Kriegs-Bilder. Napoleon, Februar 1809

Es war im Februar des Jahres 1809 als Napoleon täglich, zur Eröffnung des österreichischen Feldzugs an der Donau, in Stuttgart erwartet wurde. Schon waren die Festlichkeiten zum Empfang angeordnet, die Garde-Offiziere zu seiner Wache und Ordonanz bestimmt, und von den Truppen der stolze Kaisergruß, das „Salve Imperator“ oder „Vive l’Empereur“ eingeübt — aber der Kaiser kam nicht. Ununterbrochen zogen starke Abteilungen seiner glänzenden Garde durch die Residenz, und auf der Militär-Straße, wo das herrliche Regiment „les Dragons de l’Imperatrice“ in einer Ausdehnung von acht Stunden als bestimmte Eskorte Napoleons in vier Relais lag, wimmelte es von französischen Truppen aller Gattung, die ungeduldig fragten: „l’Empereur est-il déjá passé?“

In einer düstern, von Sturm und Regenschauern erfüllten Nacht, als ich wachhaltender Hauptmann der Schlosswache war, klopfte die Schildwache vor dem Gewehr an das Fenster des Offizierszimmers, und zeigte an, dass sie Feuer sehe. Wirklich war am Himmel ein hochroter Schein zu erblicken in der Richtung nach Ludwigsburg; auch der Turmwächter hing bald die Feuerlaterne nach dieser Seite aus, und gab mit der bestimmten Glocke das Zeichen.


Auf ausdrücklichen, königlichen Befehl musste jedes Feuer bei Nacht in der Nähe der Residenz in die Garderobe gemeldet werden. Schon wollte ich einen Unteroffizier dazu abschicken, als plötzlich ein dumpfes, mit jeder Sekunde zunehmendes Getöse gehört ward, die Erde davon zu beben schien, und eine wunderbare Helle, wie vom Schein eines Nordlichts, sich im Nu über den ganzen Himmel verbreitete. „Der Kaiser kommt!“ rief atemlos, auf schaumbedecktem Pferde, ein wild vorbei in den Schlosshof sprengender Leibjägeroffizier, und das Rätsel — war gelöst.

Halloh! Halloh! als wenn der wilde Jäger streift,— so kam’s heran, dass die Seele freudig erschauderte. Voraus, als Kleffer durch die Rabennacht — ein Haufen pechschwarzer Reiter, im sausenden Galopp über das Steinpflaster hin, dass die Funken des Hufschlags weit umher sprühten. Hinter d'rein — in hellen Flammen tobte — das wütende Heer.

Den Zug eröffnete die Leibschar des Königs mit verhängtem Zügel. Dann kam der Kaiserwagen, von seiner Bedeckung mit Fackeln in der Hand umgeben, wie ein rasender Waldstrom im Wetterleuchten daher getobt. Die im Sturm hoch aufflammenden Fackeln — die wild empor gesträubten Rossschweife auf den blinkenden Dragonerhelmen der Reiter — das Schnauben der Rosse, und der feurige, stinkende Pechqualm, worin der ganze Zug gehüllt war, gaben ihm ein wahrhaft höllisches Ansehen. So — und nicht anders müsste Satan erscheinen — wenn er in seiner Glorie der Oberwelt einen nächtlichen Besuch machen wollte.

Kaum hielt der feurige Wagen vor dem Schloss — war das „Vive l’Empereur“ der Eskorte feierlich durch die Nacht geschollen, als Duroe auch schon vor mir stand und mit Artigkeit sagte: „les Grenadiers garderont les Appartements de l’Empereur.“ Im Krönenden Eilschritt ging es ins Schloss, und ich empfing den bestimmten Befehl, nur Militärs passieren zu lassen.

Es war ein erhabener Anblick, Napoleons rühmgekrönte Marschälle, einen Berthier, le Brun, Oudinot, Lannes und Rapp; seine Kavaliere: einen Duroc, als Maréchal du Palais, Montbrun und Caulincourt, als Groß-Stallmeister, und die edelsten, jungen, feurigen Franzosen, als Ordonanz-Offiziere, in glänzenden Uniformen bunt gemischt auf persischen Teppichen in den Vorzimmern ihres Herren feldmäßig gelagert zu sehen; stolz verschmähend die üppigen Betten, welche für sie eingerichtet waren. Den ersten Platz unter ihnen behauptete Rusdan, Napoleons Leibmamluck, welcher mit hündischer Treue den Eingang zu seinem Herrn bewachte, jeden Eintretenden mit schwarzen, hellfunkelnden Augen misstrauisch maß.

