I. Mein Standpunkt.

1. Nicht selten geschieht es heutigen Tages, daß der Theologe den Naturwissenschaften zuviel traut und Lehren als „Ergebnisse der Wissenschaft“ annimmt, die keineswegs diesen Namen verdienen. „Trau’, schau’, wem?“ muss gerade in unseren Tagen ein geläufiges Sprichwort sein.“ Mit diesen Worten wendet sich ein Mitarbeiter von „Natur und Offenbarung“, Jahrgang 1886, gegen den hochwürdigen Pfarrer Nolte, den deutschen Übersetzer des von Gonzalez, Kardinal und Erzbischof von Sevilla, herausgegebenen Werkes: „Die Philosophie des heiligen Thomas“, der die Gonzalezsche Kosmogonie umgearbeitet und die Behauptung aufgestellt hat, daß sich die sogenannte Sündfluttheorie heutigen Tages gegenüber den Lehren der Geologie, Paläontologie und Astronomie, die nicht lauter einfache unsichere Hypothesen seien, sondern sich meistens auf feststehende Tatsachen stützen, nicht mehr halten lasse. Dass obige Mahnung in „Natur und Offenbarung“ eine wohl berechtigte ist, beweist unter anderem ganz besonders die Entwicklung der Darwinischen Descendenztheorie; oft und oft konnte man da von „Resultaten“ der Naturwissenschaft reden hören, und jetzt wird bereits von verschiedenen Seiten zum Rückzug geblasen.

Dass die Geologen fast ausnahmslos die Sündfluttheorie ausgegeben haben, ist richtig; aber ebensowenig lässt sich leugnen, daß die Mehrzahl derselben mit der Sündfluttheorie auch die biblische Sündflut selbst über Bord geworfen, d. h. für unmöglich und den Bericht der Bibel für falsch erklärt hat.


Zuerst suchte man den ethischen, den Strafcharakter der Sündflut mehr und mehr dem Gedächtnisse zu entfremden und war hoch erfreut, als man das Wort „Sünd“ in „Sint“ korrigieren konnte, wodurch man aber die Allgemeinheit noch zuzugeben schien; später nörgelte man auch am physikalischen Charakter, wie ihn die heilige Schrift beschreibt, herum und konstruierte sich eine Erdbebenflutwelle, die nur lokal, in der Gegend am Euphrat und Tigris, Verheerungen anrichtete. So wurde die ganze biblische Erzählung in das Reich unglaubwürdiger Sagen verwiesen. Da sollte doch ein Theologe wie Nolte, der an der Wahrheit des biblischen Berichtes festhält und festhalten muss, nicht so voreilig den Stab über die Sündfluttheorie brechen. Die Sündfluttheorie ist noch keineswegs abgetan; zu ihren Gunsten sprechen, wie im nachfolgenden gezeigt wird, noch triftigere Gründe, als für jene neue Theorie, welche die Geologen für die Sündfluttheorie substituierten und Gletschertheorie nannten. Wenn eine von diesen beiden Theorien unhaltbar ist, dann ist es jedenfalls die Gletschertheorie.“

So leitete ich jenen Aufsatz ein, den ich in der Passauer theologisch-praktischen Monatschrift l892 Heft 6 - unter der Überschrift: „Die angebliche Unhaltbarkeit der Sündfluttheorie“ veröffentlichte. Den Anlaß zu diesem Artikel gab mir, wie oben ersichtlich ist, jene Nachgiebigkeit oder Konnivenz vieler Theologen, die, ohne strikte Beweise zu fordern, sich so bereitwillig den Behauptungen der Geologen anschließen und altehrwürdige Ansichten früherer katholischer Theologen preisgeben, obwohl letztere Ansichten bei weitem nicht so absurd sind, als die Geologen meinen. Ich verachte keineswegs die Errungenschaften der Naturwissenschaften, aber ich forsche zuerst gründlich nach, welche Punkte von den Geologen wirklich bewiesen sind und welche in das Reich unhaltbarer Hypothesen gehören. So halte ich es auch mit gegenwärtiger Abhandlung, „ich suche den Löwen in der Höhle auf.“ Gegen jenen Aufsatz in der Passauer Monatschrift erhob sich nun ein Anhänger der Gletschertheorie und versuchte darzuthun, daß die Sündfluttheorie nicht genüge und die Gletschertheorie keineswegs abgeschmackt sei. Hierauf erwiderte ich in einem separat erschienenen Schriftchen, das den Titel trägt: „Sündfluttheorie oder Gletschertheorie?“ In diesem Titel tritt nämlich die ganze Streitsfrage besser hervor, als in dem der früheren Abhandlung („die angebliche Unhaltbarkeit der Sündfluttheorie“). Jedoch darf aus dem Titel der früheren und gegenwärtigen Schrift nicht gefolgert werden, daß ich gegen jede Art von Gletschertheorie bin; ich bekämpfe nur die gegenwärtige Gletschertheorie, wie sie in den Werken von Dr. Penck und Dr. Heim erscheint, also die offizielle Gletschertheorie, welche zwei Dritteile von Europa und ganze Länder Amerikas und Asiens vergletschert sein läßt, jene Theorie, welche im Gegensatz zur Sündfluttheorie erscheint, weil sie alle erratischen Steine, das Schuttmaterial, das plötzliche Aussterben der großen Diluvialtiere zu ihrer Stütze anführt. Eine eingeschränkte Gletschertheorie, welche ans manche erratische Blöcke, die Schuttanhäufungen und auf die fossilen Diluvialtiere verzichtet, will ich nicht bekämpfen und habe ich noch nicht bekämpft, diese gebe ich vielmehr gern zu, wo entsprechende Beweise geliefert werden.

