Studien über die innern Zustände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Russlands. Band 1

Autor: Haxthausen, August Freiherr von (1792-1866) deutscher Agrarwissenschaftler, Nationalökonom, Jurist, Landwirt, Schriftsteller, Volksliedersammler., Erscheinungsjahr: 1847

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Als Kenner des Agrarwesens wurde Haxthausen vom russischen Zaren Nikolaus I. 1843/44 eingeladen, Russland zu bereisen, um die ländlichen Verhältnisse dort zu untersuchen. Zur Finanzierung dieser Reise zahlte ihm der Staat sein Gehalt für ein Jahr im Voraus aus; den Rest musste er privat aufbringen. Dadurch entstanden zwei Reisewerke, „Studien über Russland“ und „Transkaukasia“.

Die Ergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlichte er in verschiedenen Schriften. Das von ihm herausgegebene Werk Vier Abhandlungen über das constitutionelle Princip (Leipzig 1864, 2 Tle.) enthält Monographien von Karl Biedermann, Joseph von Held, Rudolf von Gneist, Georg Waitz und Wilhelm Kosegarten. Seine letzte Arbeit: Die ländliche Verfassung Russlands (Leipzig 1866), bezog sich auf die inzwischen vollendete Bauernemanzipation. August von Haxthausen hatte sich auch stark an der russischen Bauernbefreiung von 1861 beteiligt. Außerdem entstand eine von ihm zusammengetragene, umfangreiche Sammlung von geistlichen und weltlichen Volksliedern.

"Wer nach Russland reisen, die dortigen Zustände gründlich untersuchen, mit unbefangenem Auge das Volksleben anschauen will, muss zuvörderst Alles vergessen, was er in der Fremde darüber gelesen hat."

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Vorwort.

Der Verfasser des gegenwärtigen Buchs *) hat seit langen Jahren sich dem Studium der ländlichen Verfassung in ihrem ganzen Umfange, nämlich der Gemeindeverfassung und der Verfassung des Bauernstandes in allen seinen Beziehungen, zum Landbau, zu seiner Familie, zu seinem Grundherrn (wo er noch im Abhängigkeitsverhältnisse steht), zur Gemeinde und zum Staate, gewidmet. Er hat sich bemüht, das Leben der sogenannten untern Stände unmittelbar und durch eigene Anschauung zu beobachten und zu studieren. Er fand später für diese seine wissenschaftlichen Bestrebungen Zeit, Gelegenheit und Unterstützung, als das preußische Gouvernement ihn beauftragte, in allen Provinzen der Monarchie an Ort und Stelle die Verhältnisse des Bauernstandes gründlich zu untersuchen, und durch ausführliche Darstellungen und historische Entwickelung derselben zu konstatieren. Die von ihm gesammelten Materialien sollten dann einer künftigen Gesetzgebung die nötigen Grundlagen und Hilfsmittel gewähren. Er hat zu diesem Behuf von 1830 bis 1838 alle Teile der preußischen Monarchie nach allen Richtungen hin, so wie auch einen großen Teil angrenzender Länder durchreiset.
Auf diesen Reisen und bei Vergleichung seiner gesammelten Materialien traf er, bei Erörterung der historischen Entwicklung einzelner Teile der ländlichen Verfassung, in sämtlichen westlichen Teilen Deutschlands auf rätselhafte, aus den Grundlagen des reingermanischen Volkslebens nicht zu entwickelnde Verhältnisse.

*) Über die gewerblichen und Handelsverhältnisse Russlands hat mein Reisegefährte, Dr. Kosegarten, schätzbare und hier mit abgedruckte Beiträge geliefert.

Da nun in diesen, wenn auch ursprünglich germanischen Ländern, etwa vom 6ten bis zum 12ten Jahrhundert, slawische Volksstämme ansässig gewesen, welche später allmählich verschwunden oder germanisiert waren, so musste er bald darauf hingeführt werden, dass jene oben angedeuteten rätselhaften Verfassungsverhältnisse ihre Wurzeln im dort untergegangenen slawischen Volksleben und der ältesten slawischen Verfassung haben mussten.

So ward es ihm dann für seine historischen Studien zur Notwendigkeit, das Volksleben und die Verfassung der slawischen Völker einem etwas umfassenderen Studium zu unterwerfen. Da er es nun aber niemals vermocht hat, die Verfassungen der Völker bloß aus Urkunden und schriftlichen Denkmalen zu studieren und sich klar zu stellen, sondern stets das Volksleben selbst und unmittelbar anschauen musste, wo dann die nachstehenden späteren Studien der schriftlichen Denkmale ihm das Verständnis nur erleichterten, nicht zuerst gaben, so konnte er nur den dringenden Wunsch hegen, die ursprünglichen slawischen Länder, die stets und bis jetzt von slawischen Völkern bewohnt geblieben waren, und die ihre Volksverfassung unberührt und selbstständig entwickelt hatten, zu besuchen, und so die Verhältnisse aus eigner Anschauung kennen zu lernen.

Bei den Teilen der preußischen Monarchie, die noch jetzt von slawischen Volksstämmen bewohnt werden, den Landstrichen der Kassuber, Masuren, Oberschlesier und selbst der eigentlichen Polen hat sich die slawische Urverfassung der ländlichen Verhältnisse nicht rein erhalten, und nicht unvermischt national ausgebildet. Es sind so viele germanische Elemente eingedrungen, dass man in einzelnen Verhältnissen oft nicht entscheiden kann, was germanisch, was slawisch ist.

Er musste daher den Wunsch hegen, solche Länder zu besuchen, zu durchreisen und zu durchforschen, wo die echt slawischen Elemente der ländlichen Verfassung sich ungestört und rein hatten entwickeln können. Hierbei konnte er nur die südlichen Teile der österreichischen Monarchie, Serbien, Bulgarien und vor allen Russland ins Auge fassen.

Eine solche Untersuchung hatte aber große Schwierigkeiten, sie konnte unstreitig nur mit besonderem Schutz und besonderer Unterstützung der betreffenden Gouvernements vorgenommen werden.

Er fand dann beim russischen Gouvernement die größte Bereitwilligkeit, seine wissenschaftlichen Forschungen zu unterstützen. Der Kaiser befahl, nicht bloß ihm den Schutz aller Behörden zu gewähren, sondern auch aus Archiven und Registraturen die nötigen Nachrichten und Notizen ihm zukommen zu lassen.

Nachdem er sich in Petersburg Alles zu einer so wichtigen Reise verschafft hatte, trat er im Frühjahr 1843 von Moskau aus seine Reise an. Er wandte sich zuerst zum Norden, durchzog einen Teil der ungeheuren Wälderregion, und kehrte dann zur Wolga zurück, reiste nach Osten bis Kasan, dann südlich bis Sssaratow, wandte sich dann den reicheren Korngegenden Pensa, Tambow, Woronesch, Charkow zu, durchzog über Jekatrinoslaw die Steppe bis Kertsch in der Krim. Von dort machte er eine besondere kleine Reise in die südkaukasischen Länder, nach deren Vollendung er die Krim bereiste, und sich längs der Küste ziehend Odessa erreichte. Dann durchzog er Podolien und Wolhynien, erreichte Kiew, und kehrte, die Gouvernements Tschernigow, Orel und Tula durchziehend, im November nach Moskau zurück.
Das hier folgende Buch enthält nun einen Teil der von ihm in Russland erlebten Erfahrungen und Anschauungen und der gesammelten Materialien.

Man muss als Prinzip bei diesen Untersuchungen im Auge behalten, dass insbesondere die ländlichen Verhältnisse, sowohl die materiellen, als die Rechtsverhältnisse, bei jedem Volke eine besondere nationale Grundlage haben. Nur wenn man diese vollständig erkannt hat, wird man jene Verhältnisse richtig aufzufassen und darzustellen vermögen. Wenn schon jedes Volk, ja jede Volksabteilung, in dieser Beziehung besondere Eigentümlichkeiten zeigt, so treten uns diese in einem höheren Maßstabe bei den beiden großen Völkerfamilien, den germanischen und den romanischen Volksstämmen, entgegen. Aber dennoch ist auch sehr viel Gemeinsames, Analoges, Ähnliches vorhanden. Eine seit einem Jahrtausend bestehende vielfache gegenseitige Durchdringung und Amalgamierung der Sitten, der Sprachen, der Interessen, des ganzen Volkslebens, die gemeinsame Kirche, die Ausbreitung des römischen Rechts hat diese Annäherung, Ausgleichung und Vermischung hervorgerufen und begründet.

Dies letztere hat sich dann auch in den Sprachen ausgeprägt. Alle diese Sprachen haben Worte und deren Begriffe gebildet, die Eines und Dasselbe ausdrücken. Man kann in jeder von diesen Sprachen die obgedachten Verhältnisse nicht bloß des eignen, sondern selbst des fremden Volks beschreiben und darstellen, und zwar dergestalt richtig, dass der Gelehrte des fremden Volks nicht bloß dies selbst anerkennen wird, sondern wenn er etwa das Buch in seine Sprache übersetzen möchte, dasselbe als allgemein verständlich und richtig vom Publikum anerkennen lässt.

       (weiter unter Erste Fortsetzung)

Haxthausen, August Freiherr von (1792-1866) deutscher Agrarwissenschaftler

Haxthausen, August Freiherr von (1792-1866) deutscher Agrarwissenschaftler

Studien Titel

Studien Titel

Studien Vorwort 1

Studien Vorwort 1

Studien Inhalt 1-5

Studien Inhalt 1-5

488 Tatarendorf Gepantschow, 60 Werst südlich von Kasan

488 Tatarendorf Gepantschow, 60 Werst südlich von Kasan

490 Ein Tatarengehöft in Gepantschow, zwischen Kasan und Ssimbirsk am linken Wolgaufer

490 Ein Tatarengehöft in Gepantschow, zwischen Kasan und Ssimbirsk am linken Wolgaufer

Moskau - Der Kreml

Moskau - Der Kreml

Moskau - Roter Platz

Moskau - Roter Platz

Moskau - Blick auf den Kreml

Moskau - Blick auf den Kreml

Moskau - Basilius-Kathedrale

Moskau - Basilius-Kathedrale

Moskau - Bettler und Obdachlose wärmen sich am Feuer

Moskau - Bettler und Obdachlose wärmen sich am Feuer

Moskau - Die Zaren-Glocke

Moskau - Die Zaren-Glocke

Moskau - Die Zaren-Kanone

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Moskau - Kaiser-Proklamation

Moskau - Kaiser-Proklamation

Moskau - Kaiserliches Opernhaus

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