Den 6. August

Den 6. August verließen wir frühe Morgens etwa um vier Uhr Weißenau, nahmen zu Tettnang die Post und fuhren über die miserabelsten Engstraßen über Tannen. Doppelschweiler, die Pflegelbergerbrücke, wo man noch den elenden Weg und Passierung der Brücke bezahlen muß, aus das Schloß Neuravensburg1), wo uns unser Obervogt mit vieler Freude aufnahm. Der Prospekt ist das schönste an diesem Schlosse, das doch eben nicht die schlechteste Figur macht, und aus einem ziemlichen Berge liegt. Man sieht einen Teil der Reichsstadt Wangen, oder vielmehr einige Dächer von den äußersten Häusern, die Bergschlösser Achberg, Homburg und, wenn es recht hell ist, auch die Turmspitzen von St. Gallen. Merkwürdiges wird hier Niemand suchen, wenn man nicht den 150 Schuhe tiefen Schlossbrunnen, wo das Wasser mit einem Rade muß heraufgetreten werden, ebenfalls in Abgang anderer Sachen dahin rechnen will. Die Untertanen scheinen mit dem gänzlichen Auskaufe von Österreich außerordentlich zufrieden zu sein. Der Herr Obervogt ließ uns nach Mittag über Roggenzell, Lindau, Bregenz auf die vorderösterreichische Benediktiner-Abtei Mehrerau (Augia maior, brigantina) führen. Zu Lindau machten wir ein wenig Halt. Die ganze Stadt ist eine Insel, welche durch eine 350 Schritte lange Brücke mit dem festen Lande verbunden ist. Wir machten nur einen Spaziergang durch die Stadt und um einige Festungswerke herum, weil wir es nicht mehr an der Zeit hatten. Das fürstliche Damenstift ist mit einer eigenen Mauer umgeben. Ich hatte ein anders Mal Gelegenheit, die nicht unfeine Stiftskirche, die protestantische Hauptkirche, ein altes, neuausgerüstetes Gebäude mit einer herrlichen Fassade, und auch die Stadtbibliothek, welcher der Herr Stadtpfarrer Pozzelius, ein gelehrter, alter und verbindlicher Herr vorsteht, zu besehen. Die Büchersammlung ist nicht schlecht und die Fächer der Geschichte und des Staatsrechtes für Deutschland zeichnen sich durch eine Menge der schönsten, größten und auch neuesten Autoren recht gut aus. Handschriften hat sie, einige lindauische Chroniken ausgenommen, keine. Mich dünkt, daß in Lindau die Polizeiordnung sehr streng ausgeübt und auch gut eingerichtet sein müsse, und das ist von einer freien Reichsstadt rühmlich und selten genug. Wir trafen in und auch auf dem Lande außer der Stadt öffentlich ausgehängte Tafeln an, worauf mit Cubitalfraktur-Buchstaben geschrieben steht: Gassenbetteln und Fechten (mit dem Hute) ist bei Zuchthausstrafe verboten, und wer Jemand einliefert, erhält 15 Kreuzer Belohnung. Ehe man auf Bregenz kommt, muß man die an die Gebirge angelegten drei Klausen passieren. Die mittlere zog sich durch Nebenwerke bis hoch auf die Gebirge, und gegenwärtig ist man mit ihrer Demolierung beschäftigt.

1) Neuravensburg war eine Besitzung des Klosters St. Gallen.


Bregenz war schon zu der Römer Zeiten bekannt; dermalen ist es ein unansehnlicher Ort, und tausend Reisende gehen durch die Vorstädte vorbei, ohne nur die eigentlich sogenannte und aus etwelchen Häusern bestehende Stadt bemerkt zu haben. Nahe dabei ist der Pfannenberg, der Geburtsort des h. konstanzischen Bischofs Gebehard. Was uns betrifft, so sind hier noch einige Andenken unserer ersten Vorväter zu sehen: ein Fußtritt, von dem die Überlieferung zeuget, daß es jener des h. Vaters Gallus sei, nahe an der zu seiner Ehre hier erbauten Kapelle; der Ort, wo der h. Magnoald einem Blinden das Gesicht gegeben, und daher auch zum Teil den Namen Magnus bekam.

Das nahe an Bregenz gelegene Kloster Mehrerau ist seit einigen Jahren von Grund aus neugebaut, und macht ein gutes Ansehen. Noch arbeitet man an dem geräumigen Konventgarten. Der Herr Prälat1) war eben in seine Vaterstadt Riedlingen abgereist, und wir wurden hier, wie immer, brüderlich ausgenommen. Wir besahen noch die sehr ordentliche, im modernem Geschmacke gebaute Kirche. Die in Lebensgröße aus einem Stein verfertigte Statue des zweiten Stifters, eines Grafen von Montfort, ist merkwürdig; sie kniet an einem Seitenaltare an der Evangelienseite. Nahe dabei ist das Grab der Seligen Haberilia, einer h. Jungfrau, welche von dem h. Gallus den Schleier empfangen haben soll. Man kann in dasselbe hinabsteigen, und es wird andachtshalber von Vielen besucht. Die Chorstühle sind mit schönen geätzten und mit Säften bemalten Furnierarbeiten eingelegt, welche die Bildnisse jener Heiligen und Seligen vorstellen, die einst diesen Ort mit ihrer Gegenwart berühmt gemacht haben. Man kann dieses uralte Kloster als unsern ersten Stammort betrachten, weil sich der h. Gallus einige Zeit mit seinem Abte Columban da ausgehalten hat, ehe er diese Wildnis bezog. An jeder Seite der Chormauer ist ein Monument angebracht, eines aus unsern ruhmwürdigen Abt Kilian2), welcher in dieser Gegend in der Aach das Unglück zu ertrinken hatte, da er eben mit feurigem Eifer für die bedrängten Rechte unseres Stiftes focht und schon gute Fortschritte gemacht hatte. Er ruhe sanft, und ein jeder biederer Nachkömmling weine ihm eine kindliche Träne nach!

1) Benedict Martini, Abt seit 1782, † 24. Juni 1791, 42 Jahre alt. J. Bergmann, Necrologium Augiae Maioris, S. 46. (Denkschriften d. phil.-hist. El. d. kais. Akad. Bb. 5. Wien 1853.)

2) Abt Kilian German, geboren 1487, erwählt den 25. März 1529, gestorben den 30. August 1530. Er ertrank mit seinem Pferde in der vom Regen hoch angeschwollenen Bregenzer Ach.


Das andere ist dem Andenken des Fürsten Leodegar gesetzt, welcher im zweiten Dezennium dieses Jahrhunderts auf dem Schlosse Ravensburg im Elende starb und hier seine Ruhestätte fand1). Noch mit einem flüchtigen Blicke besahen wir die Gebäude, welche bequem, nett, säuberlich, doch ohne Pracht, und dem Religiosenstande recht angemessen sind. Die Einwohner sind seit einiger Zeit sehr zusammengeschmolzen; zwar haben sie von einem Aufhebungsdekret nicht mehr viel zu fürchten, allein, wenn sie nicht durch gute Freunde es durchsetzen mögen, und Erlaubnis erhalten, neue Zöglinge aufzunehmen, so wütet ein anderes Aufhebungsdekret schon in ihrem eigenen Eingeweide, dessen sie sich nicht erwehren können. Es sind ihrer noch 14—15; etwa vier bei dem Ökonomiewesen oder sonst kränklich, etwa fünf auf Exposituren ausgesetzt, und auf das übrige Häuschen fallen nun alle Beschwerden zurück2). Eben einige Tage vorher, ehe wir hinkamen, war der neue Bischof des zu errichtenden Bistums Bregenz hier gegenwärtig und besah die Gegenden seines künftigen Kirchensprengels. Es ist so viel als gewiß, und man kann es sogar schon gedruckt lesen, daß diese seine Erhebung zum Bistum an diesem entfernten Orte eine Gattung einer Verweisung ist, die er sich durch seine unzertrennliche Anhänglichkeit an den Kardinal-Erzbischof Migazzi3) zugezogen hat; er selbst soll dieses mit seiner Aussage bestätigt haben.

1) Abt Leodegar Bürgißer aus Luzern, geboren 1640, Profeß 1657, erwählt den 10. Januar 1696, ward im Toggenburger Kriege 1712 von den Reformierten aus seinem Lande vertrieben und floh nach Neu-Ravensburg, wo er den 28. November 1717 starb.

2) Mehrerau wurde, nachdem Vorarlberg an Bayern gefallen war, 1807 aufgehoben, die Kirche abgebrochen, der Turm umgeworfen, das Kloster vermietet, bis 1854 das aufgehobene Zisterzienserkloster Wettingen darin eine neue Heimat fand und noch heute fortblüht.

3) Christoph Bartholomäus Anton Graf Migazzi, geboren zu Innsbruck 1714. ward 1756 Erzbischof von Wien, 1761 Kardinal, war zuerst Beförderer der Neuerung unter Joseph II., später ihr Gegner, † zu Wien 15. April 1803. Wurzbach, Biogr. Lexikon d. Kaiserth. Österreich 18, 248 ff. Die erwähnte Errichtung eines Bistums Bregenz kam nicht zu Stande.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren