XI. Die Sündflut.

l. Wohl Niemand, der ohne Voreingenommenheit die bisherigen Erörterungen verfolgt und geprüft hat, wird mir und Howorth Unrecht geben, wenn wir behaupten, die gegenwärtige Gletschertheorie sei ganz und gar nicht imstande, jene Phänomene zu erklären, die man bisher als Gletscherwirkung angesehen, und man müsse daher zu einer Fluttheorie greifen. Nun wissen wir ganz bestimmt, dass einmal auf Erden eine große Flut eingetreten ist - die Sündflut - und wir wissen es, weil die göttlich inspirierte heilige Schrift und die Traditionen aller bekannten Völker es uns als Faktum verbürgen; es ist dies Faktum weit mehr verbürgt, als jedes andere geschichtliche Ereignis. Es fragt sich aber, ob wir in der Sündflut jene große Flut erblicken dürfen, welche das plötzliche Verschwinden der großen Diluvialtiere in den fünf Erdteilen, die große Anschwemmung von Gesteins- und Schuttmaterial u. s. w. bewirkte. Ich bejahe es unbedenklich, auch wenn diese Annahme bei der Mehrzahl der Geologen und selbst bei manchen Theologen auf den entschiedensten Widerspruch stoßt; es hängt einzig und allein davon ab, wie man sich die Sündflut vorstellt. Es dürfte daher sehr zweckdienlich sein, wenn wir uns zuerst auf Grund der Bibel ein richtiges Urteil über die Größe, den Verlauf und die Zeitdauer der Sündflut bilden.

2. Nach Dr. Holzammer (Schusters Handbuch zur biblischen Geschichte) ist es eine offene Frage, ob die Sündflut eine allgemeine oder bloß teilweise war. Die Kirche hat darüber nichts entschieden. Deshalb konnte der gelehrte Benediktiner Mabillon im 17. Jahrhundert und in neuester Zeit Pianciani S. J., Präsident des philosophischen Kollegs der römischen Universität, einer bloß partiellen Überflutung, die zwar alle Menschen in den damals bewohnten Gegenden, nicht aber alle Tiere vernichtete, das Wort reden. Allein aus diesem Schweigen der Kirche kann nicht gefolgert werden, daß beide Ansichten gleich gut begründet seien. Es scheint denn doch die Ansicht von einer vollständigen Überflutung der Erde den Vorzug zu verdienen. Darauf deuten die Stellen der heiligen Schrift (Gen. cap. 6 et 7): Ecce ego adducam aquas diluvii super terram, ut interficiam omnem carnem, in qua spiritus vitae est subter coelum; universa quae in terra sunt, consummentur (cap. VI, 17). Delebo omnem substantiam, quam feci, de superficie terrae (cap. VII, 4). Opertique sunt omnes montes excelsi sub universo coelo. Consumtaque et omnis caro, quae movebatur super terram, volucrum, animantium, bestiarum, omniumque reptilium, quae reptant super terram, universi homines et cuncta, in quibus spiraculum vitae est in terra, mortua sunt (cap. Vii, 19, 21, 22). (Das scheinen auch der Strafcharakter der Flut, die Anordnungen betreffs des Baues der Arche und der Bericht über das Sinken des Wassers zu fordern.) Deshalb stimmen auch alle heiligen Väter in der Annahme der Allgemeinheit der Flut überein. Bezeichnend sind die Worte des heiligen Ehrysostomus in der 25. Homilie zur Genesis: „Weil die Erde einer allgemeinen Reinigung bedurfte und es notwendig war, von ihr jede Makel abzuwaschen und alles Ferment der Ruchlosigkeit zu vertilgen, so dass an derselben keine Spur mehr davon übrig bleibe, und eine gänzliche Erneuerung eintrete, handelte Gott wie ein kluger Werkmeister, wenn er sieht, wie sein kunstvolles Gefäß von überhandnehmendem Roste verzehrt wird. Er wirft es ins Feuer, um es vom fressenden Roste zu befreien und ganz gereinigt in seinem früheren Glanze wieder herzustellen. So also erneuerte auch Gott der Herr die ganze Erde durch diese Wasserflut.“


3. Wenn der Zweck des Strafgerichtes, wie fast alle Theologen zugeben, darin bestand, alle Menschen mit Ausnahme des Noe und seiner Familie zu vertilgen, wie hätte hierzu eine partielle Überflutung, etwa in Mittelasien, hinreichen können? Konnten nicht Menschen in den 2 oder 1½, Jahrtausenden nach Erschaffung des Adam in den fernsten Gegenden sich ansiedeln? Konnten nicht einzelne beim Herannahen der Flut auf die höchsten Berge sich flüchten? Der Einwand, dass in solchen Höhen mangels atembarer Luft Niemand leben könne, geht nicht an, da mit dem Steigen der Wasserflut auch jene Luftschichten stiegen, welche das Atmen und Leben ermöglichten. Auch Nahrungsmittel hätten in diesem Falle kaum gefehlt, da nach Schlagintweit noch bei einer Höhe von l8-19,000 englische Fuß Säugetiere angetroffen werden, und bei der Sündflut die Tiere noch höher sich geflüchtet hätten. Wozu hätte es bei einer partiellen Überschwemmung des Baues der Arche und der Sammlung aller Tiere über der Erde bedurft? Wollte Gott den Noe und seine Familie retten, so hätte der Befehl: ,.Egredere de terra tua et de cognatione tua“ bei Noe sicher den gleichen Erfolg gehabt wie bei Abraham, und Buße predigen hätte Noe die 120 Jahre zuvor ebenso gut können wie beim Baue der Arche. Alle Vögel und Tiere des Landes, welche Gott retten wollte, in der Arche unterzubringen, war nur durch besonderes Eingreifen Gottes möglich, der sie zum Wohnplatz des Noe dirigierte. Wenn nun Gott überhaupt besonders eingreifen musste, um die Tiere der Arche zuzuführen, warum hat er nicht vielmehr dieselben in jene Länder ziehen lassen, die von der Überschwemmung verschont geblieben sein sollen, da dies doch einfacher gewesen wäre? Wozu hat Noe vollends auch von den Raben einige Exemplare zu sich in die Arche genommen, obwohl diese wenig anspruchsvollen Vögel überall in den nicht überfluteten Gegenden ihr Fortkommen hätten finden und sich von da aus nach dem Ende der Sündflut über die ganze Erde hätten verbreiten können? Dies alles macht die Allgemeinheit der Flut, wenn auch nicht gewiss, so doch sehr wahrscheinlich.

