Über das Volksmährchen vom wilden Jäger

Noch vor dreißig Jahren hörte ich überall auf dem Lande von der Wode oder dem wilden Jäger erzählen, und es verging kein Jahr, in welchem man diesen Spuck nicht hie oder da gehört haben wollte. In den letzten Jahrzehnten aber scheint dieses, wie so manches andere Volksmährchen, bei uns ganz außer Credit gekommen zu sein, wenigstens ist mir keine Kunde zu Ohren gekommen, dass mit Ausnahme der leichtgläubigen Odenwälder, irgend ein Zeitgenosse die wilde Jagd anderswo gehört oder gar gesehen hätte, als im Freischützen, in welchem sie ohne Gefahr für das Volk auch ferner lustig dahin ziehen kann. Wünschenswert wäre es indessen, dass ein auf dem Lande lebender, und mit den noch vorhandenen abergläubischen Vorstellungen der Niedern Volksklasse bekannter Mann in diesen Blättern Nachricht erteilte, ob noch irgendwo in unsrer Provinz der Glaube an den Förster Hackelberg, wie der wilde Jäger auch genannt wurde, sich finde, und im Fall, dass dies sein sollte, welche Veränderungen die Sage im Laufe der Zeit etwa erfahren habe. —

Denen, welche mit dem Inhalte dieses Volksmährchens nicht bekannt sind, mag folgender Bericht, welchen man in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in öffentlichen Blättern las, nicht unwillkommen sein. Zu Villedieu in Frankreich ließ sich nämlich, dem Schreiben eines dasigen Predigers Combis zufolge, drei bis vier Wochen lang, alle Abende gegen sieben und acht Uhr ein wunderbares Getöse und Geheul, als ein Gebell von einer zahlreichen Koppel Hunde mit abwechselnden Stimmen in der Luft hören. Man unterscheidet, sagt jener Prediger, vornämlich der Stimme eines Leithundes ganz bestimmt, welcher ein Wild zu jagen scheint und Anführer ist. Alle übrigen Stimmen sind nicht so stark oder grob, sondern entweder heller oder dumpfer. Diese Jagd kommt aus den benachbarten Waldungen. Das Hundegebell ist vollkommen, und zieht, des Abends über den Köpfen der um es zu hören, zahlreich versammelten erschrockenen Zuhörer weg. Kurz, es ist ein Hundechor in der Luft oder in dem Gehölze, dem es bloß am Jagdhorn fehlt.


Wie soll man sich nun dieses in Frankreich und auch bei uns beobachtete Phänomen, welches der zum Aberglauben geneigten und Gespensterfurcht gepressten Phantasie der Landleute, als ein Gebell von Hunden vorkam, erklären? —

Wenn man die neuen Entdeckungen im Gebiete der Akustik kennt, und namentlich das vergleicht, was vor einigen Wochen in der Berliner Zeitung von des berühmten Perry Reisegesellschaftern zu lesen stand, welche sich ohne Hülse eines Sprachrohrs in fast unglaublicher Entfernung mit einander verständigt haben, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass in vielen Fällen jenes Geräusch nichts anders war als der Wiederholt einer in meilenweiter Entfernung wirklich stattfindenden Jagd, welche zwischen Bergen und in Wäldern, und unter andern besonders günstigen Umständen sich so weit fortpflanzte. Indessen verdient die von Halle (in seiner fortgesetzten Magie Th. 1. S. 444) zu jenem erzählten Vorfalle gemachte Bemerkung gewiss beherzigt und geprüft zu werden.

„Ich habe“, sagt er, „dieser Jagd selbst vor einigen Jahren zu Kirchrode, bei der Stadt Hannover, an einem finstern Abend beigewohnt; Alles war, wie es der Landprediger in der Berliner Zeitung beschreibt, längs der Seite eines Waldes. Die ganze Sache spielt ein Zug von Wasserschnepfen, wenn sie wegziehen wollen, etwa im Oktober, und der Anführer lockt die noch in den Sümpfen im Gehölze zerstreuten Schnepfen an den Rand des Waldes zu sich, ehe sie sich in die Luft heben. Der jetzige ganz gelinde Herbst hat diese Zugvögel, welche der Frost sonst in die warmen Brüche dicker Wälder verbannt, in die Überschwemmungen der Gehölze, wo sonst keine waren, gerufen, und dass alle Zugvögel ihren Skanderbeg haben, der sich den Menschen am meisten nähert, und also lauter anschlägt, ist bekannt. Die Stille und Dunkelheit des Abends, und der Wiederschall von Wildern und Bergen auf die Häuser, und vielleicht auch das von den Hühnerhunden abgelernte Gebelle, wird das Wunder vollends enträtseln, der Frost aber gewiss mit einmal endigen.“

Unsere Jagdliebhaber und andere Männer, welche von ihrem Berufe geleitet sich häufig zur Abendzeit in Wäldern aufhalten, mögen entscheiden, wie viel Wahrscheinliches in dieser Erklärungsart liegt, oder statt derselben einen andern aus ihrer Erfahrung entlehnten Aufschluss geben. Sie werden damit dem Publikum ein willkommenes Geschenk machen.