Konviktorist und Professorenbursch

Ein rechter Student ist durch Geldmangel stets nur vorübergehend in Verlegenheit gesetzt. Um den Durst zu stillen, schraubt man den ersten besten Pennal, gegen den Hunger hat er mannigfaltige Mittel. Bisher hat man bei dem Hauswirt gespeist, der gab Wohnung jährlich für 30 Gulden, nahm für Beköstigung wöchentlich 8 Groschen, jetzt aber will der nichts mehr borgen, weil schon zu lange nichts mehr bezahlt ist. Da wendet man sich einfach an die Garküche oder den Bierkeller, oder man giebt die Empfehlungsschreiben ab, indem man zierliche Entschuldigungen wegen Verzögerung anbringt, und erlangt Freitische, oder man geht aufs Land und stiehlt einem Bauern Enten oder Gänse und läßt sie sich bei der Wäscherin braten. Dem gewandten Lateiner gelingt vielleicht ein wohl gedrechseltes Gedicht von hundert Strophen, er widmet es einem vermögenden Gönner, der sich dadurch sehr geschmeichelt fühlt und eine ansehnliche Gratifikation dafür herausrückt. Auch gibt es junge adlige Studenten, die oft vermöge einer Deckung durch fürstliche Reskripte eine Ausnahmestellung durchsetzen, nichts mit den Nationen zu tun haben und doch Gewicht darauf legen, daß sie einen auf der Universität und in deren Brauch recht beschlagenen Stubengenossen erwerben. Die Adligen können studentischen Anhang nicht entbehren, aber sie lassen sich nicht darauf ein, sich von ihm führen zu lassen, sondern stehen mit überlegenem Lächeln gern abseits und gründen, wo es sein kann, ihre eignen Vereine, die natürlich nur so lange dauern, wie die Gründer auf der Universität sind. So gibt es einmal eine Gesellschaft der Kavallierer, die an der Spitze keinen Senior, sondern einen Apollo hat und neben ihm neun Musen und drei Grazien, die andern Mitglieder heißen Expektanten. Nach ihren Satzungen hat Apollo beim Gelage erst drei Glas vorzutrinken. Anderswo gab es eine Gesellschaft zu gemeinschaftlichen Raufereien mit dem Abzeichen der Rose (Tübingen 1602) oder eine Societas venatoria, die es für ihren Zweck erklärte, gegenüber den bürgerlichen Bestien auf Jagd auszugehen, sie zu hetzen und zu plagen (Helmstädt 1665) oder eine Gesellschaft zum Knittelschlagen (daselbst 1672), die sich durch ihre Jungen Knittel nachtragen ließ. Vielleicht, daß es sich bei letzterer Gründung nur um Hohn und Spott gegen eine Verordnung der akademischen Behörden handelte.

Kann man mit solchen Hilfen nicht sein Dasein fristen, so meldet man sich als Konviktorist. Das ist der letzte Ausweg, den man nur im bittersten Notfalle beschreitet. Auf den meisten Universitäten sind als schwache Nachbilder der einstigen Kollegien Konviktorien gestiftet, wo Studenten gegen eine ganz geringe Vergütung gemeinsam speisen. An den vielen Einzeltischen sitzen je zwölf Genossen. Ein Mitglied der Behörde hat die Verwaltung der Gelder und soll sie Oberaufsicht üben, ein Ökonomus setzt drei Essen auf und sorgt dafür, daß für jeden ¾ Pott Bier zur Verfügung steht. Dafür bezahlt man wöchentlich etwa 8 Schilling und muß mindestens allmonatlich alles berichtigen ober Bürgen stellen, falls man Schulden macht. An diesen Tischen finden sich also die ärmeren unter den Studenten ober die herabgekommenen zusammen, und der Spott, der stets bei solchen Ausnahmestellungen rasch bei der Hand ist, hat sie Kaldaunenschlucker genannt, weil ihre Kost sehr dürftig und gering zu sein pflegt. Graupen und Zugemüse sehen dem Spählicht ähnlich, auch schwimmen große Hülsen drauf, das Fleisch besteht wohl nur aus lauter Sehnen und ist kaum halb gar gekocht. All zuviel ist ungesund, allzuwenig aber auch, durch beide Umstände wird der Charakter der jungen Leute verdorben. Man kann auch nichts dazu sagen, daß sie einmal ihrem Haß gegen den allzu habsüchtigen Ökonomen Luft machen und im plötzlichen Aufruhr mit Stöcken und Degen auf ihn eindringen und ihn fürchterlich prügeln, ihm Türen und Fenster zerschlagen und den Hausrat auf die Straße werfen, aber man weiß auch sonst auf der Universität, daß die rüdesten Betreiber des Pennalismus, die liederlichsten Studenten