Napoleon nahm nach seiner Gewohnheit noch ein warmes Bad; speiste allein mit Berthier, und begab sich zur Ruh.

Kaum graute der Morgen, als sich auch schon Alles regte; Rusdan sein Lager vor der Türschwelle Napoleons verließ; das Kabinett leise öffnete, und hinein schlich. „Officier d’Ordonnance“ rief es bald heraus, und nun ging das Kriegsleben an. Die Vorzimmer Napoleons glichen einem Bienenkorb: es summte herein und hinaus; Offiziere von allen Truppen-Gattungen kamen und rapportierten. Endlich trat Napoleon aus seinem Kabinett — wie leblose Büsten standen alle Marschälle und Offiziere, seine Befehle vernehmend. Nur der General Rapp zeigte allein eine gewisse Ungezwungenheit, und schien, auf Napoleons schärferen Blick, der ihn deshalb traf, nicht viel zu achten.

Ich ward inzwischen von der Garde du Corps abgelöst, die eigentlich zur Kaiserwache bestimmt war, in der Nacht aber von Duroc ausdrücklich verbeten worden. Das warum? wird Jeder erraten, der Napoleon kannte.

Das Garde-Regiment stand zur großen Parade vor dem Schlosse aufmarschiert. Napoleon kam. „Mes Grenadiers Wurtembergois,“ war der schmeichelhafte Ausdruck, als er von uns mit seinen Generalen sprach. Wie er die Front entlang reiten wollte, kam er zuerst an mich, den Offizier des rechten Flügels. Er hielt einige Augenblicke sein Pferd an; musterte mich mit durchdringendem Blick, und ritt grüßend vorüber. Wir legten Ehre ein mit der Parade. Er lobte die Leute; ihre Haltung und die Proprete. Dann marschierten wir vorbei mit einem lauten „vive l'Empereur!“

Es war Lever, und dann große Tafel. Napoleon erschien sehr einfach, jedoch in der Infanterie-Uniform, wider die gewöhnliche Art sich zu kleiden, in Schuhen und Strümpfen, und stach gewaltig gegen seine Marschalle in glänzender Uniform ab. Dies schien aber auch stets seine Absicht zu sein, denn wo ich ihn auch noch später sah, war er immer einfach gekleidet; seine Umgebung dagegen im größten Galla. Viel unterhielt er sich mit der Prinzessin Luise von Württemberg, Nichte des Königs, einem holdblühenden, geistvollen Mädchen. Er war sehr artig gegen sie, stand immer in einer geneigten Stellung, und hielt seinen Hut mit solchem Anstand, wie ich nie wieder gesehen. Seine Augen hatten eine seltene Lebhaftigkeit; das Weiße darin glänzte wie das schönste Email, ein Zeichen der schärfsten Sehkraft.

Die Tafel ging spät an; dauerte aber nicht lange, denn Napoleon speiste gewöhnlich nur zehn Minuten. Auch als Gast machte er keine Ausnahme. Es ward Kaffee gereicht, und nach einem lebhaften Gespräch, zwischen Napoleon und dem König, ging es in die italienische Oper, worin er langweilige Gesichter schnitt. Hoch vor Beendigung derselben zog er sich in sein Kabinett zurück, und arbeitete mit Berthier.

Mit dem frühesten am andern Morgen, standen wir aufmarschiert, und begrüßten den merkwürdigsten Mann unsers Jahrhunderts mit einem „vive l'Empereur“ bei seiner Abreise. In tiefen Gedanken saß er in seinem Wagen, dessen innere Wände überall mit Landkarten behängt waren, und schien auf nichts zu achten, was um ihn vorging. Nur bei dem ,,vive 1'Empereur“, fuhr er mit dem Kopf in die Höhe und nickte. Bald verkündeten seine glänzenden Siege, dass er — gedacht hatte.