Die St. Marienkirche in Stralsund

Die St. Marienkirche in Stralsund, deren Turmspitze wir jahrelang beschädiget sahen und neulich mit so viel Mühe und Gefahr herstellen gesehen haben, steht schon über fünf Jahrhunderte: ihr jetziger Turm aber ist ungleich später erbaut. Im Jahre 1416 machte man mit dem Ausgraben des Grundes für den Fundamentbau den Anfang, und grub 48 Fuß tief; mit der weggeschafften Erde ward der Schiffswerft am Hafen aufgeschüttet. Da der Boden sich jedoch auch in dieser Tiefe noch weich fand, ward er mit einem Rost- und Pfahlwerk von Ellernholze versehen und auf diesem der Bau begonnen. Die Vollendung des Mauerwerkes erfolgte erst im Jahre 1462, obgleich 350 Maurer daran arbeiteten. Es besteht vorzüglich aus vier 150 Fuß hohen Pfeilern, jeder 24 Fuß ins Gevierte, und zusammen gegen drei Millionen Steine in sich fassend; und steigt im Ganzen zu einer Höhe von 200 Fuß hinan. Grade ebenso hoch, vielleicht noch etwas höher, ward die Spitze, in der Form einer ununterbrochenen achteckigen Pyramide errichtet, und zwar im Jahre 1478, durch einen Zimmermann Hans Rose, der nur Eine Hand und an derselben nur Zwei gesunde Finger besaß. Diese Arbeit währte drei Jahre und vorher hatte der Bau zehn Jahre lang gewährt. Der ganze Turm maß, mit der eisernen Helmstange, 410 pommersche Fuß: nach andern Angaben, und vielleicht nach etwas kleinerem Maßstabe, 528 oder gar 600 Fuß, und galt für den höchsten Turm an der Ostseeküste.

Allein schon im Jahre 1495 warf ein Sturm den Hahn, den Knopf und die Stange hinab in die Bleistraße: doch ward die Spitze bald wieder hergestellt.


Im Jahre 1537 zerbrach ein Sturm den Markbaum (die durch die ganze Spitze hinaufsteigende hölzerne Säule) der Hahn fiel in den Pfarrhof, Knopf und Stange aber auf die Kirche, deren Gewölbe großen Schaden litt. Nach zwei Jahren ward indes Knopf und Hahn wieder aufgesetzt.

Im Jahre 1543 schlug der Blitz in den Turm und 1552 in die Kirche; jedoch ohne bedeutenden Schaden zu tun. Am 10. August 1647 aber traf Nachmittags um 4 Uhr ein Gewitterstrahl die Turmspitze nahe am Kopfe und gegen Abend stand der Turm in vollen Flammen und brannte bis auf das Mauerwerk hinab. Ein Teil der Spitze fiel auf das Kirchendach, zerschlug das Dach nebst dem Gewölbe und brachte das Feuer ins Innere der Kirche; so dass die große Orgel mit vierundzwanzig Blasebalgen, Taufe, Kanzel und alles übrige Holzwerk bis auf zwei Kirchenstühle verbrannte. Zwar ward das Dach mit dem kleinen Turme, das Gewölbe und das Innere sogleich hergestellt und schon im folgenden Jahre begann der Gottesdienst in der Kirche von Neuem. Der große Turm aber konnte nur mit einer flachen, sogenannten Haube bedeckt werden.

Erst im Jahre 1708 schritt man zum Bau einer neuen kleineren, aber, dem damals herrschenden französischen Geschmack gemäß, zierlicheren Turmspitze, die 1710 vollendet ward, und dieselbige ist, welche der Turm gegenwärtig trägt.

Die Höhe des ganzen Turms ist jetzt, nach den neuesten, jedoch vielleicht noch nicht ganz genauen, Messungen, 318 Fuß pommerschen oder 342 Fuß preußischen Maßes.