Ich will diesen Schluss besonders betont wissen. Denn wenn ich auch den Anhängern der partiellen Sündflut nicht bestreiten will, dass die Ausdrücke „omnes montes“, „universa quae in terra sunt“ nötigenfalls im ein-geschränkten Sinne verstanden werden können, obwohl sie auf den Leser keineswegs diesen Eindruck machen, so erinnere ich sie aber an das Unterbringen der Tiere in der Arche und namentlich des ganz anspruchslosen Raben. Können die Anhänger einer partiellen Sündflut wirklich glauben, der allweise Gott hätte dem Noe die Mühe gemacht, während eines Jahres nicht bloß für so viele Landtiere, sondern auch für sonst anspruchslose Raben zu sorgen, obwohl er sie eben so leicht in die angeblich von der Flut verschont gebliebenen Länder dirigieren konnte, wenn sie nicht überhaupt schon dort existierten? Ich glaube, diese Anordnung Gottes bezüglich der Tiere, namentlich der Raben, nötige Jedermann zur Annahme einer universellen Flut. Man hat allerdings versucht (siehe „Seelsorger“, Paderborn 1889), die Unterbringung der Tiere in der Arche damit zu begründen, dass man sagte, Noe musste (reine) Tiere zur Hand haben für die Opfer, welche er in der Arche selbst und gleich nach dem Verlassen derselben darbrachte, und musste auch den nötigen Lebensunterhalt und die Mittel besitzen, die frühere Lebensweise als Hirt und Ackerbauer sofort wieder aufzunehmen. Allein diese Begründung ist gänzlich missglückt. Die heilige Schrift ( Gen. 7, 3; 6, 20) gibt als Grund der Unterbringung in der Arche nicht die Opfer, nicht den Lebensunterhalt an, sondern einzig und allein die Rettung der Tiere für die ganze Erde: „ut salvetur semen super faciem universae terrae“ und „ut possint vivere“. Diese Rettung war der Hauptzweck, alles Andere nur Nebensache. Damit ist die Annahme, dass nicht alle Tiere außer der Arche zu Grunde gingen, ausgeschlossen; denn wäre außer der Arche ein Teil gerettet worden, dann war die Unterbringung der übrigen in der Arche nutzlos und überflüssig; es war dann für „semen super faciem universae terrae“ durch die außer der Arche befindlichen gesorgt. Für den Fall aber, dass in die Arche andere Gattungen von Tieren aufgenommen wurden, als angeblich außer der Arche gerettet wurden, ist wiederum zu konstatieren, dass es dann der Arche hierzu nicht bedurft hätte; es war viel einfacher, auch diese Tiere in die nicht überschwemmten Gegenden ziehen zu lassen. Bedurfte Noe ferner zum Unterhalte oder zu Opfern, oder als Hirt und Ackerbauer de volucribus juxta genus suum (Gen. 6, 20) oder gar „ex omni reptili terrae juxta genus suum“??

Wozu der Rabe, der eigens erwähnt wird, da er doch von Noe weder gegessen noch geopfert noch zur Weide oder zum Ackerbau verwendet wurde? Ich halte solch eine Begründung für zu seicht, als dass man sie weiterer Beachtung würdigen sollte.

Auch die Pflanzenwelt führt man gegen die Allgemeinheit der Sündflut ins Feld. „Manche Pflanzenarten mussten sicherlich zu Grunde gehen, weil sie die ein Jahr dauernde Überschwemmung nicht ertragen konnten,“ heißt es (Seelsorger 1889, S. 465). Ich bin wirklich begierig zu erfahren, welche Pflanzen resp. Samen oder Wurzeln von Pflanzen infolge einer 12 Monate dauernden Bedeckung (durch Wasser oder Schlamm) hätten zu Grunde gehen müssen. Solange nicht Belege für obige Behauptung beigebracht sind, halte ich mich an den Grundsatz: Quod gratis asseritur, gratis negatur.