sich unter den Konviktoristen finden, nicht nur auf einer einzelnen Universität, sondern fast überall auf den reicher besuchten (1614 in Rostock, 1650 in Tübingen). Es nützt nichts zur Milderung der Sitten, daß beim Antritt des Konviktes zur sittsamen Aufführung ermahnt wird, lange Gebete und Vorlesungen aus der Bibel täglich beim Essen festgesetzt sind ober vielleicht gar eine lateinische Studentenpredigt. Dagegen setzen sich auch bei den Kommunitätern (ober Schwarzmänteln) allerlei Bräuche fest, die sie sich selbst geschaffen haben als eiserne Gesetze, und an denen niemand ungestraft rütteln darf. Scheidet von den Zwölfen einer vom Tisch und wird ein Neuer eingeschoben, so muß der sofort etwas zum Besten geben, etwa ein Trinkgelage für die Elf, ober er muß eine Summe Geldes zahlen, eher wird er nicht als membrum mensae angesehen. Allerdings hat gegen den Unfug die Universitätsbehörde den Kampf eröffnet und läßt jeden beim Antritt der Akademie schwören, daß er keinen Antrittsschmaus vom Neulinge jemals fordern will, aber der Eid wird leicht umgangen, indem man Zwischenmänner einschiebt, die den Saumseligen mahnen müssen, während sie sich den Anschein treuherziger Freunde geben. Weigert er sich trotz wiederholter Erinnerungen, so „wäre ihm besser, das Schwert des Dionysius über seinem Nacken zu haben,“ als mit den Tischgenossen zusammen zu essen. Sie ärgern ihn geschlossen tagtäglich in jeder Weise, stehlen ihm sein Brot; verderben ihm seine Kost und teilen seine Knauserei allen Studenten mit, und diese machen, da es sich hier um Aufrechterhaltung eines Prinzips handelt, schnell gemeinschaftliche Sache; man zischt, wenn er sich zeigt, räuspert sich vor dem Vorübergehenden, wirft ihn mit Knochen und Speiseresten, behandelt ihn als Pennal und schimpft ihn Räckel und Schlindhol, bis er sich fügt oder ausscheidet. —


Bei dem Kommunitäter oder Konviktoristen, der gleichsam als Proletarier unter den Studenten dastand, bildete sich eine immer wachsende Abneigung aus gegen den Aristokraten, der durch den Professorenburschen vertreten wurde. Bezahlte der Konviktorist etwa 8 Schilling wöchentlich, der Bürgerbursche, d. h. der am Tische eines Bürgers speiste, mindestens das doppelte, so gab der Professorenbursche das Sechs- und Achtfache. Der Professor aber, der einen Mittagstisch für die Reichen in seinem Hause eingerichtet hatte, freute sich an den prächtigen Zuschüssen zu seiner Kasse, die ihm in den unsicheren Zeiten oft besser sein Dasein fristeten, als sein ärmliches Professorengehalt; er beachtete es nicht, daß er zu den übrigen Studenten in eine schiefe Stellung geriet, weil er alles daransetzen mußte, um sich eine edle Kundschaft zu erhalten, um die Gunst seiner Gäste buhlen, auf Antreiben seines Weibes seine Würde darangeben und, statt die seiner Führung anvertrauten Studenten zu heben, zu ihnen hinabsinken. Die Eltern daheim waren froh in dem Gedanken, daß ihr Sohn im Hause des geachteten Universitätslehrers gleichsam eine Zufluchtsstätte vor den Rohheiten des Studentenlebens gefunden hatte, und brachten die größten Opfer, sie ihm zu erhalten. Gewiß hat auch ein charaktervoller, ernster Mann langdauernden Einfluß auf die seinem Schutze Anvertrauten gewonnen und auf sie veredelnd gewirkt; aber sein Ernst war nicht immer nach dem Sinn zügelloser Jugend, sie drängte also mehr zu den Professoren, die sich in ihre Launen fügten um der Kundschaft willen und bereit waren, dafür zu sorgen, daß die stets gesteigerten Ansprüche ihrer Tischgäste befriedigt wurden. Auf dem Kirchenchor wollten die Professorenburschen stets vorn am Gitter allein sitzen, sie boten den vorbringenden Kommunitätern in der Kirche Ohrfeigen und wiesen sie auf die letzte Bank zurück oder hießen sie unten stehen, nahmen ihnen in Verspottung den Hut weg ober die Handschuhe, und die Folge war, daß im plötzlich auflodernden Haß die Gekränkten sich erhoben und mit den Degen die Professorenburschen vom Chor und aus der Kirche jagten und sie draußen einem Steinhagel durch ihre Jungen aussetzten. — Bei allen