IX. Die Ursachen der angeblichen Vergletscherung.

Wir sind bei Besprechung der angeblichen Gletscherphänomene öfter auf die Tatsache gestoßen, dass von geologischer Seite selbst manches in der Gletschertheorie als Rätsel betrachtet wird, dass also für manche Erscheinungen von Geologen keine genügende Erklärung gegeben werden kann. Zum nämlichen Resultat führt uns auch die an die Geologen gerichtete Frage nach den Ursachen der Eiszeit. Die Geologen wissen keine genügende Antwort zu geben; die Ursachen der angeblichen Vergletscherung bleiben unerklärt. Und doch sollten die Geologen hier Red’ nnd Antwort stehen können; denn für jede Erscheinung in der Geologie muss es auch eine entsprechende Ursache geben. Und lässt sich wirklich gar kein plausibler Grund für Vergletscherung ausfindig machen, dann bleibt - abgesehen von anderen Erwägungen - die Gletschertheorie eben dadurch selbst äußerst fraglich, ja, sie wird unmöglich. Letzteres soll der Geologe Neumayr mir bestätigen. Ich finde in seiner Erdgeschichte (II. 645) über diesen Punkt folgendes:

„Jene -Vermutungen, welche ein ganz exzessiv kaltes Klima, eine ganz allgemeine -Vereisung der nördlichen Halbkugel, kurz, eine außerhalb jeder berechenbaren und gesetzmäßigen Entwicklung stehende Katastrophe annehmen, bedürfen wohl keiner eingehenden Widerlegung. Wir beschäftigen uns nur mit denjenigen Ansichten, welche nicht mit den einfachsten Tatsachen in unlösbarem Widerspruche stehen. Unter diesen besser begründeten Erklärungsversuchen lassen sich zwei Gruppen unterscheiden, deren eine Veränderungen der Erde, in der Verteilung von Wasser und Land, dem Verlaufe der Meeresströmungen u. s. w. voraussetzt, während die andere kosmische, das Verhältnis der Erde zu anderen Weltkörpern betreffende Ursachen annimmt. Namentlich zu Anfang der Studien über die Vereisung, als deren außerordentlich weite Verbreitung wenig bekannt war, suchte man nach Gründen der ersteren Art; als man nur von einer Vergletscherung der Alpen wusste, nahm Charpentier an, dass dieses Gebirge damals bedeutend höher gewesen sei, seine Gipfel viel weiter in die Schneeregion hinaufragten als heute; doch konnte sich natürlich eine solche Ansicht nicht halten, als man dieselben Erscheinungen auch in England und Skandinavien beobachtete.


Von größerer Bedeutung sind die Anschauungen, dass eine Änderung in den Verhältnissen der Föhnstürme die Vereisung verursacht habe; als Föhne bezeichnet man heiße, trockene Südstürme, welche in den Nordalpen auftreten nnd mächtiger als irgend ein Faktor das rasche Abschmelzen von Schnee und Eis bewirken, und deren Ursprung man früher allgemein nach Nordafrika in die Sahara verlegte; man glaubte, es seien die heißen Wüstenwinde, welche über das Mittelmeer weg die Alpen erreichen. Man dachte nun, dass zur Diluvialzeit die Sahara, ganz vom Wasser bedeckt, ein großes Binnenmeer dargestellt habe, von dem nun statt des Föhnes, kühle, feuchte Winde kamen, welche die Vereisung der Alpen, nach den Ansichten mancher, auch diejenige von Nordeuropa verursachten. Ja, in manchen freilich nicht streng wissenschaftlichen Kreisen war man von der Richtigkeit dieser Ansicht bis zu dem Grade überzeugt, dass man von der durch den französischen Kapitän Roudaire geplanten Verwandlung des kleinen Schottgebietes, südlich von Tunis, in einen Binnensee die nachteiligsten Folgen für das Klima Europas und ein mächtiges Anwachsen der alpinen Gletscher befürchtete. Natürlich ist eine solche Besorgnis einfach lächerlich, aber auch die Hypothese, auf deren Übertreibung sie beruht, ist unhaltbar . . . Der Föhn verdankt seine hohe Temperatur nicht dem Klima der Gegenden, aus welchen er kommt, sondern dieselbe wird lediglich durch Druck (Sturz in die Tiefe) hervorgebracht.

Eine andere Vermutung beschäftigt sich mit dem Golfstrome, jener großen Warmwasserströmung im atlantischen Ocean, welche im Golf von Mexiko ihren Anfang nimmt, und von welcher ein Zweig Europa erreicht und dessen westliche Ufer bespült. Man nahm nun an, dass während der Eiszeit der Golfstrom unsere Gegenden nicht erreichte. Allein auch diese Erklärung ist unmöglich. Ähnlich verhält es sich mit der von Lyell ausgestellten Hypothese, dass Nordeuropa bis zu bedeutender Höhe über dem heutigen Wasserstande untergetaucht und vom Meere überflutet gewesen sei und dass die bedeutende Feuchtigkeit infolge dieser ausgebreiteten Wasserbedeckung das Anwachsen der Gletscher veranlasst habe.

Übrigens spricht gegen alle diese und verwandte Deutungsversuche der Umstand, dass die Spuren der Eiszeit in Südamerika, auf Neuseeland, und in Südafrika ebenso gut auftreten wie in den Alpen, in Nordeuropa oder Nordamerika; daher können lokale Änderungen niemals eine hinreichende Erklärung darstellen, wir müssen eine die ganze Erde betreffende Ursache zu entdecken suchen.

Von verschiedenen Möglichkeiten einer allgemeinen Ursache hat man zunächst an eine Veränderung in der Lage der Pole gedacht. Allein ganz abgesehen davon, dass man kaum eine Stellung derselben finden kann, welche alle Erscheinungen gut erklärt, zeigt schon das oft betonte Gleichbleiben der klimatischen Verhältnisse der einzelnen Lokalitäten zu einander, dass keine bedeutende Verschiebung stattgefunden haben kann, zu welcher überdies auch die Zeit, welche seit der Vereisung abgelaufen ist, entschieden viel zu kurz wäre. Andere haben geglaubt, dass die Erde abwechselnd durch wärmere und kältere Regionen des Weltraumes hindurchgehe. Wenn dies der Fall wäre, so müsste offenbar der Eintritt in eine wärmere Region dadurch bedingt sein, dass sich das ganze Sonnensystem einem Wärme ausstrahlenden Körper, einem anderen Fixsterne, nähert; dieser würde naturgemäß auch das Sonnensystem und dessen einzelne Teile durch seine Masse anziehen und Störungen in den Bahnen der Planeten hervorrufen, von denen keine Spur zu bemerken ist. Man hat ferner Änderungen in der Schiefe der Ekliptik zu Hilfe rufen wollen; aber ganz abgesehen davon, dass man sich noch nicht darüber hat einigen können, ob durch schiefere Stellung eine Abkühlung oder eine Erwärmung der höheren Breiten herbeigeführt werde, lehrt auch die Astronomie, dass eine Änderung in dieser Beziehung überhaupt nicht angenommen werden kann. Kleine Schwankungen in dieser Beziehung sind unter dem Namen der Präcession und Nutation bekannt; auch darin hat man die Ursache der Vereisung gesucht; allein es ist sehr zweifelhaft, ob eine Verkürzung des Sommers in diesem geringen Betrage eine solche Wirkung ausüben kann, da in dem kürzeren Sommer die Erde der Sonne näher steht und ihr dadurch eine größere Wärmemenge zugeführt wird; überdies aber muss ein ständiger starker Wechsel der klimatischen Verhältnisse in so überaus kurzen Perioden, als allen Erfahrungen widersprechend, abgelehnt werden.

Von anderer Seite wird auch der Exzentrizität der Erdbahn großer Wert gelegt. Man hat theoretisch abzuleiten gesucht, dass starke Exzentrizität der Erdbahn eine erhebliche Abkühlung mit sich bringt und man hat geradezu jene vor achtzigtausend Jahren abschließende Periode hoher Exzentrizität als der diluvialen Eiszeit entsprechend betrachtet. Unter all den verschiedenen Erklärungsversuchen kommt diesem entschieden die größte Bedeutung zu und derselbe verdient um so größere Beachtung, als damit auch absolute Zeitmaße, bestimmte Angaben nach Jahrtausenden, für die Dauer bestimmter geologischer Vorgänge gegeben wären. Leider aber ist auch diese Auffassung, die durch Adhémar, Eroll, Pilar, Wallace und andere in geistreicher Weise ausgebildet worden ist, einer genaueren Prüfung gegenüber nicht stichhaltig . . . So ist denn keiner der mannigfaltigsten Erklärungsversuche brauchbar.“

Ich glaube, diesen Bemerkungen nichts beisetzen zu müssen; sie selbst. geben lautes Zeugnis dafür, dass noch selten eine Theorie so schwach begründet worden ist, wie die Gletschertheorie.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sündflut oder Gletscher?