die Franzosen bei Cassano, an der Trebbia und bei Novi, eroberte Alessandria und vertrieb die Franzosen aus Italien, und dies Alles trotzdem, dass ihm von Wien alle möglichen Kabalen gespielt und alle seine Anordnungen zu durchkreuzen versucht worden. Als er hierauf nach der Schweiz zog, um den Erzherzog Karl zu ersetzen, der nach dem Niederrhein berufen worden war, verbrachte er eine militärische Tat, welche nur wenige ihresgleichen in der ganzen Kriegsgeschichte hat. Mitte Septembers 1799 erschien er plötzlich mit einem Heer von 25.000 Mann und 5.000 Pferden am südlichen Fuße des Gotthard, welcher damals noch keine gebahnten Straßen hatte, drängte die
Franzosen trotz ihres tapferen Widerstandes zurück und gelangte als Sieger nach Altdorf. Hier aber musste er leider, nachdem durch die Fahrlässigkeit der österreichischen Verpflegungs-Kommissäre sein Heer zehn Tage lang beinahe verhungert war, erfahren, dass das österreichisch-russische Heer unter Korsakow, mit welchem er sich bei Zürich hatte vereinigen wollen, schon geschlagen war, dass die Franzosen alle Brücken der Reuß zerstört und alle Fahrzeuge aus dem Vierwaldstädter-See bei Fluelen weggenommen hatten. Es blieb ihm daher keine andere Wahl, als sich nach dem Bodensee zurückzuziehen, was er nur über ungebahnte Alpenpässe unter den unsäglichsten Schwierigkeiten und im steten Kampfe mit den Franzosen bewerkstelligen konnte. Er überstieg mit seinem um ein ganzes Drittel reduzierten Heere den Kinzig-Kulm-Pass, drang ins Muotta-Tal, wo er die Franzosen zurückwarf, zog dann über den Pragell- und Panixer-Pass und das Flimser-Joch nach Chur und von hier das Rheintal hinunter an den Bodensee und nach Lindau, und führte seinen Entschluss durch, sich und seine Russen nicht weiter von den Wiener Jesuiten missbrauchen und hinopfern zu lassen.

Dieser Zug Suwarows über die Alpen, mit all den Gefechten, Entbehrungen, Strapazen und Schwierigkeiten während voller drei Wochen, gehört zu den großartigsten Leistungen der neueren Kriegsgeschichte, und steht in jeder Hinsicht hoch über dem so vielfach bewunderten und gefeierten Übergang Napoleons über den großen Bernhard, denn Napoleon hatte seine Vorbereitungen zum Übergang zu treffen vermocht und sich mit Lebensmitteln versehen, und hatte keinen Kampf zu bestehen; der greise Suwarow aber musste sich den Übergang durch ein ausgesogenes und absichtlich noch unwegsamer gemachtes Gebiet erkämpfen. In Bayern und Böhmen auf dem Rückmarsche erhielt er den Befehl Kaiser Pauls, durch Mähren und Schlesien nach Russland zurückzukehren, und ward zum Zeichen der Zufriedenheit des Kaisers mit seinen Leistungen zum Generalissimus aller russischen Armeen ernannt. Während er aber, mitten im Winter, sein Heer nach Russland zurückführte und in Krakau ernstlich erkrankt war, gelang es seinen Neidern und Feinden in Petersburg, ihn bei dem geistes- und willensschwachen Kaiser anzuschwärzen; er geriet in Ungnade, weil er eine militärische Bestimmung des Kaisers von sehr untergeordneter Art nicht befolgt hatte. Er erhielt die Nachricht von dem „strengen Tadel“, welchen ihm der Kaiser in der schonungslosesten Form durch einen Tagesbefehl erteilt hatte, in Riga, und alterierte sich darüber so sehr, dass sein bedenklicher Krankheits-Zustand sich dadurch noch verschlimmerte; trotzdem setzte er seine Reise nach Petersburg noch fort, wo er am 2. Mai ankam, aber schon am 18. Mai 1800 starb und mit kaiserlichem Pomp im Alexander-Newski-Kloster beigesetzt wurde. Seine Grabstätte bezeichnen nach seinem eigenen Wunsche nur die einfachen Worte: „Hier liegt Suwarow“. Kaiser Alexander I. aber ließ ihm im kaiserlichen Garten zu St. Petersburg eine Kolossal-Bildsäule errichten, um sein Andenken zu ehren.
Suwarow war jedenfalls von Haus aus ein ganz origineller Charakter, wenn er auch absichtlich noch den Sonderling spielte, um unter dieser Maske besser schmeicheln zu können. Er war ein Mann von entschiedenem Geist, glänzenden Fähigkeiten und gediegenen Kenntnissen und mit den feinen Manieren der vornehmen Welt vertraut; er war gutmütig, aber auch ehrgeizig; wer ihm zu Ruhm und Ehrenstellen verhalf, der konnte auf ihn rechnen; und er vollzog den Willen seiner Herren auf die gewissenhafteste Weise, gleichviel ob es Potemkin, Katharina II. oder Paul I. war. Inmitten des sybaritischen Luxus, welcher ihn am Hofe umgab und ihn anwiderte, weil darunter so viel Rohheit, Schmutz und Gemeinheit sich barg, blieb er uneigennützig und einfach aus innerem Bedürfnis; und Bequemlichkeit. Er verachtete die Menschen und opferte sie erbarmungslos seinen militärischen Zwecken, aber er nutzte sie auch in anderer Weise aus; wie er seiner Kaiserin und Potemkin schmeichelte, so schmeichelte er auch dem rohen russischen Soldaten, indem er dessen Nahrung, Kleidung und Lebensweise teilte, jede Strapaze mit seinen Truppen ohne Murren ertrug, vor jedem Popen die Mütze abnahm, vor jedem Heiligenbild am Wege niederkniete, sogar manchmal im tiefen Kot, und inmitten eines glänzenden Generalstabs auf einem zottigen Kosakenpferdchen im unscheinbaren Wachtrocke erschien. Das höchste Gesetz war ihm blinder Gehorsam gegen die Befehle seiner Herren, und die Demut, welche er diesen gegenüber annahm, war einerseits eine berechnete, andererseits Ausfluss seiner angeborenen Geringschätzung äußerer Formen in Beziehung auf sich selbst. Originell sind seine kurzen Siegesberichte an die Kaiserin. Als er Ismail eingenommen, schrieb er ihr: „Ehre Gott und Ehre Dir, Ismail ist unser, ich bin hier,“ — und der Siegesbericht über die Erstürmung von Praga bestand nur aus drei Worten: „Hurrah! Praga! Suwarow!“ — worauf die Kaiserin ebenso lakonisch antwortete: „Bravo, Feldmarschall! Katharina.“ — Für seine Siege in Italien hatte ihn Kaiser Paul zum Fürsten Italijski und König Karl Emanuel zum Prinzen von Sardinien, Granden des Reichs und Großfeldmarschall der piemontesischen Armee ernannt, aber der siebzigjährige Greis konnte sich dieser hohen Ehren nicht mehr lange erfreuen.

Suwarow

Suwarow

Suwarow_

Suwarow_

Russland 093. Ein Gardekosak in Paradeuniform

Russland 093. Ein Gardekosak in Paradeuniform

Russland, Winter, Pferdeschlitten

Russland, Winter, Pferdeschlitten

Russland 035. Moskau, Basilius-Kathedrale (Erbaut 1554-1557)

Russland 035. Moskau, Basilius-Kathedrale (Erbaut 1554-1557)