Das habe ich schon in meinem früheren Schriftchen auseinandergesetzt und darum wundert es mich, wie P. C. Boetzkes S. J. bei der Kritik desselben („Katholik“ 1893, Heft 5, den Titel beanstandet. Eine eingeschränkte Gletschertheorie könnte allerdings neben der Sündfluttheorie bestehen, die gegenwärtige Gletschertheorie verträgt sich aber nicht mit ihr, steht im Gegensatz zu ihr und darum konnte ich mit Recht als Aufschrift setzen: „Sündfluttheorie oder Gletschertheorie“ und letztere (nämlich die gegenwärtige) bekämpfen und zu verdrängen suchen. Ich brauchte auch nicht zwischen alter und neuer Sündfluttheorie eigens zu unterscheiden, denn die alte Sündfluttheorie, welche alle Fossilien entweder als lusus naturæ oder als Zeugen der Sündflut ansah, ist in keinem theologischen Werke mehr als richtig angeführt, und ist auch von mir, wie aus dem Kontexte ersichtlich ist, nicht vertreten, wohl aber die neuere Sündfluttheorie, welcher z. B. Schuster-Holzammer in dem Handbuch zur biblischen Geschichte das Wort redet. Auch diese neuere Theorie stützt sich auf Tatsachen, die nicht seit heute oder gestern für sie in Anspruch genommen werden, sondern schon vor der Geburt der Gletschertheorie (Penck S. 2).

2. Einer meiner bisherigen Gegner hat es bemängelt, daß ich die Studien über Gletscher nicht in der Natur selbst ausführe. Als ob das in gegenwärtiger Streitfrage unbedingt notwendig wäre? Es handelt sich ja in unserem Falle nicht um die Frage, ob die Beobachtungen an den heutigen Gletschern richtig sind oder nicht, sondern einzig und allein, ob die Schlußfolgerungen, die aus den Beobachtungen heutiger Gletscher aus frühere Vergletscherung gemacht werden, stichhaltig sind oder nicht. Ob ich selbst die heutigen Gletscher beobachte oder ob ich mich - ohne persönliche Einsichtnahme der Gletscher - auf die in Büchern und Zeitschriften veröffentlichen Beobachtungen anerkannt tüchtiger Geologen wie Dr. Neumayr, Dr. Penck, Dr. Heim, Dr. Böhm u. s. w. stütze, ist ganz gleichgültig, da ja die Natur nicht lügt und Forscher selbst wohl meistens richtig werden gesehen haben. Es dreht sich fast nur um die Schlüsse aus den Beobachtungen. Richtige Schlüsse ziehen kann man aber auf Grund der in Büchern niedergelegten Beobachtungen auch ohne Einsichtnahme der heutigen Gletscher, wenn man nur mit gesundem Verstand und ohne Voreingenommenheit prüft, welch letzteres bei Geologen nicht immer der Fall ist, und wenn man auch sonst die Naturerscheinungen und Naturereignisse in nächster Nähe zu würdigen versteht. Keiner der Geologen hat noch alle Erdteile erforscht, und doch werden alle ein Urteil sich erlaubt haben über Gegenden, die sie nicht kennen, bloß auf die Beobachtungen Anderer hin. Daher begreife ich nicht, wie manche mit ihren Gletscherreisen sich brüsten und Anderen ein Urteil in dieser Frage absprechen können, - als ob die Gletscherreisen vor falschen Schlußfolgerungen zu bewahren imstande wären! Übrigens werde ich selbst bei meinen Schlußfolgerungen, deren Richtigkeit jedermann kontrollieren kann, die hierzu vorgebrachten Gründe belegen mit Ansprüchen und Urteilen von Fachmännern, von Geologen. Wenn Geologen selbst, welche die heutigen Gletscher eingehend studiert haben, in ihren Schriften so auffallende Geständnisse machen, wie ich sie in den einzelnen Kapiteln dieser Schrift anführen werde, so erlangen meine Beweise eine ganz besondere Bedeutung. Denn es gilt doch als ein Haupterfolg in wissenschaftlichen Streitfragen, wenn man den Gegner mit dessen eigenen Waffen bekämpfen kann.

3. Aber auch die Art und Weise, wie ich mich auf Geologen berufe, wurde bisher von einer Seite beanstandet. Ich dächte, da gäbe es im Ernste nichts zu tadeln. Ich handle ganz nach dem Grundsatze: ,,Qui bene distinguit, bene docet.“ Mein Standpunkt war bisher der, daß zwischen den von Geologen gemachten Beobachtungen und den von ihnen daraus gezogenen Schlüssen wohl zu unterscheiden sei. Während man erstere, nämlich die Beobachtungen, in der Regel (solange nicht andere Beobachtungen eine Ausnahme nötig erscheinen lassend als richtig annehmen kann, wird man letztere, nämlich die Schlüsse, immer mit Mißtrauen betrachten müssen. Bei den Beobachtungen herrscht nämlich doch meistens Objektivität, bei den Schlüssen dagegen spielen vorgefaßte Meinungen mit und trüben das Urteil. Das dem so sei, will ich auch durch Aussprüche Anderer beweisen. Professor Dr. Pfaff (ein Geologe!) sagt in der Vorrede zu seiner Schöpfungsgeschichte: „Statt wie früher seine Schlüsse streng aus den Tatsachen zu ziehen und nach diesen, nämlich den Tatsachen, die Theorien zu bilden, geht man jetzt mit einer fertigen Theorie an die Tatsachen, deutet und modelt diese nach jenen, ignoriert sie oder vertröstet sich damit, daß jene von der Theorie geforderten Tatsachen künftig noch einmal gefunden werden.“ Quenstedt (ein Naturforscher!) sagt im „Sonst und Jetzt“: „Das Einzelne (was man jetzt in den Naturwissenschaften weiß) ist durch ein System von Irrtümern errungen. Denn wenn eine Generation das für Aberglaube erklärt, was die nächstfolgende sofort über allen Zweifel erhebt, so wird das auf den bescheidenen Beobachter des gebührenden Eindrucks nicht verfehlen. Es sind eben menschliche Überzeugungen, die gar bald wieder in einem anderen Lichte erscheinen, wenn ein weiterer Fortschritt der Wissenschaft uns neue Gesichtspunkte eröffnet.“ Und ein Mitarbeiter der gewiß nicht geologenfeindlichen Zeitschrift „Natur und Offenbarung“ schreibt jene Worte, die an der Spitze dieses Kapitels stehen und mit meinem Standpunkte vollkommen harmonieren.

Wenn Freunde der Naturforscher in d er Art sich äußern, dann muß es sehr ungünstig stehen um die „ Resultate“ der Naturwissenschaften, zu denen auch die Geologie gehört. Es gibt wohl keinen anderen Zweig der Wissenschaft, der sich solche Wahrheiten selbst von seinen Freunden sagen lassen muß! Durch diese Aussprüche dürfte auch zur Genüge klar geworden sein, daß mein Mißtrauen gegen die Schlüsse der Geologen ein berechtigtes ist, daß ich also ein Recht habe, zuerst zu prüfen, ob nach meinem Urteile die Schlüsse der Geologen stringent sind, und dann je nach dem Resultate der Prüfung dieselben anzunehmen oder zu bekämpfen. Das Urteil, ob diese meine Darlegungen logisch richtig sind, überlasse ich gern jederzeit dem freundlichen Leser. Daß ich mit meinem Mißtrauen gegen die geologischen Ausstellungen in bester geistlicher Gesellschaft mich befinde, beweist neben der günstigen Recension meiner „Antwort“ durch Dr. P. Thomas Bauer, O.S. B., auch ein an mich gelangter Brief eines Theologieprofessor an einer bayerischen Universität, der in demselben bemerkt, daß er den an der Spitze meiner Abhandlung über die Sündfluttheorie stehenden, am Eingang des Kapitels zitierten Satz voll und ganz unterschreibe, ebenso beweist dies ein Brief eines Orientalisten, der die Konnivenz und die Haltung mancher Theologen gegenüber den Naturwissenschaften Kryptorationalismus nennt.

