Sturz, Johann Jakob (1800-1877) Kolonialpolitiker und Menschenfreund, (Biographie)

Aus: Allgemeine Deutsche Biographie 37 (1894), S. 61-68
Autor: Schramm-Macdonald, Hugo (1837-1914) Historiker, Nationalökonom, Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1894
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderer, Auswanderung, Kolonisten, Kolonien, Besiedlung, Ansiedlung, Siedler, Bauern, Reiselust, Reisebeschreibung, Menschenrechte, Sklaven, Menschenhandel, Landbesitzer, Landbesitz, Reformen, lügenhafte Berichte, Zeitungsartikel, Presseberichte, Vorurteile, Vorteile, Tierschutz, Tierquäler, Lebensbild,
Johann Jakob Sturz wurde als jüngster von 12 Söhnen eines bairischen Landesdirektionsrats am 7. Dezember 1800 zu Frankfurt a. M. im alten Kaiserpalast geboren. Auch noch nach dem frühen Tode seines Vaters verkehrten im elterlichen Hause geistig bedeutende Männer, so insbesondere der Geograph Karl Ritter, welcher den Knaben unterrichtete und viel zur Erweckung seiner kühnen Unternehmungs- und Reiselust beitrug. Zuerst widmete sich Sturz dem Kaufmannsstande, und machte infolge von geschäftlichen Aufträgen als junger Mensch eine Reise nach Mexiko, wo er bei verschiedenen Gelegenheiten bereits zeigte, welch rasche Entschlossenheit und Tatkraft in ihm wohnte.

Nach Europa zurückgekehrt, studierte er in England die Technik des Bergbaues und das Maschinenwesen. Dann bereiste er Brasilien und trat 1830 an die Spitze eines großen mexikanischen Silberbergbaubetriebes. Bald darauf gewann ihn aber eine Londoner Gesellschaft für ihre Goldminen in Brasilien. Hier war seine Stellung zwar eine sehr günstige, doch gab sie Sturz trotzdem nach zwei Jahren auf, weil er mit dem ersten Verwalter, einem früheren englischen Obersten, wegen der grausamen Behandlung und schlechten Verpflegung der in den Minen beschäftigten Sklaven in steten Misshelligkeiten lebte.

Nun richtete er sein Streben darauf, Brasilien für den Völkerverkehr zu gewinnen, da nur von dessen Wirkung zu hoffen war, dass Land und Volk dem Zustande der Halbbarbarei entrissen wurde. Mit unendlicher Mühe und großen Geldopfern brachte es Sturz 1838 endlich dahin, dass eine englische Dampfschifffahrtsgesellschaft die Erlaubnis zum Befahren mehrerer Flüsse und Baien, besonders aber den Postdienst auf dem Amazonenstrome erhielt. Um dieselbe Zeit begann er, wie gefahrvoll dies auch für ihn war, nicht bloß für eine Erschwerung der Sklaveneinfuhr zu wirken, sondern auch die Sklaverei selbst zu bekämpfen und eine freie Einwanderung aus Europa zu befürworten. Der fanatische Widerstand, der ihm hierbei namentlich von den Großgrundbesitzern entgegengesetzt wurde, ließ ihn nach einigen Jahren, trotz seines inzwischen hoch gestiegenen Einflusses, der bis ins Parlament und Ministerium, ja bis in die kaiserliche Familie reichte, an allem Erfolge verzweifeln, und, nachdem er, statt für sich etwas erübrigt zu haben, das Seinige eingebüßt hatte, wandte er sich 1841 nach England.

Hier ward Sturz vielfach in der Sklavenfrage zu Rat gezogen, so namentlich vom Lord Brougham, dem feurigen Vorkämpfer für die Abschaffung der Sklaverei; ihm lieferte St. den ausgiebigsten Stoff zu dessen glänzenden Reden Wider die Sklaverei, und nachdem Brougham endlich die strengsten Maßregeln von Seiten Englands zur Unterdrückung der Sklaveneinfuhr in Brasilien durchgesetzt hatte, durfte sich Sturz rühmen: „Ich bin mir bewusst, hierdurch Brasilien einen besseren Dienst erwiesen zu haben, als ihm je von einem oder selbst von Hunderten seiner trefflichsten Bürger geleistet worden ist.“ Inzwischen hatte man in Brasilien notgedrungen den Beschluss gefasst, die weiten Ländereien durch freie Einwanderer zu bevölkern. Und wohin hätte man dabei die Blicke mit größerer Aussicht richten können, als nach Deutschland, und wen hätte die brasilianische Regierung zur tatkräftigen Förderung dieses Planes geeigneter finden können, als unseren Sturz.

So wurde Sturz 1843 brasilianischer Generalkonsul für Preußen. Allein nicht im Sinne seiner menschenfreundlichen Bestrebungen, wie er gehofft, verlangte die brasilianische Regierung seine Dienste. Der arglose Mann sollte vielmehr für schlechte Zwecke zum deckenden Schilde gebraucht werden. Sturz gab sich von Berlin aus die größte Mühe, zunächst in Brasilien selbst solche Reformen anzubahnen, welche eine freie deutsche Einwanderung, und zwar nach den südlichen Provinzen mit gemäßigterem Klima ermöglichen sollten; die schlauen Portugiesen aber hatten für jeden seiner Vorschläge zwar eine höfliche Antwort, ließen sie aber im übrigen unberücksichtigt.

Ja noch mehr: die brasilianische Regierung organisierte unter Leitung ihrer anderen Konsuln und geheimer Agenten eine massenhafte Einfuhr armer Deutscher als weiße Sklaven, indem sie letzteren freie Überfahrt anbieten und durch einen sogenannten Parceriavertrag Landbesitz in Aussicht stellen ließ. ("Parceria“ bedeutet in Brasilien eine Halbpacht, d. h. eine solche Pacht, bei der die Pächter von Ländereien den Besitzern die Hälfte des Ertrages abgeben.) In Wahrheit schufen diese berüchtigten Verträge für den umgarnten deutschen Auswanderer Verhältnisse, die ihn völlig schutzlos dem willkürlichen Ermessen und dem Peitschenregiment des Plantagenbesitzers, welchem er sich verdungen hatte, preisgaben und tatsächlich den Sklaven gleichstellten. Die Unglücklichen, welche den Verlockungen folgten, gingen fast ausnahmslos auf den Pflanzungen des heißen nördlichen Brasiliens zu Grunde. Leider fanden sich auch in den freien Hansastädten Schiffsreeder, die den ruchlosen Absichten der brasilianischen Sklavenbarone dadurch den mächtigsten Vorschub leisteten, dass sie durch lügenhafte Berichte ihre armen Mitbürger ins Elend locken halfen.

Ein Mann aber duldete es nicht, dass man die deutschen Auswanderer in der Schlinge der Parceriaverträge fing: das war Sturz. Zuerst versuchte er, seine Regierung zu bewegen, dass sie dem schändlichen Treiben der Sklavenbarone ein Ziel setze. Allein diese hatten mittlerweile das Übergewicht in der Regierung vollends erlangt und wussten seine Bemühungen zu vereiteln. Infolge dessen stand der Generalkonsul mit einem Male vor der Wahl: entweder das nichtswürdige Treiben ungehindert seinen Lauf nehmen zu lassen und seine einträgliche Stellung zu behalten oder diese in die Schanze zu schlagen und sich gegen die von ihm vertretene Regierung zu Gunsten des Rechts und der Menschlichkeit aufzulehnen. Sturz zögerte keinen Augenblick, denn ihm ging die gerechte Sache über Alles. Er nahm sofort den Kampf gegen die Sklavenbarone auf, und die nächste Folge davon war, dass er von der brasilianischen Regierung der von ihm 16 Jahre lang bekleideten Stellung ohne jedes Ruhegehalt enthoben wurde. So verfuhr diese Regierung in ihrer Kurzsichtigkeit mit einem der aufrichtigsten Freunde und tatkräftigsten Wohltäter Brasiliens, über welchen der um dieses Land gleichfalls hochverdiente Naturforscher v. Martins im Jahr 1852 an den damaligen brasilianischen Gesandten in London, Teixeira de Macedo, folgendes geschrieben hatte: „Herr Sturz ist für mich ein erstaunlicher Mann. Ich arbeite auch und kann arbeiten, aber eine Tätigkeit, wie sie dieser Mann entwickelt, überall, wo er nur vermuten kann, dass er Brasilien nützlich zu sein vermag, ist wahrlich etwas Bewunderungswürdiges. Nach allen Seiten richtet er seine Blicke und wie ein Liebender bringt er alles, was er sieht und hört, in Beziehung zu seiner Vielgeliebten. So hofft er auch stets Vorteil zu ziehen von jeder Entdeckung, von jeder neuen Idee für sein neues Vaterland, dem er sich mit einer Hingebung weiht, die Viele erröten machen sollte, die ihr eigenes Vaterland nicht zu lieben verstehen. Ich hege hohe Achtung für eine solche Geistesstimmung und glaube, dass auch die Herren Minister gewiss solchen Eifer zu schätzen wissen. Dabei ist Sturz von einer so edlen Uneigennützigkeit, dass er wohl als ein Beispiel hingestellt werden kann.“ (Vgl. das von mir verfasste Lebens- und Charakterbild von C. F. Ph. v. Martius Leipzig 1869, in dessen zweitem Bande ich eine größere Anzahl von Briefen Martins' veröffentlicht habe.)

Der Kampf, auf den sich Sturz eingelassen, war ein verzweifelter. Er stand allein und verfügte nur über geringe Hilfsmittel. Ihm gegenüber stand ein Heer von gedungenen Presseagenten und anderen Werbern, die von Brasilien aufs freigebigste unterstützt wurden. Sturz aber zeigte, dass einem starken Herzen nichts unmöglich ist. In einer Unzahl von Zeitungsartikeln und Flugschriften deckte er die Lügen der brasilianischen Presseagenten auf, warnte in beredten Worten vor der entsetzlichen Gefahr, welche den deutschen Auswanderern durch den Parceriavertrag drohe, zählte die Auswanderer auf, die bereits in den Zucker- und Kaffeepflanzungen zu Grunde gegangen, und schreckte so Tausende vor einem Schritte zurück, der sie unfehlbar dem größten Elende und sicherem Untergange entgegengeführt hätte.

Brasilien 000 Gesamtansicht des Hafens von Rio de Janeiro

Brasilien 000 Gesamtansicht des Hafens von Rio de Janeiro

Brasilien 001 Eine Tropa, Auf dem Zuge ins Innere

Brasilien 001 Eine Tropa, Auf dem Zuge ins Innere

Brasilien 002 Flussübergang

Brasilien 002 Flussübergang

Brasilien 002 Goldwäscher

Brasilien 002 Goldwäscher

Brasilien 004 Schwarz und weiß (Bahia)

Brasilien 004 Schwarz und weiß (Bahia)

Brasilien 005 Wasserträgerin aus Pernambuco

Brasilien 005 Wasserträgerin aus Pernambuco

Brasilien 006 Bei Bahia, Auf dem Wege nach Victoria

Brasilien 006 Bei Bahia, Auf dem Wege nach Victoria

Brasilien 007 Farmer (Fazendeiro) aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 007 Farmer (Fazendeiro) aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 008 Eingeborener aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 008 Eingeborener aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 009 Sao Felix

Brasilien 009 Sao Felix

Brasilien 010 Straße in Rio de Janeiro

Brasilien 010 Straße in Rio de Janeiro

Brasilien 011 Canal do Mangue in Rio de Janeiro

Brasilien 011 Canal do Mangue in Rio de Janeiro

Brasilien 012 Schönheiten aus Bahia und Rio de Janeiro

Brasilien 012 Schönheiten aus Bahia und Rio de Janeiro

Brasilien 013 Korbflechter

Brasilien 013 Korbflechter

Brasilien 014 Hausierer

Brasilien 014 Hausierer