4. Der Bericht über den Verlauf der Sündflut, den Herder mit Recht ein ausführliches Tagebuch nennt, sagt (cap. VIII, 4, 5), dass erst am 27 Tage des 7. Monates die Arche auf den Bergen Armeniens sich niederließ, obwohl die Gewässer schon lange zuvor fortwährend sanken, und dass erst 2. Monate 13 Tage später die Gipfel der nächsten Berge emportauchten. Bei seinem höchsten Stande überflutete also das Wasser auch den Berg Ararat bedeutend, wo sich die Arche niederließ, sowie alle anderen Berge. Da der Ararat 16-17,000 Fuß hoch ist, schließt P. Bosizio (Geologie und Sündflut), dass die Gewässer höher als 17,000 Fuß gewesen seien. Es ist dies freilich kein einwandfreier Schluss, da wir keine Gewissheit dafür haben, dass der Ararat auch schon zur Zeit der Sündflut so hoch gewesen und nicht erst später in die Höhe geschoben worden sei, wie die Geologen bei manchen Ländern sicher nachweisen zu können glauben. Allein auch die Geologen haben keinen einzigen Beweis, dass der Ararat früher weniger über das Meer hervorgeragt habe als jetzt, und so können wir mit Recht als wahrscheinliche Höhe der Wasserflut mehr als 17,000 Fuß annehmen. Aus solch riesiger Höhe hätte sich aber das Wasser unmöglich so lange (2-5 Monate lang) halten können, wenn nicht die ganze Erde, sondern nur ein Teil derselben überflutet gewesen wäre. Hier ist auch der Ort, die Ansicht von Hugo Müller zu erwähnen, nach welcher nur ein Teil Mittelasiens überflutet gewesen sei, indem er nach dem Ararat hin langsam über 5000 m unter dem Meeresspiegel gesunken sei und dann sich wieder erhoben habe. Außer obigen Gründen spricht gegen diese Ansicht der Umstand, dass die heilige Schrift die Ursache der Überflutung zu genau angibt, nämlich das Öffnen der Schleusen von oben und unten während 40 Tage, wonach also zunächst wolkenbruchartiger Regen, nicht aber das Meer, die Überschwemmung veranlasste. Die Zeitdauer dieser Überschwemmung gibt die heilige Schrift auf ein Jahr an. Denn am 17.Tag des 2.Monates begann der Regen und nach 1 Jahre, am 27.Tag des 2. Monates, war die Erde trocken.

Dieser Verlauf innerhalb eines Jahres gilt natürlich nur von der Flut in der Nähe des Ararat; andere Länder dagegen können noch Jahrhunderte lang mit den Sündflutgewässern bedeckt gewesen sein, von denen noch Überbleibsel zur Zeit des Strabo und Eratosthenes existiert haben mögen, da diese Geschichtsschreiber Babylon und Susa als Seestädte bezeichnen, während sie jetzt weit vom Meere entfernt sind. Die Ansicht vertritt Dr. Holzammer, indem er schreibt: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass weite Landstrecken, hohe Gebirgstäler u. s. w. noch jahrhundertlang mit Wasser bedeckt blieben, welches zeitweilig gewaltige Überflutungen veranlasste.“ Hiermit steht auch in Übereinstimmung die Überlieferung der ältesten Völker. Die Inder, Chinesen, Babylonier, Ägypter wissen von großen Wasserbauten ihrer ersten Herrscher zu erzählen, die sich bemühten, die zurückgebliebenen Wasser der Flut abzuleiten, so Kassiopa in Kaschmir, Jav in China, Manes in Ägypten, Bel in Assyrien, Ogyges nnd Deukalion in Griechenland. Pythagoras bezeugt, einen Anker auf dem Gipfel eines Berges gefunden zu haben, der also früher überflutet war.

5. Diese Art von Sündflut, die nichts Widersinniges enthält und jedenfalls als möglich zugegeben werden muss, wird nun von Vielen verworfen. So erklären es die Wiener Universitätsprofessoren Dr. Neumayr (Geschichte der Erde) und Dr. Süß (Das Antlitz der Erde) als eine meteorologische Unmöglichkeit, dass die Wasserflut eine allgemeine und so hohe gewesen sei, weil es nicht so viel Wasser in der Atmosphäre gebe, dass es vierzig Tage aus der ganzen Erde in so ausgiebiger Weise regnen könne. Dass gegenwärtig ohne besonderes Eingreifen Gottes eine solche allgemeine Überflutung durch Regen vom Himmel nicht mehr möglich sei, mag allerdings auf Wahrheit beruhen. Aber waren denn die atmosphärischen Verhältnisse immer dieselben? Und selbst, wenn diese Frage bestimmt bejaht werden könnte, wofür aber kein Beweis zu erbringen ist, dann bleibt noch das unmittelbare wunderbare Eingreifen Gottes übrig, welches überhaupt in der Sündflut zu Tage tritt. Wir wissen aus der Bibel, daß die Erde ehedem ganz mit Wasser bedeckt war, ehe Gott das Licht erschuf. Am zweiten Schöpfungstage teilte Gott die Gewässer und schied sie in Gewässer unter dem Firmament und über dem Firmament. Nimmt man nun an, dass unter den Gewässern über dem Firmament nicht die relativ geringe Dunsthülle um die Erde (Atmosphäre), sondern noch andere weiter entfernte Dünste oder Wassermassen zu verstehen seien (wie denn auch die Spektralanalyse das Vorhandensein von Wasserstoff auf vielen Himmelskörpern nachgewiesen hat), dann steht genug Wasser zur Verfügung, welches Gott zur Erde dirigieren kann. Und derjenige, der die Gewässer früher von der Erde weg über das Firmament setzte, konnte sie gewiss auch wieder zur Erde leiten. Daraus scheint auch das Verschwinden der Sündflutgewässer hinzudeuten; denn es heißt nicht, dass das Wasser durch Eindringen in den Erdboden, sondern durch den Wind, d. h. durch Verdunstung sich vermindert habe. Hiermit kann auch das Erscheinen des Regenbogens zusammenhängen, der früher bei anderer Atmosphäre unmöglich war. Von einer meteorologischen Unmöglichkeit einer so großen Flut kann somit nicht die Rede sein.

Aber, entgegnet mir Breitung S.J. (Zeitschrift für kath. Theologie, 1887), dazu wäre „eine unabsehbare Menge der erstaunlichsten Wunder nötig, von denen die heilige Schrift, die uns doch so nachdrücklich immer und immer wieder die Großtaten des Herrn ins Gedächtnis ruft, nichts berichtet. Die klaren und soliden Prinzipien einer wahrhaft christlichen Philosophie und Theologie, sowie die eindringlichsten Mahnungen der größten Kirchenlehrer wollen uns den unüberlegten Appell an die göttliche Wundermacht verbieten“. Was soll ich darauf erwidern? Ich antworte: Mich wundert nur, dass manche moderne Theologen - ähnlich den Rationalisten solche Scheu vor Wundern haben, da doch die heiligen Kirchenväter, die in Theologie gewiss keinem heutigen Theologen nachstanden, samt und sonders ohne irgend ein theologisches Bedenken für die Allgemeinheit der Sündflut eintraten und somit „eine unabsehbare Menge der erstaunlichsten Wunder“ mit in Kauf nahmen. Durch diese Tatsache allein wird auch klar, dass „die größten Kirchenlehrer mit ihrer Warnung vor dem unüberlegten Appell an die göttliche Wundermacht“ etwas ganz anderes verstehen. Übrigens kann ich es nicht als richtig anerkennen, dass von diesen erstaunlichen Wundern die heilige Schrift nichts berichtet. Explicite allerdings nicht, aber implicite. Wenn es in der heiligen Schrift heißt, dass „ein neuer Himmel und eine neue Erde’’ werde, so enthält diese Erneuerung eine „unabsehbare Menge der erstaunlichsten Wunder“, von denen die heilige Schrift explicite nichts berichtet, wohl aber implicite. Die Transsubstantiation enthält eine große Anzahl von Wundern, von denen die heilige Schrift explicite nichts erwähnt. Muss man etwa deswegen die Transsubstantiation und die Erneuerung von Himmel und Erde verwerfen? Welche Wunder wirkte Gott nicht, um Sodoma und Gomorrha, Pharao u. s. w., also bloß einzelne Menschen und Ortschaften zu strafen? Und beim größten aller Strafgerichte, das „alle“ Menschen betraf, sollte Gott mit Wundern sparsamer gewesen sein? Ich stimme Dr. Reusch (Bibel und Natur) vollkommen zu, wenn er schreibt: „An ein göttliches Wirken haben wir jedenfalls zu denken. Bei Gott ist kein Ding unmöglich, auch nicht eine Überflutung der ganzen Erde selbst im ausgedehntesten Sinne, auch nicht die Erhaltung aller Tierarten und die Wiederverbreitung der in der Arche geretteten über die ganze Erde. Wir stehen ja beim siebenten Kapitel der Genesis nur erst im Anfange einer Geschichte, in welcher nicht ausschließlich natürliche und menschliche Potenzen wirken, sondern die Gottheit oftmals in großartiger und auffallender Weise eingreift. Alles, was die Bibel berichtet, natürlich erklären zu wollen, wäre ein wahnsinniges Beginnen. Wer von dem Grundsatze ausgehen wollte, dass sich nie etwas habe zutragen können, das nicht den Naturgesetzen, wie wir sie kennen, entspreche, mit dem kann man überhaupt keine Erörterungen über einzelne Ereignisse der heiligen Geschichte anstellen.“ Damit ist auch die Bemerkung Dr. Schöpfers (Geschichte des Alten Testamentes, 1893) beleuchtet, dass „von Seiten der Wissenschaft die Annahme einer geographischen Beschränkung der Flut geradezu gefordert wird“. Ja, von jener „Wissenschaft’’, welche alles natürlich erklären will, welche Scheu hat vor Wundern, von dieser wird die Partiellität der Flut ebenso „gefordert’’, wie die Abstammung des Menschen vom Affen! Aber gar Manche haben schon „Forderungen“ gestellt, sind aber mit ihnen schmählich abgewiesen worden, weil sie unberechtigt waren, weil sie nicht bewiesen werden konnten. Wo bleibt der Beweis für obige Behauptung von Seiten der „Wissenschaft“?

Hier sollen noch einige Bemerkungen Dr. Reuschs Platz finden, die mir nebst der früheren Äußerung den Kardinalpunkt der ganzen Frage, soweit die „Wissenschaft“ in Betracht kommt, ganz klar zu legen scheinen. Der genannte Gelehrte schreibt: „Als unmöglich kann die Naturwissenschaft das, was in der Genesis berichtet wird, nicht erweisen. Die Naturwissenschaft gründet sich aus Erfahrung, auf die Beobachtung der sich jetzt darbietenden Tatsachen. Sie kann also die gegenwärtigen physikalischen Verhältnisse der Erdoberfläche und ihrer Atmosphäre konstatieren und kann, auf diese Verhältnisse gestützt, vielleicht behaupten, dass unter diesen Verhältnissen nach dem natürlichen Verlaufe der Dinge eine Überflutung, wie sie die Genesis beschreibt, nicht möglich sei. Könnte aber die Naturwissenschaft dies strikte beweisen, was wäre damit gewonnen? Wir können unbedenklich zugeben, dass die Überflutung nicht nach dem natürlichen Laufe der Dinge stattfinden konnte. Die Genesis behauptet das gar nicht, stellt vielmehr deutlich genug das Strafgericht der Sündflut als ein außer dem natürlichen Laufe der Dinge liegendes, singuläres Ereignis dar. Gott erklärt nach dem Ende der Flut ausdrücklich, es solle keine zweite derartige Flut kommen, die Jahreszeiten und natürlichen Erscheinungen sollen fortan keine Unterbrechung mehr erleiden. Also Moses weiß es ganz gut, dass das, was er berichtet, nicht nach dem natürlichen Laufe der Dinge geschehen war. Es handelt sich hier also um ein Ereignis praeter naturam , und ein solches darf nicht nach den Naturgesetzen beurteilt werden, welche die Wissenschaft auf Grund dessen, was sich jetzt begibt, festsetzt. Die Frage, ob ein Ereignis aus dem Gebiete der Natur den von ihr ermittelten Naturgesetzen gemäß sei, kann die Naturwissenschaft beantworten; die Frage aber, ob nicht irgendeinmal etwas, was den bekannten Naturgesetzen nicht gemäß ist, sich dennoch wirklich habe zutragen können, kann die Naturwissenschaft gar nicht einmal erörtern, denn zur Untersuchung dieser Frage fehlen ihr alle Mittel“ (S. 302)

6. Angenommen nun die vollständige Überflutung der Erde bis über die Gipfel der höchsten Berge infolge des vierzigtägigen wolkenbruchartigen Regens, der mit gewaltigen vulkanischen Eruptionen und Durchbrüchen des Meeres verbunden sein konnte, dann kann man sich wohl vorstellen, welch schreckliche Zerstörungen die Folge waren. Wenn man bedenkt,“ sagt Dr. Holzammer, „was ein angeschwollener Gebirgsbach zu leisten vermag, so musste eine solche Wasserkatastrophe ganz kolossale, gewaltsame Bodenveränderungen, Durchbrüche, Ab- und Anschwemmungen, Schlamm-, Sand- und Gesteinsanhäufungen im Gefolge haben. Ausgedehnte Kontinente über gewaltige Wasserbecken ausgebreitet, konnten infolge mächtiger Erdbeben einstürzen. Wie groß solche Höhlenräume sein können, zeigt das Erdbeben von Lissabon, im Jahre 1755, das sich über ein Zwölftel des Erdkreises erstreckte und einen Radius von 66oo m hatte.“ Wenn nach einem Berichte des britischen Konsuls Oxenham in Chinkiang bei einer Überschwemmung des gelben Flusses infolge Dammbruches im Jahre 1888 mehrere Ortschaften vom Boden verschwanden, und an diesen Stätten 50 Fuß dicke Ablagerung zurückblieb, wenn infolge nicht besonders großer Regenmassen 1806 der Bergsturz von Goldau so viel Material in das Tal warf, dass dieses auf eine Länge und Breite von einer halben Stunde 30 m hoch bedeckt wurde, wenn ein Ausbruch des Vulkans Skaptar Jökul auf der Insel Island im Jahre 1783 so viel Stein- und Sandmasse zu Tage förderte, dass dieselbe jene des Montblanc sechsmal an Kubikinhalt übertrifft, wenn nach einem Berichte des Grafen Stolberg das Erdbeben von Kalabrien 1783 Berge von Tonerde spaltete, so dass die auseinanderfallenden Hälften derselben alte Täler ausfüllten und ein neues Tal bildeten, wenn bei dem Erdbeben von 1556 in China ein Landstrich von 36 geographischen Meilen im Meere versank, dann kann man sich wohl einen Begriff machen von den Umwälzungen, welche die Sündflut herbeiführte, die als furchtbarstes Strafgericht Gottes alle anderen Wasser- und Vulkankatastrophen weit hinter sich ließ. Selbstverständlich hat die Sündflut nicht überall in gleicher Weise gehaust, sondern je nach der Lage der Örtlichkeit verschieden, so dass manche Orte jetzt gar keine Spur dieser Flut zeigen, während andere ihre Physiognomie vollständig änderten.

Dass Vulkanausbrüche (und in Verbindung mit ihnen Hebungen und Senkungen einzelner Länder) bei der Sündflut statthaben konnten, giebt P. Pianciani S. J. der Verfechter einer partiellen Überschwemmung, mit folgenden Worten zu: „Moses erwähnt weder Vulkane, noch Hebungen, noch Senkungen des Bodens, noch andere Phänomene, welche der Sündflut vorausgehen, sie begleiten oder auf sie folgen konnten, aber er schließt auch keines von diesen oder anderen Phänomenen aus, und man kann sie also zulassen, ohne seinem Zeugnisse zu widersprechen“ (S. 519 Reusch S. 312). Trat nun im Beginne der Sündflut plötzlich die Hebung einer Ländermasse ein, dann mussten die darauf befindlichen Sündflutgewässer mit einem Male weggeschnellt werden, und das musste eine solche Denudation der betreffenden Ländermasse und eine solche Anschwemmung von Material in die benachbarten tiefer liegenden Länder veranlassen, wie wir uns kaum vorstellen können, weil uns Beispiele aus der Gegenwart fehlen. Die Senkung einer Ländermasse erzielte den nämlichen Effekt wie eine Hebung, da sind dann die turmhohen, oft ungeschichteten sogenannten Moränenhaufen und auch manche erratische Blöcke kein Rätsel mehr. Wer sich aber die Sündflut - dieses furchtbarste aller Strafgerichte Gottes - als einen gewöhnlichen 40 tägigen Regenerguss vorstellt, der kann freilich zur Erklärung der Schichten des Diluviums die Sündflut nicht heranziehen.

7. So ist also die Masse des Schuttmaterials, das man der Wirkung der Gletscher zuschreibt, als Wirkung der Sündflut leicht erklärlich, ebenso die teilweise geschichteten und teilweise ungeschichteten Lager, da erstere teils dann sich bildeten, als der Abfluss der Gewässer gehindert war und dieselben ruhig auf- und abwogten, was an manchen Orten vielleicht nach einigen Wochen, an anderen Orten dagegen erst nach Jahrhunderten sich vollzog, teils sogleich am Anfang durch die sichtende und scheidende Tätigkeit des Wassers, wenn es nicht allzu rasch dahinflutete. Die Tiere, deren Reste man in sogenannten Gletscherdiluvien versteinert findet, wurden entweder vom Wasser ertränkt oder durch vulkanische Gase erstickt und in Schutt eingebettet oder sie wurden samt den danebenstehenden Bäumen und Pflanzen bei Bergrutschungen im Erdreiche verschüttet, nachdem die in der Nähe fließenden Ströme ihr früheres Flußbett bereits zugedeckt nnd ihren Wasserspiegel um Hunderte von Metern erhöht hatten. Ein Teil der Tiere suchte den immer mehr ansteigenden Gewässern zu entrinnen, indem sie auf die Berghöhen hinan eilten und in dortigen Höhlen Schutz suchten, so daß diese Höhlen von den verschiedensten Tieren vollgepfropft wurden, die sich infolge des in sie gefahrenen Schreckens friedlich miteinander vertrugen, bis die Gewässer sie erreichten und ihnen den Tod brachten. Indem dann die Gewässer nach einem oder noch mehreren Jahren soweit sanken, daß diese Höhlen wasserfrei wurden, konnten die Tierknochen, manchmal in Kalk- oder Lehmsedimente eingeschlossen, sich erhalten, während sie beständig im Wasser sicher ausgelöst worden wären. Indem dann ferner diese Höhlen schon früher der Aufenthalt wilder Tiere waren, konnten bereits die verschiedensten Tierknochen dort aufgespeichert liegen, und indem auch zahlreiche Menschen bei der wachsenden Flut in diese Höhlen auswärts flüchteten, um daraus nicht mehr zu entrinnen, konnten auch ihre Knochen ebenso zahlreich erhalten bleiben, wie jene der Tiere. So sind denn auch die Knochenhöhlen erklärlich, während die Gletschertheorie dafür keine Erklärung hat.

8. So läßt sich also keine Tatsache anführen, welche nicht durch die Sündflut ihre naturgemäße Erklärung fände, und darum haben früher die bedeutensten Naturforscher wie Buckland, Delue, Dolomieu, Saussure, Euvier, Leibnitz, Scheuchzer, Hook, Woodward die angeblichen Gletscherwirkungen der Sündflut zugeschrieben. Es erscheint mir daher auffallend, wenn Dr. Bernhard Schäfer in seiner Schrift: „Das Diluvium in der Geologie, Frankfurt 1883.“die Meinung ausspricht, bei einer so kurz andauernden Überschwemmung ließen sich weder die diluvialen Schichten, noch die regelmäßigen Einschlüsse erklären. Aber, so wiederhole ich, hat denn überall die Sündflut in einem Jahre geendet? Konnten nicht infolge lokaler Verhältnisse die Gewässer Jahrhunderte lang still stehen, bis dann - vielleicht infolge eines Erdbebens - ein Ausbruch erfolgte mit ähnlichen Folgen wie bei der ersten Überflutung? Jst es ferner nicht möglich, daß einzelne Schichten, welche die Geologen zum Gletscherdiluvium rechnen, also nach meiner Ansicht der Sündflut zuzuteilen wären, gar nicht jenem Diluvium angehören, sondern gerade so alt sind, wie manche mesozoische und kainozoische Sedimente, die vor der Sündflut sich bildeten? Daß nämlich die Reihenfolge der geologischen Schichten nur ein Phantasiegebilde ist, dürfte an anderer Stelle („Biblisches Sechstagewerk“ 1894) genügend nachgewiesen sein. Wenn Dr. Schäfer ferner der Ansicht ist, daß eine so kurz dauernde Wasserbedeckung nirgends eine Spur habe hinterlassen, die nicht längst wieder verwischt wäre, dann scheint er das Vorhandensein von Spuren weit kleinerer Katastrophen zu übersehen. Man kann jetzt noch die Spuren des Vesuvausbruches, welchem Pompeji zum Opfer fiel, verfolgen trotz der 1800 Jahre, die verflossen sind; man kann jetzt noch die Verwüstungen, von welchen das Tal von Bagnes im Jahre 1818 betroffen wurde, erkennen trotz der seit 70 Jahren betätigten Aufräumungsarbeiten. Und Spuren jener hundertmal größeren Katastrophe der Sündflut sollten gänzlich verwischt sein? Das ist einfach unmöglich und darum auch unglaublich.

9. Es erübrigt nunmehr noch, die Tatsache zu erklären, daß sogenanntes Schottermaterial vor den Gebirgsseen liegt, und sodann einige die Tierwelt betreffende Fragen zu beantworten. Bezüglich des ersteren Punktes schreibt Dr. Böhm (a. a. O. S. 608): „Die Schotter sind älter als die Seebecken; die Seen sind in den Glacialschutt eingesenkt.“ Wenn nun Böhm den Schluß daraus zieht, daß dieser Schotter nicht durch eine Flut transportiert worden sein könne, da sonst zuerst das Seebecken hätte ausgefüllt werden müssen, sondern nur durch Gletscher, die sich über den gefrorenen See bewegten, so macht er einen Fehlschuss. Wer beweist denn die Existenz der jetzigen Gebirgsseen vor der Sündflut? Wenn diese Seen zur Zeit des Schottertrausportes noch gar nicht vorhanden waren, sondern sich erst im Laufe der Sündflut oder nach derselben bildeten, durch Einbruch unterirdischer Höhlen, so mußten auch in diesem Falle sich „die Seen in den Glacialschutt einsenken“.

10. Ich komme nun dazu, die Schwierigkeiten bezüglich der Tierwelt zu lösen. Wie war es möglich, daß Noe alle Tiere sammeln konnte? Ich antworte mit den Worten Dr. Reuschs (a. a. O. S. 323). „Schon der heilige Augustin deutet an, daß für das zusammenkommen der Tiere weniger die Tätigkeit des Menschen, als die wunderbare Einwirkung Gottes in Anschlag zu bringen sei, daß Gott dem Noe nicht so sehr einen Befehl, die Tierpaare zu sammeln und in die Arche zu bringen, als seinen Willen, mit ihm Tierpaare zu retten und den Befehl mitgeteilt habe, für die Unterbringung und Erhaltung in der Arche Sorge zu tragen. „Non enim ea Noe capta intromittebat, sed venientia et intrantia permittebat. Ad hoc enim valet, quod dictum est: Intrabunt ad te, non scilicet hominis actu, sed Die nutu“ (Aug. C. D. 15. 27). Der Bericht der Genesis nötigt nicht, passt aber recht gut zu dieser Ausfassung, wenn es darin heißt: je zwei Tiere sollen kommen zu dir. Ein solch wunderbares Eingreifen Gottes bei einer ohnehin wunderbaren Katastrophe anzunehmen, ist jedenfalls nicht schwieriger, als die Bedenken auf andere Weise zu beseitigen.“

Nun, die wunderbare Sammlung aller Tiere geben wir noch zu, sagen die Vertreter der Beschränktheit der Flut, aber damit sind unsere Bedenken gegen die Allgemeinheit der Flut noch nicht gehoben. „War die Flut eine geografisch allgemeine, so mußten a) sämtliche noch jetzt lebenden nnd die erst später ausgestorbenen Arten der Luft- und Landtiere in der Arche Unterkunft und Nahrung finden. Wenn man die Unzahl von Arten bedenkt, die im Interesse einer vorgefassten Exegese nicht ungern verkleinert wird, so begreift man, daß weder der Raum der Arche, noch auch die Arbeitskraft der acht Menschen für diesen Zweck ausgereicht haben. Dazu kommt noch, daß die Tiere der verschiedensten Zonen sich an die gleichen Temperaturverhältnisse anpassen mußten. b) Sämtliche jetzt lebende Tiere mußten sich vom Standorte der Arche aus über die ganze Erde verbreiten. Dabei wird die Bevölkerung der durch Wasser getrennten Inseln und Kontinente unerklärlich, wie auch die Wanderung selbst wegen der klimatischen Verschiedenheit der Zonen mit den Lebenseigentümlichkeiten vieler Tiere nicht vereinbar ist. c) Da eine allgemeine Flut die Trennung von Süß- und Meerwasser und dadurch die Existenzbedingung vieler Wassertiere aufgehoben hat, wird auch die Fortdauer derselben außer der Arche nicht recht erklärlich.? (Dr. Schöpfer, a. a. O. S. 59)

Hieraus erwidere ich folgendes: Es gibt allerdings viele Arten von Tieren; aber bezüglich der Arche kommen nur die Landtiere und Vögel in Betracht, und selbst von diesen Landtieren können teilweise jene wegfallen, welche die Flut nicht zum Aussterben bringen konnte, indem Eier und Larven erhalten blieben; hierher gehört eine Unzahl von Insekten. Daß man viele Arten von Vögeln auf einem kleinen Raume unterbringen kann, lehrt ein Blick auf die ornithologischen Sammlungen. „Setzen wir die Elle zu ungefähr zwei Fuß an, so war die Arche noch etwas länger als der Kölner Dom, aber nicht halb so breit und nur etwa ein Drittel so hoch“ (Reusch, S. 329). Sie war also keineswegs von kleinen Dimensionen und bot hinreichenden Raum für alle Gattungen der Tiere, wie dies Holzammer (Schusters Handbuch zur biblischen Geschichte) ausführlich nachgewiesen hat. Nach Silberschlag (Reusch, S. 327) reichten acht Personen zur Fütterung und Pflege der Tiere vollkommen aus. Übrigens nötigt uns nichts, anzunehmen, daß nur acht Personen in der Arche gerettet wurden. Wenn in der Stelle im Brief des heiligen Petrus (1. Petr. 3, 20) „arca, in qua pauci, id est octo animae salvae factae sunt,“ die Worte „id est octo animae“ nicht überhaupt interpoliert sind, kann man sie jedenfalls so auffassen, daß nur die vier Stammpaare von Moses für erwähnenswert gehalten wurden. Es konnten daher außer diesen vier Stammpaaren noch viele Kinder von Sem, Cham und Japhet sich in der Arche befinden, die später weniger Bedeutung erlangten und daher im Geschlechtsregister ausblieben. Werden ja auch von den Kindern Adams und Evas nur wenige erwähnt, obwohl doch schon zu den Zeiten des Mordes Kains zahlreiche Nachkommenschaft vorhanden gewesen sein mußte, da sonst Kain nicht hätte ausrufen können (Gen. 4, 14): „Omnis qui invenerit me, occidet me“. Diese Ansicht, daß in der Arche auch viele Kinder von Sem, Cham und Japhet sich befanden, wird in einem bischöflich approbierten Buche (P. Schmöger, das arme Leben und bittere Leiden Jesu Christi u. s. w.) verteidigt, dürfte also nicht zu beanstanden sein. So fehlte es also nicht an Arbeitskräften in der Arche. Mit dieser Annahme fällt auch eine Schwierigkeit weg, nämlich daß in der Völkertafel (Gen 10) die mongolischen Völker gar nicht und die Neger nur mit Mühe unterzubringen sind („Seelsorger“ 1889, S. 470). Diese stammen vielleicht von den nicht erwähnten vorsündflutigen Kindern des Sem, Cham und Japhet ab. Was die Temperatur in derselben anbelangt, so war diese jedenfalls weder eine kalte noch heiße, also eine gemäßigte (wie in Tropenländern zur Zeit des Regens) und darum weder für die Tiere kalter noch heißer Zone lebensgefährlich; soweit konnten sich die Tiere kalter und heißer Zone gemäß ihrer elastischen Konstitution (siehe das Urteil Howorths im vorhergehenden Kapitel) jedenfalls akklimatisieren, um in der gemäßigten Temperatur der Arche leben zu können. Auch nach der Sündflut bestand diese von Howorth erwähnte Akklimatisationsfähigkeit und fällt daher das oben unter b) erwähnte Bedenken Dr. Schöpfers weg. Trat die Trennung der jetzt durch Wasser geschiedenen Inseln und Kontinente erst einige Jahrhunderte nach der Sündflut ein, d. h. hingen diese vom Sündflutgewässer freigewordenen Inseln und Kontinente noch einige Jahrhunderte mit Asien zusammen, dann konnten sich von der Arche aus die Tiere ungehindert dorthin verbreiten. „Eine allgemeine Flut hob die Trennung von Süß- und Meerwasser und dadurch die Existenzbedingung vieler Wassertiere auf,“ behauptet Dr. Schöpfer. Ich bestreite das; Gott brauchte nur eine allmähliche, mit dem Steigen der Sündflutgewässer auf dem Lande gleichen Schritt haltende Erhebung des Meeresbodens (und somit auch des Meeres) eintreten zu lassen, dann blieb die Trennung von Süß- und Meerwasser bestehen und trat nur an den Rändern eine Vermischung ein, ähnlich jener beim Einflusse großer Ströme in das Meer. Darauf deuten auch die in einem früheren Kapitel erwähnten Meeresablagerungen hin, die an den Rändern der Kontinente auftreten. Gemäß dieser meiner Ansicht fehlte also auf dem Meere der vierzigtägige wolkenbruchartige Sündflutregen; dort war er überflüssig, weil nur das „trockene Land“ (terra) überschwemmt werden sollte, um Menschen, Landtiere und Vögel zu vernichten.

11. Schließlich sei noch kurz ein Einwand gegen die Allgemeinheit der Sündflut widerlegt, der aus der angeblichen Unmöglichkeit der so schnellen Verbreitung aller Tiere von der Arche aus herbeigeholt ist. Wie in „Natur und Offenbarung“ 1858 erwähnt ist, schätzt Alex v. Humboldt das Rindvieh in den Pampas von Buenos-Aires auf 12 Millionen, die Pferde auf 3 Millionen, und diese sind entsprungen von den 10 oder 20 Paaren, welche erst vor 300 Jahren von den Spaniern eingeführt waren. Die Vermehrung des Hornviehes war in Neuspanien und Hispaniola so groß, daß im Jahre 1585 die Flotte von dieser Insel 99,000 Häute brachte. Es ist somit die Vermehrung der Tiere innerhalb 4000 Jahren, d. h. von der Sündflut bis jetzt, gewiß möglich. Der Segen, den Gott (Gen. 8, 17) nicht bloß über Noe nnd seine Nachkommenschaft, sondern auch über die Tiere sprach, trug ohne Zweifel reiche Frucht. Jm erwähnten Jahrgang von „Natur und Offenbarung“ ist auch ausführlich und schlagend nachgewiesen, daß die Wanderung der Tiere von der Arche aus in die verschiedenen Länder, wie auch die Unterbringung der Tiere zuvor in der Arche nicht zu den Unmöglichkeiten gehören (S. 206 ff.).

Es läßt sich also nichts Stichhaltiges gegen die Allgemeinheit der Sündflut vorbringen weder vom physikalischen, noch zoologischen, noch theologischen Standpunkte. Eine allgemeine Überflutung der Erde (trockenen Landes) ist nicht bloß möglich, sondern nach dem Berichte der heiligen Schrift und den Traditionen aller Völker sogar äußerst wahrscheinlich, wenn nicht moralisch gewiß. Gleichwie sie das furchtbarste Strafgericht war, welches Gott bisher über die Welt verhängte, wird sie auch in Bezug auf die Wirkungen alle anderen gewöhnlichen Wasserkatastrophen weit übertroffen haben, und darum ist sie imstande, all die Sedimente zu erklären, die man dem geologischen Diluvium zuschreibt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sündflut oder Gletscher?