4. Selbstverständlich fällt es mir nicht ein, zu hoffen, daß sich die durch meine gegenwärtige Schrift widerlegten Gletschergeologen der Sündfluttheorie zuwenden werden. Es lehrt ja die Erfahrung, daß bei allen Kontroversen die Hauptverfechter einer Ansicht trotz der dagegen vorgebrachten schwerwiegendsten Argumente meistens bei ihrer Ansicht beharren; es gilt dies aus dem Gebiete der Profanwissenschaft ebenso wie aus dem der Theologie. Dagegen möchte ich hoffen, daß jene, welche sich weder für die Gletscher- noch für die Sündfluttheorie zu sehr engagiert haben, also frei von allen Vorurteilen sind und die Gründe pro und contra richtig zu würdigen verstehen, von der Unhaltbarkeit der Gletschertheorie sich überzeugen. Ich bin bei gegenwärtiger Abhandlung keiner Schwierigkeit, die mir bekannt wurde, aus dem Wege gegangen, ich habe alle Einwendungen gegen die Sündfluttheorie, auf die ich aufmerksam gemacht wurde, besprochen und geprüft, resp. zurückgewiesen; denn ich will einen ehrlichen, ritterlichen Kamps führen. Mögen auch jene, welche vielleicht meine Sündfluttheorie zu bekämpfen sich anheischig machen werden, alle von mir erhobenen Einwendungen gegen die Gletschertheorie zu entkräften versuchen, nicht bloß kritisieren. Nur dann kann ich sie als „ritterliche“ Gegner achten!

5. Es hat mir einer meiner bisherigen Gegner den Vorwurf gemacht, daß die Art und Weise der Behandlung der Sündflutfrage meinerseits das Ansehen der Theologie schädigen könne. Diese Ansicht teile ich nicht. Das fürchteten auch jene sehr ehrenwerten und kirchlich gesinnten Theologen nicht, die längst vor mir geologische Tatsachen mit der Sündflut „kombinierten“! Den Hinweis meines Gegners auf die Galileifrage halte ich für ganz verfehlt, da ich meine, daß zwischen unserer Frage und jener ein sehr großer Unterschied besteht. Ich habe mich wohl gehütet, die geologischen Tatsachen als Beweise für die Sündflut anzuführen. Alleiniger Beweis für die Sündflut und ihre Größe ist mir der Bericht der heiligen Schrift. Die erratischen Blöcke u. s. w. gelten mir nur als Spuren der Flut, darum bleibt die Thatsache der Sündflut bestehen (was für den Theologen die Hauptsache ist!), selbst wenn es der Geologie gelänge, diese Spuren als Folgen der Gletscher nachweisen zu können. In diesem für die Geologie günstigsten Falle wäre dann nicht die Kirche unterlegen, die sich über diese Spuren nie ausgesprochen hat, sondern nur jene Theologen, die gleich mir manche geologische Tatsachen als Folgen der Sündflut betrachteten. Vor dieser Eventualität bangt mir nicht; denn sie tritt nach meinem Urteile niemals ein. Nirgends aber wurde bei Behandlung der Sündfluttheorie die Behauptung aufgestellt, man müsse als katholischer Christ dieser Theorie sich anschließen, es ist ja nur die Rede von einer Theorie oder Hypothese. Ob nicht die Praxis mancher Theologen, nach den stets wechselnden „Resultaten“ der Geologie ihre Ansicht zu ändern, dem Ansehen der Theologie mehr schadet? Wenigstens hat ein Kritiker meiner Schrift: „Das biblische Sechstagewerk“ dieser Befürchtung Ausdruck verliehen.

6. Bezüglich der Schreibweise („Sünd“ oder „Sint“) pflichte ich Dr. Reusch bei, welcher in seinem Buche „Bibel und Natur“ sich also vernehmen läßt: „Rudolf von Raumer bemerkt: „Die Form „Sündflut“ ist neuen Ursprungs. Im Althochdeutschen ist die gebräuchlichere und ursprünglichere Form „sinfluot“, doch findet sich daneben auch schon „sintfluot“. Das Wort ,,sin“ findet sich im Althochdeutschen nicht einzeln, sondern nur als erster Teil von Kompifitis (z. B. singruna, unser immergrünes Sinngrün) in der Bedeutung: immer, überall, vollständig. Die Bedeutung von sinfluot oder sintfluot wäre demnach eine große, allgemeine, andauernde Flut.“ Hieran reiht nun Reusch folgende Bemerkung: „Die Schreibart „Sündflut“ ist aber eine sinnige und glückliche Substitution, indem sie an die Stelle einer unverständlich gewordenen Etymologie eine verständliche gesetzt hat, und die von mehreren Neuern beliebte Wiedereinführung der Schreibart „Sindflut“ ist darum nicht zu billigen.“ Mit mir stimmt in der Schreibweise auch Breitung, S. J. (Zeitschrift für katholische Theologie l887, 63l ff.) und Hummelauer, S. J. (Stimmen aus Maria-Laach 1879) überein.

Nun zur eigentlichen Sache, d. h. zur Betrachtung der Gletscher, welche jene Phänomene verursacht haben sollen, die von Anderen und von mir der Sündflut zugeschrieben werden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sündflut oder Gletscher?