Die Vorgeschichte der Reise

Von Hauntinger's Schriften ist bereits im Zusammenhang mit seinem Lebensgange die Rede gewesen. Einige Bemerkungen über die folgende Schrift dürften zum besserem Verständnis hier einen Platz finden. Das achtzehnte Jahrhundert war die Zeit der literarischen Reisen der Benediktiner. Nachdem schon 1683 Mabillon sein Iter gerrnanicum gemacht, folgte ihm Montfaucon mit seinem Diarium italicum, Calmet mit dem Iter helveticum, Marlene und Durand mit der Voyage littéraire, endlich Fürst-Abt Martin Gerbert mit den Itinera litteraria. Hauntinger überschreibt seinen Bericht wie folgt: „Reisediarium durch einen Teil des schwäbischen und bayerischen Kreises, mit Bemerkungen der an jedem Orte vorkommenden Merkwürdigkeiten.“ Er verlangt übrigens, daß man seine Reise „ja nicht als eine literarische Reise ansehen werde“, und wir nehmen mit Dank alle die zahlreichen, so verschiedenartigen Nebenumstände an, die der Verfasser uns mitteilt. Daß aber ein Bibliothekar den Büchern und wissenschaftlichen Gegenständen sein Hauptaugenmerk zuwendet, können wir zum vornherein erwarten.

Hauntinger's Reisegefährten waren zwei Benediktiner; der eine, P. Pankraz Vorster, der nachmalige Abt, ist uns bereits bekannt; weniger wissen wir über P. Beda Pracher aus dem Kloster Neresheim. Er war als junger Ordensprofess in der Philosophie von P. Benedict Werkmeister unterrichtet worden 1). Im Jahre 1783 hatte ihn sein Abt seinem Verwandten Abt Beda Angehrn von St. Gallen zugesandt, um die Volksschulen zu verbessern. Nun trat er die Heimreise über München an. Später wurde er zu einem ähnlichen Zwecke dem Herzog Karl Engen von Württemberg überlassen und war zuletzt Generalvikariats-Rat zu Rottenburg am Neckar2).


1) A. Lindner, Die Schriftsteller des Benediktiner-Ordens in Württemberg in den „Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner-Orden“ VI. 2, 19. (Raygern 1885.)

2) Lang, Kurze Geschichte des ehemaligen Klosters und Reichsstifts Neresheim. Nördlingen 1839, S. 41.


Die Art des Reisens in damaliger Zeit ergibt sich aus der Beschreibung. Man fuhr meist mit Extra-Post, wobei die Pferde von Station zu Station gewechselt wurden. Ein Livrée-Bedienter in den Farben des Fürstabtes von St. Gallen fuhr als Begleiter mit. Der freundlichsten gastfreien Aufnahme in allen Klöstern ist man versichert, und wiederholt sind die Gäste genötigt, länger zu verweilen, als ihnen selbst lieb ist. Man trifft auch in vielen Klöstern Bekannte oder Verwandte von St. Galler Mitbrüdern an. Gewöhnlich wird morgens in aller Frühe aufgebrochen, wohl auch ein Mal während der ganzen Nacht gefahren. Dagegen suchte man Abends bald ins Quartier zu kommen. Dann wurden noch die Notizen über die Eindrücke und Erlebnisse des Tages dem Diarium (Tagebuch) anvertraut, wie es vor hundert Jahren allgemein Sitte war.

Aus solchen Aufzeichnungen entstand der vorliegende Bericht, der vom Verfasser nicht für den Druck bestimmt war, aber mehrfach abgeschrieben wurde. Seine Absicht ging hauptsächlich dahin, dem Abte Beda einen Beweis der Erkenntlichkeit zu geben, wie dies in der Zueignung ausgesprochen ist. Vor mir liegt die eigenhändige Handschrift des Verfassers, aus fünf Heften in Karton bestehend, von welchen jedes einen Teil des Diariums enthält. Am Schlusse des fünften Heftes findet sich die Vorrede mit der Bemerkung, sie komme in der Abschrift an den Anfang des ersten Teiles. Hierauf folgt die „Zueignung an Seine Hochfürstlichen Gnaden“ und ganz am Schlusse steht: „Finis. 25.Sept. 1784.“ Und daneben ist noch bemerkt: „Den 21.Oktober 1784 muß es eingegeben werden.“ Hauntinger hat also in der kurzen Zeit vom 8.August bis 25.September das Ganze zu Ende gebracht. Weidmann berichtet von ihm, er habe rasch, wie aus einem Gusse klar und deutlich geschrieben1).

1) Geschichte der Bibliothek 176. Er wendet auf ihn den Horazischen Vers an:

In hora saepe ducentos .... versus dictabat stans pede in uno.

Horat. Serm. Lib. I Sat. 4.

Dagegen nahm er wohl zu einer fremden Hand Zuflucht, um das für Abt Beda bestimmte Exemplar zu schreiben, und darauf bezieht sich offenbar die Bemerkung wegen der Eingabe am 21.Oktober. Die Vorrede ist von diesem Tage datiert, an eben dem er vor Jahren sein Amt antrat. Es scheint, daß in der Stiftsbibliothek von Einsiedeln, bezeichnet mit Nr. 464, sich das Exemplar erhalten hat, das an jenem Tage dem Abte Beda überreicht wurde. Ich schließe dies aus dem kostbaren Einband von braunem Leder mit reicher Vergoldung und marmornem Schnitt. Wie die Handschrift nach Einsiedeln kam, läßt sich nicht mehr feststellen; wahrscheinlich über Rheinau, denn schon Weidmann1) vermutet, Hauntinger habe die sehr geschätzte Beschreibung dieser Reise seinem Bruder im Kloster Rheinau, P. Blasius Hauntinger, hinterlassen. Hieraus erklärt sich auch am leichtesten der Umstand, daß die Handschrift Nr. 464 nicht eine einfache Abschrift vom Autograph des Verfassers ist, sondern „zahlreiche stilistische Abweichungen hat, die wohl von P. Blasius herrühren dürften. Er hat wahrscheinlich das Werk seines Bruders für Abt Beda abgeschrieben und hierbei, ohne am Inhalte zu ändern, an der Form öfters die ihm gut scheinenden Verbesserungen vorgenommen. Die in St. Gallen befindliche Kopie stammt nach Scherrers Verzeichnis 2) erst aus dem 19.Jahrhundert. Gesehen habe ich sie nicht.

1) Geschichte der Bibliothek S. 140.

2) Nr. 1681, S. 503.


Die Sprache Hauntingers ist heute nach mehr denn hundert Jahren bereits veraltet. Er schreibt: Bibliotheke, zerschieden statt verschieden, Dutzet statt Dutzend, kommlich statt bequem und braucht die Wörter oft in einer jetzt nicht mehr geläufigen Bedeutung, z. B.: ein „sonderbares“ Gemälde, wenn damit ein ausgezeichnetes gemeint ist. Einige Male habe ich die Orthographie der modernen angepasst, die Eigennamen ausgenommen; im übrigen habe ich mir keine Änderungen erlaubt, sondern Satz für Satz des Originals zum Abdrucke gebracht. Weggelassen dagegen wurden die Zueignung an Abt Beda und das Vorwort, die jetzt gegenstandslos geworden sind, ferner der Anhang, der fünfte Teil des Reise-Diariums, oder „Verzeichnis einiger Bücher aus allen Klassen, welche auf unserer Bibliothek mangeln, meistens aus den Bibliotheken, die ich während meiner Reise gesehene und dann auch noch aus einigen Katalogen zusammengetragen, mit Anmerkungen über die Stärke oder Schwäche, Vollkommenheit oder Unvollständigkeit eines jeden dieser Fache (!) in Rücksicht auf unsere Bibliothek.“ Auf diesen Anhang verweist zwar der Verfasser einige Male im Verlaufe und vielleicht war er für ihn geradezu die Hauptsache. Es würde aber doch keinen Zweck gehabt haben, dieses Verzeichnis von Werken, die jetzt zum größten Teile veraltet sind, mit abzudrucken. Einiges davon findet man auch bereits in Weidmanns Geschichte der Bibliothek, S. 140 und 141.

Die Anmerkungen sollen entweder die Quellen angeben, wo über das im Text Gesagte näherer Aufschluss zu finden ist, oder Einzelheiten erläutern, die heute nicht mehr so bekannt sind, wie vor hundert Jahren. Nur selten hatte ich Veranlassung, eine kleine Ungenauigkeit richtig zu stellen.

Näher auf die Einzelheiten der Reise einzugehen wird nicht nöthig sein. Die einfache aber treue Erzählung gewährt einen interessanten Einblick in den Geist und das Leben der Klöster vor hundert Jahren. Überall sehen wir lebhafte Tätigkeit auf den verschiedensten Gebieten der Kunst und Wissenschaft, und nicht am wenigsten in dem damals neu angebauten Gebiete der Naturwissenschaften. Wen muß es nicht schmerzlich berühren, daß schon zwei Jahrzehnte darauf alle diese Stätten freudigen Schaffens durch einen Schlag, den Regensburger Reichsdeputations-Hauptschluss vom 25.Februar 1803 in Ruinen verwandelt sind. Ohne Recht, ohne zu unterscheiden, wo Zucht und Wissenschaft blühte, wo nicht, vertrieb man die Ordensleute aus Besitz und Heimstätte, gab sie dem Mangel preis, verwüstete, zerstörte Kirchen und Klostergebäude, verschleuderte die Bibliotheken und kirchlichen Kunstwerke und betrog zugleich den Staat um den Erlös. Möge die Nachwelt wenigstens ihnen ein dankbares Andenken bewahren und einstimmen in die Worte des Dichters von „Dreizehnlinden“:

Preis den braven schwarzen Mönchen,
Preis den wackern Kuttenträgern,
Alles menschlich schönen Wissens
Frommen Hütern, treuen Pflegern!



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren