Den 1. August

Nach einer nochmaligen Beurlaubung also verließen wir dies Stift und unsern Reisegefährten, den P. Beda, der bis dahin noch immer bei uns verblieb, und fuhren den 1. August weg, durch noch einige Umschweife unsere Heimreise anzutreten. Gleich außerhalb des Klostertores sind etwa 15—20 schöne Häuser hingebaut, alle dem Stifte zugehörig, und meist vom jetzigen Prälaten aufgeführt. Unten im Tale liegt das winzige Stadtchen Neresheim, welches nicht vom Stifte, sondern vom Fürsten von Wallerstein abhängt, nur der Kirchensatz gehört dem Prälaten. Es ist ein kleiner unansehnlicher Ort, und zugleich die Hauptstadt des Wallersteinschen Anteiles. Der Herr Prälat ließ uns bis Heidenheim mit seinen eigenen Pferden führen. Er hatte noch die Güte, einen Eilboten zu Pferde dahin vorauszuschicken, um Pferde für uns aufzutreiben, und überdies hatte er auch schon das Postgeld bis Elchingen für uns vorauszahlen lassen. Es freute uns recht sehr, daß wir eine kleine Gelegenheit hatten, ihm ein geringes Zeichen unserer Dankbarkeit erzeigen zu können. Herr Angehrn1), sein Neffe, empfahl sich bei uns mit eben dieser Gelegenheit in sein Vaterland heimzureisen, und mit vieler Freude willigten wir in sein Gesuch. Der erste Ort, den wir im Württemberger Lande betraten, hieß Ratten. Dann folgte Heidenheim, ein kleines Städtchen an der Brenze, mit einem hohen herzoglichen Bergschlosse. Hier ist eine Drahtfabrik, die wir aber, weil es Sonntag war, nicht besehen konnten. Nach einigen schönen abwechselnden Gegenden kamen wir auf Herbrechringen, ein Dorf sammt einer ehemaligen Augustinerpropstei, die jetzt einem lutherischen Propst zur Wohnung dient. Von weitem sahen wir noch Anhäufen, eine ehemalige Zisterzienser Abtei im Württembergischen, die jetzt mit vielen andern das nämliche Schicksal wie Herbrechringen und Königsbrunn hat. Jetzt kam die herrliche Gegend und Ebene um Langenau im Ulmischen, ganz mit dem schönsten Getreide vergoldet. Der Flecken ist von einer außerordentlichen Länge; er möchte sich wohl auf eine halbe Stunde ausdehnen, hat drei Pfarrkirchen: je eine beim Anfange, in der Mitte und am Ende des Ortes. Das Weben im Winter und der Feldbau im Sommer schafft den Einwohnern Unterhalt. Gemeiniglich sagt man, daß hier 400 Weber wohnen, welche mit 700 Pflügen ins Feld fahren. Die Pflüge sind hier und auch in Bayern viel leichter und geschmeidiger als bei uns; auch wird die Erde nicht so tief geackert, und überhaupt, der Ackerbau leichter behandelt. In dieser Gegend bezieht der Herzog von Württemberg in Ansehung der drei oben angezogenen und noch anderer kassierter Klöster außerordentlich reiche Zehnten, und die Marksteine, die man rund um diesen Strich herumsieht, sind deswegen sehr oft mit einem Abbatialstabe bezeichnet.

1) Nun Stadtpfarrer zu Lichtensteig 1795. (Anmerkung von späterer Hand.) Joh. Blasius Angehrn von Bischofszell war Pfarrer in Gähwil von 1791—1794; Pfarrer in Lichtensteig 1794—1800. (Gütige Mitteilung vom Hochw. Herrn Pfarrer Tremp in Lichtensteig.)


Endlich kamen wir über das Dorf Unterelchingen, welches dem Stifte gehört, im Kloster Elchingen an. Es steht auf einer schönen Anhöhe und ist ganz mit den segenvollsten Äckern umschlossen. Wir wurden vom hochwürdigen Herrn P. Prior Meinrad1) sehr gütig aufgenommen, und nur mit vieler Mühe konnten wir ihn dahin bringen, daß er uns zuließ, ihm unsere Aufwartung in seinem Wohnzimmer machen zu dürfen. Der Herr Reichsprälat2) war abwesend, wir hatten ihn in Augsburg gesehen, wo er über das Reichsstift .St. Ulrich die Administration führt, nachdem der Herr Prälat von Neresheim sich endlich dieser Stelle, die er einige Jahre zum großen Vorteile dieses Gotteshauses bekleidet hat, mit kaiserlichem Konsens begeben hatte. Die Gastgebäude des Klosters sind neu und prächtig, die Konventgebäude aber alt und schlecht gebaut. Ich werde die Ursache davon weiter unten anführen. Das Kloster war noch vor einiger Zeit in seiner Herrschaftsausübung sehr eingeschränkt. Die Reichsstadt Ulm hatte noch jüngsthin ansehnliche Rechte über dasselbe, welche ihm sehr unbequem fallen mußten. Das Kloster aber hat sich bei den schlimmen Ökonomieumständen dieser Reichsstadt durch eine schöne Summe Geldes von diesen Rechten vollkommen losgezählt und ist nun vollkommen übersSeinen Bezirk Meister.


1) P. Meinrad Widmann, geb. zu Erringen 1733, Profeß 1754, Priester 1760, † 25. März 1793. Lindner a. a. O. 2, 162.

2) P. Robert Kolb, geb. zu Deggingen 1736, Profeß 1755, Priester 1761, wurde 6. März 1766 zum Abte gewählt, † 25. März 1793. „Er machte sich in vielfacher Hinsicht um sein Reichsstift verdient, so dass man ihm den ehrenvollen Titel eines Wiederherstellers desselben beilegte.“ Lindner a. a. O. 286.


Die Kirche hat drei Schiffe, ist an sich selbst alt, aber neu ausgeziert, mit Gold und andern Zierraten über und über geschmückt. Wahrlich keine Neresheimer Kirche! Die Gemälde sind vom Kurtrier’schen Hofmaler Zick1), die Hauptplafonds sind schön, doch bei weitem nicht die besten Stücke dieses Meisters, und von einigen Seitengemälden ist es meiner Einsicht nach sicher, daß sie gar nichts taugen. Wirklich liegen auch diese Seitengänge sehr tief; es ist also kein Wunder, wenn diese Art in Fresko zu malen schlechte Wirkung gemacht hat. Der neue Chor-Altar ist in voller Arbeit, und der Chor si viel wie ausgebaut. Die hölzernen Chorstühle sind alabasterartig balieret und mit Gold ausgeschmückt. Auf der einen Seite über diesen Stühlen sind die Orgelkästen im nämlichen Geschmacke, und auf der andern sind Kästen mit falschen Pfeifen zur Erhaltung der Symmetrie hingesetzt, unter den Konventgebäuden ist das Dormitorium besonders merkwürdig, weil es ein Denkmal der recht ökonomischen Bauart der Reichsstadt Ulm ist. Die Herren von Ulm ließen es sich einst in einem gewissen Paroxysmus beikommen, das ganze Kloster abzubrennen; sie wurden vom Kaiser angewiesen, ein neues auf ihre Kosten an den nämlichen Ort hinzustellen, und nun ging es recht haushälterisch zu. Die Wohnzimmer wurden alle in einem einzigen eben nicht großen Gang zusammengedrängt. An beiden Seiten dieses Zwischenganges stehen also Zimmer, über deren Pracht auch der launigste Mönchsfeind wohl nichts zu satirisieren wüsste; oben ist zu beiden Seiten ein hölzernes Brustgitter mit einem schmalen Gänglein, und da stehen eben so viele Zellen, kurz, zwei Reihen von Zimmern ohne einen Zwischenboden.

1) Januarius Zick geboren zu München 1733, wurde 1761 trier’scher Hofmaler in Koblenz, † 1797. Müller, Künstler aller Zeiten 3, 921.

Die Bibliothek besteht in einem kleinen Saale, der ein reguläres Viereck ausmacht, mit einer Galerie und Auszierungen von Chronographen und andern dergleichen Zeuge aus den Olimszeiten versehen. Ich weiß nicht, ob die Bücherschränke deswegen alle mit falschen Bücherrücken verschlossen sind, weil man es nicht ansehen lassen will, einen unbeträchtlichen Büchervorrat zu haben, oder aber, ob sie nur ganz allein zur Dekoration dienen müssen. Von Manuskripten ist ein einziger Codex aus dem 14. oder 15. Jahrhundert merkwürdig; er enthält das berühmte Kunstwerk des Rhabanus De S. Cruce und ein Speculum humanae salvationis mit Figuren. Ich fragte einigen Werken nach, von denen man mir bejahte, daß sie sich auf der Bibliothek befänden, aber finden konnte sie der Herr Bibliothekar trotz aller angewandten Mühe selbst nicht. Das theologische und patristische Fach sieht so ziemlich gut aus; von diesem habe ich mir die Opera S. Leonis Magni in zwei Foliobänden Rom 1755 gemerkt. Etwa 20 Quartbände von Muratorischen Nebenwerken lassen sich auch nicht übel sehen. Im übrigen gibt man den Verheerungen des Feuers Schuld, daß sich hier im Literarischen so wenig finden läßt; ob sich aber dieser Schaden aus irgend eine Weise ersetzen ließe, darüber mögen Andere urteilen. Noch zeigte man uns ein paar ausgestopfte Kropfgänse, die zum Anfang der siebenziger Jahre in ganz Deutschland zur Schau herumreisten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren