Den 31. Julius

Diesen ganzen Tag brachten wir mit Besichtigung der Klostermerkwürdigkeiten in Neresheim zu, nachdem wir am Morgen unsere Andacht zu Mariabuch, einem berühmten Wallfahrtsorte, verrichtet hatten. Dieser Ort ist eine kleine halbe Stunde vom Kloster entfernt; man kommt, eine kleine Strecke ausgenommen, durch eine schöne von der Natur hingepflanzte Allee eines Buchenwäldchens, durch welches jetzt ein Weg ausgehauen ist, dahin: ein herrlicher Spaziergang, den der Heer Prälat mit Gelegenheit bis zum Konventgarten fortziehen will. In der auf moderne Art gezierten, mit zwei Kuppeltürmen und drei Altären versehenen Kirche steht noch hinter dem Choraltare die verdorrte Buche und darauf das Muttergottesbild, welches in derselben gefunden morden.

Ich beschreibe jetzt die Neresheimer Merkwürdigkeiten nach der Ordnung, wie ich sie gesehen habe. Zum ersten also die Bibliothek. Sie hat zwei bis drei Vorzimmer, welche meist mit Dubletten und alten Druckdenkmalen besetzt sind. Dann folgt der ziemlich große Bibliotheksaal selbst, worin es in jedem Fache nützliche und auch prächtige Werke gibt. Die Anzahl der Bücher ist ziemlich groß, und die historischen Schriftsteller, besonders über Schwaben, möchten da wohl nebst den Theologen und Kanonisten die Hauptrolle spielen. Von den zwei letzten Klassen mangeln fast gar keine neuern Bücher. Auch philosophische, besonders psychologische und moralphilosophische Bücher sind hier sehr willkommen, und neuere werden, was die kleinern betrifft, von den Herren selbst in Menge angeschafft. Von Manuskripten sah ich gar keines, weil mein Aufwärter keine Schlüssel dazu hatte, allein ich weiß es überhaupt, daß sie weder zahlreich noch besonders merkwürdig sind. Die Verzierung der Bibliothek ist nicht schön; sie besteht aus Tafeln, worauf heilige Benediktiner-Gelehrte hingemalt sind. Kurz, man darf es sich nicht reuen lassen, eine neue zu bauen, welches auch in Kurzem geschehen wird. Wir gingen hernach in das sogenannte Armarium, welches man auch mit Recht Armamentarium nennen könnte, indem fast das Meiste darin aufs Kriegswesen hinausläuft. Dieses Kriegsgezeuge ist einem Oberingenieur der Reichsstadt Ulm abgekauft worden. Es enthält vornehmlich alle Gattungen von Haubitzen, Doppelhacken, Kanonen, Mörsern, Bombenkesseln mit aller Zugehörde, dann alle Arten von Feldgeräte, Feldmühlen, Schmieden, Fourage- und Plunderwagen, Zelte usf. im Kleinen; weiter alle Festungswerke der Stadt Ulm in Karten, auch ausgeschnitten in Hotz; dann einige ausländische Seltenheiten, wie Muscheln, eine Sammlung Salzburger und Hertfelder Marmor, physikalische, mathematische, elektrische, optische, geometrische und hydraulische Instrumente, auch einige Stücke vom Tierreiche in Weingeist aufbehalten, worunter ein sehr wohlerhaltener Embryo einer Hirschkuh recht merkwürdig ist.


Zum dritten Male ging ich jetzt in die Kirche, weil ich mich an diesem herrlichen und geschmackvollen Gebäude nicht satt sehen konnte. Der Turm ist alt, schön, hoch und außerordentlich fest; vor einigen Jahren ließ man die Spitze der Kuppel davon abtragen, um dadurch das schädliche Einschlagen des Ungewitters zu hemmen. Die Kirche hat eine prächtige, sehr einfach schöne, von Quadersteinen ausgearbeitete Fassade, worin an einem Schilde die Worte mit goldenen Buchstaben eingehauen sind: Haec est Domus DEJ! Wenn man zur Türe hinein kommt, sieht man auf jeder Seite ein altes Grabmonument liegen; eines stellt einen Grafen von Dillingen, den zweiten Stifter des Ortes vor: ungeheuere Steinmassen mit eisernen Gitterwerken umgeben. Die Kirche ist überhaupt von einer außerordentlich schönen Architektur, sie enthält für das Schiff zwei Plafonds, dann eine Kuppel mit zwei Seitenkuppeln und wieder zwei Plafonds, davon der erste den Chor ausmacht. Sie hat (die Kuppeln ausgenommen) eine Galerie, und bis zur Galerie ist sie mit wahrer Stuckatur in antikem Geschmacke versehen. Oben auf den Pfeilergesimsen kann man auch sehr kommod herumspazieren und die ganze Kirche umgehen, die Gewölbegemälde in einer Entfernung von nur etwa 10 Schuhen betrachten. Der Raum ist hier oft 8—16 und öfters aber auch nur 4—5 Schuhe breit, ohne Galerie, und hier ist nur gemalte Stuckatur angebracht, aber so verführerisch gemalt, daß man auch in der Nähe Versuchung bekommt, sie anzutasten. Die ganze Malerei ist vom berühmten Martin Knoller aus Tirol, der jetzt in Rom des berühmten Raphael Mengs Stelle vertritt, al fresco auf nassen Kalk aufgetragen. Dies Gemälde, mag man nun Zeichnung, Kolorit, Haltung, Feinheit usf. betrachten, muß in jedem Falle bewundert werden. Dieser Mann ist so Meister über die optische Perspektive, daß alle seine Personen, wenn man sie zu unterst in der Kirche betrachtet, nicht größer und nicht kleiner scheinen, als sie wirklich am Plafond angebracht sind. Seine Gesichter sind voll Affekt und ästhetischen Ausdruckes.

Ich achte es der Mühe wert, alle Plafonds der Ordnung nach herzuzählen. Das Chorgewölbe stellt ein schönes Abendmahl mit schönen Nebendekorationen vor, und der Christus, welcher da angebracht ist, ist sich immer in allen übrigen Gemälden, wo er wieder vorkommt, in seiner Gesichtsbildung gleich. Das zweite vor der Kuppel stellt den über Fleisch, Satan und Tod triumphierenden auferstehenden Heiland vor. Majestät Gottes und Lieblichkeit des Erlösers ist auszeichnender Charakter seines Angesichts. Dieser Plafond ist, aus was für einem Versehen weiß ich nicht, nicht gewölbt; doch das muß man erst von Andern inne werden, der zauberische Künstler machte nicht nur diesen Fehler gut, sondern er malte eben da noch in einen ganz flachen Plafond einen gerade aufstehenden Heiland hin, ein Stück, so daß Knoller selbst für würdig fand, seinen Namen und die Jahreszahl 1771 hinzusetzen, und von dem er schon oft gestand, daß er nimmermehr so ein Stück verfertigen könnte. Die große Kuppel stellt die im Himmel herrschenden Heiligen vor, auch herrlich und im schönsten Geschmack. In der Nebenkuppel zur Epistelseite ist die Aufopferung des Heilandes im Tempel: die heilige Einfalt, die zärtliche Liebe, die Freude und wonnevolle Andacht des alten Simeon, der Anna, die Modestie der göttlichen Mutter sind hier ganz Natur. Auf der entgegengesetzten Seite ist die Taufe Christi, eine Schilderung, die man nicht schöner denken könnte, mit dem naivsten Beiwerk verziert. Der erste Plafond im Schiffe stellt den im Tempel lehrenden Heiland vor. Majestätisch öffnet sich das Gewölbe des schönen Tempels nach und nach, steht offen und schließt sich allmählich wieder, wie es die Stelle des Zusehers fordert, eine wahre Architektur. Die starren Blicke auf den göttlichen Prediger, Verwunderung, Beschämung, Reue stehen auf dem Antlitze verschiedener seiner Zuhörer. Am letzten Plafond jagt der aufgebrachte Heiland die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel. Göttlich erhabener Zorn blitzt aus seinem Antlitze, die strafende Geißel in seiner Rechten, und ängstliche Furcht herrscht auf jeder Stirne der Schuldigen. Das Gemälde ist überhaupt so fein, als wenn es mit Oelfarbe aufgetragen wäre. Neresheim darf stolz darauf sein, und Knoller hat sich da ein würdiges Denkmal gestiftet.

Der Chor ist auch à l'antique gebaut; die Stühle sind ohne weitere Verzierung aus hartem Holze, und über denselben sind auf beiden Seiten die Orgelkästen aufgestellt. Die Altäre sind aus Marmor, den man aus dem Württembergischen und von Füssen kommen läßt, auch in antikem Geschmacke gebaut. Noch sind nicht mehr denn drei davon ausgemacht. Die Steine dünkten mich schöner, als jene in Salem. Die Salemitanischen Altäre aber sind in einem weit bessern Geschmack gebaut, wenn ich mich nicht sehr irre, als die von Neresheim. In Salem ist das Majestätische, das Ehrfurchterweckende des Antiken mit einer gewissen gefälligen, nicht tändelnden, sondern recht männlichen Artigkeit verbunden. Von den Neresheim’schen dünkt es mich, sie verfallen zu sehr ins Kolossalische, gar zu nackte und gezierte Antiken, welches ich besonders vom Choraltare und dem darauf stehenden offenen Tabernakel, der auf vier massiven Säulen ruht und mit einem großen runden Hute gedeckt ist, verstauben haben will. Auch die matt vergoldeten, ungeheuer großen Vasen, welche bei den Kuppelaltären auf eben so kolossförmigen abgestumpften Säulen stehen, machen bei weitem keine solche Wirkung, als die vergoldete Kupferarbeit in Salem, und sie sind noch überdies zu wenig abwechselnd Der Choraltar steht am Anfange des Chores, ist doppelt, wie in Salem, und am Ende des Chores hängt ein am Kreuze sterbender Heiland aus halberhabenem weißlichtem Gipsalabaster. Die Blätter der Nebenaltäre sind aus der nämlichen Materie auf die nämliche Art bearbeitet. Eines stellt die heiligste Dreieinigkeit und das andere den englischen Gruß vor. Gegenwärtig ist man mit Bearbeitung der zwei Priestersitze beschäftigt. Sie bekommen die Gestalt eines altmodischen Thrones, werden auch aus Marmor verfertigt, in der Mitte des ersten ein Basrelief von Gipsalabaster, welcher den ersten Stifter Thassilo vorstellt. Das zweite wird vermutlich dem zweiten Stifter zur Ehre auch mit seinem Bildnisse geziert werden. Der Gedanke davon ist gemein und die Erfindung dabei kommt den Salemischen Faldistorien an ausgewähltem Geschmack bei weitem nicht nahe, und auch diese dünken mich zu kolossförmig. Doch ich höre auf, eine Sache zu kritisieren, worin ich vielleicht nicht Beurteilungskraft genug besitze; ich habe nur meine unvorgreiflichen Gedanken hingeschrieben, ein Einsichtsvoller mag urteilen, ob und wie viel sich in meinem Urteile Richtiges finde. Auf der Epistelseite mußten etwa zwei Spiegelfenster, statt wahrer Lichter, zur Erhaltung der Symmetrie angebracht werden, weil das daranstoßende Gebäude es nicht anders zugeben wollte.

Bei einem Seitenaltare aus der Evangelienseite wird hier der h. Leib des römischen Blutzeugen und Knaben Urbicus aufbehalten; man kann dabei seine originelle Grabschrift lesen, welche in einen kleinen weißen Stein mit griechischen Uncial- ober gar Kapital-Buchstaben in lateinischer Sprache eingeätzt ist. Sie heißt von Buchstaben zu Buchstaben so:

Euporos Urbico filio bene rnerenti fecit.

Und jetzt genug von der herrlichen Kirche, welche unstreitig im Ganzen genommen die schönste ist, die wir während unserer Reise gesehen haben1). Zwar sahen wir einige, wo Gold zur Verzierung hingesät worden, allein ich verstehe wahre, männliche Schönheit, dem Hause Gottes angemessene Schönheit — nicht Schminke, Spiegelwerke, für Theaterlogen passend.

1) Die Kirche blieb nach der Aufhebung ton 1802 Pfarrkirche der oberen Gemeinde, das Kloster wurde in ein fürstlich Taxis’sches Schloß verwandelt. Vgl. Keppler, Hist.-pol. Bl. 102, 654—658.

Nun zu den Klostergebäuden. Die doppelte Treppe zum Hofgebäude ist ansehnlich, die Gebäude weder schlecht noch außerordentlich prächtig, auch nicht gar alt. Die Zimmer der Patres sind anständig, reinlich, prachtlos und je eines mit einem Ofen versehen. Das alte Schulgebäude, eine wahre Kaserne, wird und ist auch schon innerlich so erneuert, daß man es aufs künftige Schuljahr schon beziehen kann. Die Zimmerchen der Studenten sind jetzt sehr nett eingerichtet, und die meisten davon mit kleinen eisernen Öfen versehen. Man gibt hier die lateinischen Anfangsgründe normalmäßig, auch hält man den Eleven nebst der Geographie, Geschichte und was sonst aller Orten gegeben wird, Vorlesungen über Naturlehre, ein schöner Gedanke! Schade, daß für dies alles nur zwei Lehrer angestellt sind, welche meines Erachtens nicht wohl alles verstehen können.

Jetzt noch etwas vom Grund und Boden dieses Landstriches, von den Veranstaltungen des jetzigen gnädigen Herrn und dann Punktum. Diese Strecke Landes wird nicht vergebens Hertfeld genannt. Es ist in der Tat ein harter Ort, ein Ort, von welchem es scheinen möchte, daß der Fluch der stiefmütterlichen Natur besonders darauf hafte, und diese ganze Strecke scheint auf etliche Stunden hin nur ein einziger Felsen zu sein. Dem jetzigen Prälaten war es vorbehalten, diese rohen Steinklippen, welche aller Mühe zu trotzen schienen, in ergiebige Felder umzuschaffen. Seine Weise, einen Boden urbar zu machen, ist folgende. Er baut an jenen Ort, dem er seine Mühe will angedeihen lassen, allererst ein Haus, eine Scheune, sucht sich einen ehrlichen und arbeitsamen Kerl heraus, und gibt ihm auf gewisse Jahre hin alles unentgeltlich über. Dabei läßt ers bewenden, bis sich der Ort in fruchtbarem Stande befindet, und dann zieht er auch billig sein Gehöriges davon. Auf diese Weise sind schon viele beträchtliche Landstriche umgewandelt worden, so daß man mitten aus einem ganz steinigten Grunde segenvolle Früchte emporsteigen sieht. Dasjenige, was ihn in seinem Stifte unvergeßlich machen wird, ist, daß er sich die Reichsimmedietät erworben, und jetzt eigener unabhängiger Herr für sich ist. Im Ökonomiewesen befolgt er eigene Grundsätze, und schlägt einen Weg ein, welcher noch von keinem andern Kloster betreten worden ist. Daß er darin glücklich ist, weiß Jedermann, ob aber diese Weise zu wirtschaften, auch andern Orten gedeihlich sein würde, wird ein Problem bleiben. Seine Hauptökonomie-Regel heißt: Gut wirtschaften für ein Kloster heißt, gerade so viel es sein kann, keine eigene Wirtschaft führen, sondern alles bar einkaufen, und sich auch alles an barem Gelde auszahlen lassen und dabei bleibt er pünktlich. Fleisch, Brod sogar, und aller übrige Lebensunterhalt wird auf jede Woche im Laden aufgekauft; bei ihm tut diese Weise recht gut, und er kann nicht umhin, ein großes Befremden zu zeigen, wenn andere Leute in Zweifel setzen, dass diese Weise auch anderswo im größeren Vorteil bringen sollte. In seinem Bezirke ist Gassenbettel verboten, der Müßige bekommt Arbeit, und der wahrhaft Dürftige tätige Unterstützung. Aus der nämlichen Ursache schaffte er die Austeilung des Klosterbrodes ab, und nun sind dafür andere Anstalten zum Wohl der Armut getroffen. Für die Studien, auch für die niedrigsten Klassen derselben interessiert er sich sehr. Oft überfällt er Lehrer und Lehrlinge mit seiner unvermuteten Gegenwart, und monatlich werden Prüfungen darüber gehalten, denen er auch, wenn es die Geschäfte zugeben, beiwohnt, die jungen Eleven zum Studium ermuntert und auch die Verdienten belohnet. Ans Ordensdisziplin bei seinem Konvent, und auf Ordnung beim Gesinde hält er sehr streng, ohne deswegen Misanthrop zu sein; er weiß diese Genauigkeit durch gefällige Herablassung und auch durch Vergünstigung ehrbarer Belustigungen zu mildern und dadurch seinen Untergeordneten das Joch des Gehorsams zu erleichtern. Beim Herzog von Württemberg steht er in voller Gunst, ob ihm dieselbe gleich zuweilen auch ein schönes Opfer kostet, und er erst seit kurzer Zeit seinen besten Mann, den P. Benedict Werkmeister1) ihm einstweilen in seine Dienste auf Stuttgart überlassen mußte. Sein Charakter ist Leutseligkeit und herablassendes Wesen gegen Jedermann, im Umgange Munterkeit mit Ernst gemischt, tiefe Kenntniß des Staatsrechts des Römischen Reiches, unverdrossene Arbeit und unwiderstehliches Bestreben für das Wohl seines Stiftes. Gaben, welche ihn einst verewigen werden. Er steht gegenwärtig seinem Kloster etwa 30 Jahre vor und Rechtschaffene wünschen, noch 30 unter so einem Oberhaupte zu stehen.

1) P. Benedict Werkmeister, geboren zu Füssen 1745, tat 1765 Profeß, ward 1769 Priester, erhielt 1784 vom Herzog Karl von Württemberg den Ruf als katholischer Hofprediger nach Stuttgart, trat 1790 mit päpstlicher Genehmigung in den Weltpriesterstand und starb in Stuttgart 16. Juli 1823. Lindner a. a. O. VI. (1885) 2, 19. — Waitzenegger. Gelehrten- und Schriftsteller-Lexikon der deutschen kath. Geistlichkeit, 2, 500—505.

Noch diesen Abend nahmen wir den rührendsten Abschied von ihm, weil wir am Morgen in aller Frühe über Lauingen, Dillingen und Günzburg durch einen Umweg auf Elchingen reisen wollten. Nach vielen Debatten mußten wir uns endlich dahin verstehen, erst um 10 Uhr fortzureisen, und also einen kürzern Weg einzuschlagen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren