Zweite Fortsetzung

Wenn weiter die 1876 auf Anregung des Königs der Belgier gegründete internationale Afrikanische Gesellschaft insbesondere die Unterdrückung des Sklavenhandels im „schwarzen“ Weltteil zu einer ihrer Aufgaben gemacht hat, so hat auch daran Sturz nicht geringen Anteil. War er es doch gewesen, der durch Wort und Schrift bei den europäischen Regierungen unablässig darauf gedrungen hatte, dem entsetzlichen Menschenraube und Menschenhandel in Afrika ein Ende zu machen, wie er früher auch für „die Beseitigung der Sklaverei in Nordamerika mit Heranbildung der Sklaven für die Freiheit und ohne Opfer der Herren“ (s. seine 1843 unter diesem Titel erschienene Schrift) praktische Vorschläge gemacht hatte. Die Beschlüsse der Brüsseler Konferenz erfüllten sein Herz mit solcher Freude, dass er dem König Leopold II. in warmen Worten für den Dienst dankte, den er der Humanität geleistet habe. Mit keiner Silbe gedachte er dabei des eigenen Verdienstes um die Sache, wie er ja überhaupt — so schrieb mir eine seiner Töchter kurz nach seinem Tode — nur selten und wenig über sich sprach. Noch vor jener Konferenz war übrigens Sturz in seiner Schrift „Der wiedergewonnene Weltteil“ mit Vorschlägen zu einem Unternehmen hervorgetreten, dessen Ziel nicht bloß die Unterdrückung des Menschenhandels, sondern auch die Gewinnung von Kolonien in Afrika, eines Indiens für Deutschland, sein sollte; ja, er hatte sogar, trotz seiner 76 Jahre, die Absicht, persönlich an dem von ihm geplanten friedlichen Eroberungszuge nach Afrika teil zu nehmen. Somit war der alte Konsul auch ein Vorkämpfer für unsere späteren Kolonisationsbestrebungen. Die Großartigkeit und Vielseitigkeit seiner Entwürfe, denen er auch Form und Gestalt zu geben und Leben einzuhauchen wusste, bezeugen die Großartigkeit und Vielseitigkeit seines geistigen Vermögens. „Sein Herz“, meint Duboc mit Recht, „wird besser aus anderen Betätigungen seiner mitleidigen und jedem Hilfsbedürftigen bereitwillig zugeneigten Seele erkannt“, und von diesen Betätigungen erscheint keine rührender, als der wahrhaft heldenmütige Kampf, den Sturz in den letzten Jahren seines Lebens für das geknebelte und misshandelte Schlachtvieh geführt hat.

Es tat ihm weh, wenn er in Berlin beobachten musste, wie die Kälber von rohen Schlächtern geknebelt und dann, lebloser Ware gleich, auf den Karren geschleudert wurden, um hier während einer langen Fahrt die entsetzlichsten Qualen auszustehen. Nicht weniger empörte es sein Gefühl, dass das Schlachtvieh mit Hilfe kläffender und beißender Hunde durch die Straßen gehetzt wurde. Beim bloßen sittlichen Unmut ließ er es aber nicht bewenden. Vielmehr schritt er auch mit all der ihn auszeichnenden Energie zur Tat, um solcher Brutalität zu steuern. Das war freilich wieder nicht leicht. Hatten doch anfänglich sogar Mitglieder der Polizei und der Presse für das Unterfangen des alten Mannes nur ein mitleidiges, ja spöttisches Achselzucken. Dies konnte jedoch den Trefflichen nicht abhalten, das, was sein edles Herz einmal als recht und gut erkannt hatte, auch in diesem Falle mit zäher Ausdauer durchzusetzen. Dabei war auch die Wahl der Mittel charakteristisch für ihn. Zunächst appellierte er in zahllosen Zeitungsartikeln an das Gewissen aller derer, die es anging; sodann erließ er eine geharnischte Erklärung, nach welcher er als durch sein eigenes Gewissen bestallter öffentlicher Ankläger alle diejenigen bei Gericht anzeigen und verklagen werde, welche mit dem Schlachtvieh in so barbarischer Weise umgingen, dass ihr Verfahren sich als Tierquälerei darstelle, und endlich hielt er sich zu diesem Zwecke an bestimmten Tagen 7 bis 8 Stunden auf dem Viehhofe auf und nahm ein kleines Beobachtungscorps von Berliner Straßenjungen in seinen Sold, welches den Viehhof und die Schlachthäuser zu jeder Zeit überwachen musste; erblickten seine kleinen Kundschafter einen Wagen mit geknebelten Kälbern, so riefen sie Sturz herbei, und dieser ließ dann die Namen der Tierquäler durch einen Schutzmann feststellen. Natürlich erregte Sturz durch solche Maßregeln den Zorn und die Wut der Schlächter. Viele derselben gingen daher sogar zu Tätlichkeiten gegen ihn über, indem sie vom Wagen herab mit der Peitsche nach ihm schlugen oder auch wohl von ihren Fäusten Gebrauch machten. Selbst Misshandlungen aber — und einmal war sogar sein Leben durch die aufs äußerste erbitterten rohen Fleischergesellen bedroht — ließen seinen Eifer nicht erkalten, im Gegenteil sie vergrößerten ihn noch, und seine Bemühungen hatten auch schließlich den gewünschten Erfolg: das Knebeln der Kälber wurde verboten und ihre Einfuhr nach Berlin sachgemäß und in humaner Weise geregelt. Der hochherzige Mann beschränkte sich übrigens als Tierfreund keineswegs auf das hier Mitgeteilte; er veranlasste mich im Jahr 1872, mit ihm zusammen bei den spanischen Cortes die Abschaffung der Stiergefechte in Anregung zu bringen, und noch kurz vor seinem Tode verbreitete er auf seine Kosten in Hunderttausenden von Exemplaren ein kleines Bilderbuch ("Des Kindes Gespielen"), welches den Kindern Liebe zu den Tieren einflößen und sie durch allerlei Sprüche zur Schonung derselben ermahnen sollte. Mit der Zeit war Sturz eine gewissermaßen populäre Berliner Gestalt geworden, wohlbekannt namentlich auf allen Zeitungsredaktionen, von denen es kaum eine gab, die nicht mit ihm in persönliche Berührung gekommen wäre, und obgleich der feuereifrige Mann, ein geborener Agitator, gelegentlich den Zeitungsleitern recht viel Last machte, so hat sich unter diesen doch fast jeder gescheut, dem hochverdienten alten Herrn den Stuhl schnöde vor die Tür zu setzen. So besaß Sturz für die Berliner Presse eine sittliche Bedeutung.


Gerade an seinem Geburtstage, am 7. Dezember 1877, ward er in Friedenau bei Berlin, wo er zuletzt gewohnt, zu Grabe getragen. Noch bei seinem Tode hatte er, bis zuletzt ein Jüngling im Herzen, mit Eroberungsplänen sich beschäftigt, aber kein Eroberer mit dem Schwerte war er, sondern ein Eroberer mit der Kraft selbstloser Menschenliebe und eines stürmischen Willens, nicht unterwerfen wollte er, sondern frei machen alle Unterdrückten; die Waffen, die er führte, bis seine Hand erschlaffte, führte er für die Ausbreitung der Gesittung. Treffend sagt Duboc, dass Sturz in das Ich jedes Du mit eingeschlossen und dass ihn niemals jene sonnenlose Stimmung freud- und liebloser Gleichgültigkeit angewandelt habe, die, auf das Weltganze angewandt, den Standpunkt des Pessimismus als praktische Konsequenz ergibt. Er war aber auch kein Schwärmer, der unerreichbare Ziele verfolgt, sondern sah nur weiter, als gewöhnliche Sterbliche, und wusste, dass ohne Streben nach dem Höchsten nichts Großes im Leben erreicht wird. Wohlmeinend und warnend, hat Sturz, ein Abbild des getreuen Eckart, allezeit im öffentlichen Leben gestanden als ein unerschrockener, unbeugsamer Anwalt jeder gerechten Sache.
Brasilien 034 Wohnhaus eines deutschen Kolonisten im Staate Santa Catharina

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Brasilien 035 Hafenstraße in Joinville

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Brasilien 036 Blumenau

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Brasilien 037 Fähre auf dem Rio Itapocu (Santa Catharina)

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Brasilien 038 Sao Bento

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Brasilien 039 Oxford

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Brasilien 040 Serrastraße

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Brasilien 041 Neue Kolonisten in der Hansa

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Brasilien 042 Porto Alegre, Intendenzgebäude

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Brasilien 043 Straßenszene in Port Alegre (Rio Grande do Sul)

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Brasilien 044 Sao Leopoldo (Rio Grande do Sul)

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Brasilien 045 Bei Alto Jacuhy, Sägemühle im Hochland von Rio Grande do Sul

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Brasilien 046 Junge Brasilienerinnen aus Uruguayana

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Brasilien 047 Kolonie Ijuhy

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