Weibliche Erziehung in Nordamerika

In keinem Lande wird für die Bildung des weiblichen Geschlechts so viel Sorge getragen, als in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Eine ganz ungebildete Amerikanerin ist eine Seltenheit, und nur unter den deutschen Amerikanerinnen oder Kreolinnen zu finden.

Die reichen Familien senden ihre Töchter gewöhnlich nach Boston, New-Vork, Philadelphia oder Baltimore, in die sogenannten Boarding-schools (Damenschulen). Es gibt deren von mancherlei Abstufungen. In den besten Anstalten ist der Preis für ein Jahr Unterricht mit Kost, Wohnung und Wasche, jedoch ohne das, was für die Nebenstunden bezahlt wird, 4 bis 600 Dollars.*) Die Unterrichts-Gegenstände sind: grammatikalisch richtig Lesen und Schreiben, Mathematik, Zeichnen, Landkarten-Entwürfe, Geographie und Astronomie, Öl- und Samt-Malerei, Welt- und vaterländische Geschichte, französische und italienische Sprache, — Singen, Pianoforte, Harfenspiel, und seine weibliche Arbeiten.


Die Lehrmeister geben ihre Stunden in der Unterrichtsanstalt, die immer von einer bejahrten Dame von vorzüglich gutem Rufe geleitet wird. Jede Woche werden die Zöglinge ein- oder zweimal in die besten Familiengesellschaften eingeführt, wo sie den Nachmittag und Abend zubringen. Der Unterricht dauert ein bis zwei Jahre, und ist gewissermaßen die letzte Politur, welche die jungen Damen erhalten. Auf Sittlichkeit wird streng gesehen. Gewöhnlich ist die Zahl der schönen Zöglinge zwischen zwanzig und vierzig. Aus diesen Unterrichtsanstalten gehen Jungfrauen hervor, die an Bildung denen jeder andern Nation an die Seite gestellt werden können. Ich sah Landkarten, Gemälde und wissenschaftliche Versuche von ihnen, die Meistern Ehre gemacht haben würden.

*) Ein Dollar kommt ungefähr einem Speciesthaler gleich.