Disputationen wollten die Professorenburschen am nächsten am Katheder stehen, der Universitätsfechtmeister sollte ihnen allein zur Verfügung stehen, kein Konviktorist durfte, wenn sie in Aktion traten, sekundieren, auf dem Keller hielten sie ihren eigenen Stammtisch, erwarteten, von den Kommunitätern zuerst gegrüßt zu werden, nahmen jedoch den Hut nicht wieder ab, traten bei dem Rektor mit dem Degen ein und gingen keinem aus dem Wege, als nur den Bierträgern und Kapitlern. Die Bürger beugten sich, weil sie von ihnen höhere Miete bezogen. Beim Antreten ihres Tisches bei dem Professor gaben sie ihren Antrittsschmaus mit Pauken und Trompeten, und nicht selten rüsteten die Tischgenossen große Paraden in prunkvollen Ausfahrten unter Reiterbegleitung aus. Kostbare Gelage im Hause ihres Wirtes wurden bei besonderen Gelegenheiten bestellt, der Professor aber, der wußte, daß dabei viel für ihn abfiel, gab sich den Anschein, als sei er gegen solche Dinge gleichgültig, reiste für den Tag auf das Land, ließ seine Frau das festliche Mahl ausrichten und steckte später schmunzelnd die verdienten Batzen (20 Reichstaler bei mancher Mahlzeit, weil mit vierfacher Kreide angeschrieben wurde) in die Tasche. Es wurde Sitte, daß zu Neujahr des Wirtes Eheweib beschenkt wurde, wohl gar mit einem ungarischen Dukaten, jedes seiner Kinder erhielt einige Groschen Bargeld, die Magd einen Ortsthaler, gleichfalls wurden bei den Messen oder Jahrmärkten Geschenke für die Hausgenossen erwartet, Angebinde bei Geburtstagen, Übergabe des silbernen Löffels und der Tischkanne beim Abgange. Erlaubten sich nun diese Federjunker oder Degenstutzer irgend welche Ausschreitungen, die vor das Konzil gebracht wurden, so mußte man sie entschuldigen, weil Jugend austoben mußte, aber die Kommunitäter nahm man als rohe Gesellschaft dafür in schärfere Zucht. Es kam nach dem Zeugnisse eines Zeitgenossen vor, daß die Professoren sich von ihren Studenten zu den Nationalschmäusen führen ließen, dort den größten Unfug mitmachten, mit ihnen auf dem Boden saßen, knieend tranken, schrieen, blökten, schwärmten; sie tanzten neben den Studenten auf offenen Plätzen, Stuben, Sälen, Gärten, Höfen, Vorwerken, Wiesen. Besonders lächerlich sahen die Theologen in ihren langen Röcken und Mänteln und gestutzten Harzkappen aus. —

Der Leser ist allmählich des Studentenlebens müde geworden, ich merke es am Gähnen; und der seelische Rapport mit einigen Leserinnen, in den ich allmählich versetzt bin, verrät mir, daß es Zeit ist, wenigstens so zu tun, als ob ich auf die Frage hören wollte, wann es denn eigentlich mit dem Studentenleben aus sei. Ich nehme also Anlauf, zum Schluß zu kommen und antworte: Wann es beliebt. Wir können ein Jahr studieren und zehn Jahre, ja, es gibt Leute später in Amt und Würden, die nur ein halbes Jahr Student gewesen sind und andere, die an vierzig Jahre, bis an ihr Ende Student blieben. Wer wollte in rauer Kriegszeit jemanden darob schelten, daß er, von den rasch ziehenden Heeren gleichsam gehetzt, von der Universität entflohen war, unterwegs wohl gar geplündert von Banden der Wegelagerer. Welcher Landesherr, der seine Dörfer verödet und verlassen sah, fragte allzu lange nach der Dauer des Studiums dessen, der sich zum Predigtamt meldete? Hatte jemand Neigung, sich in die Einöde zu begeben, dann genügte ein allgemeiner Nachweis seines Bildungsganges und ein wissenschaftliches Gespräch mit dem Superintendenten, und die Vorbedingungen waren erfüllt. Sehr ergötzlich ist die Nachricht vom Examen, das ein General-Super-Intendent noch um 1680 anstellt. Er fragt seine beiden Examinanden, die nur ein halbes Jahr studiert hatten, sitne rneritum Christi universale an particulare, (ob Christi Verdienst sich auf die ganze Welt ober nur auf einen Teil derselben beziehe). Antwort: particulare. Da läuft der Examinator zur Tür und ruft: „Nu, so heb ick nichts damit tho doon!“ Da rufen ihm beide nach: universale, universale! Darauf wandte er sich um und sagte: „Ja, so komm ick wedder.“ — Mancher Student zog halbe Semester lang umher durchs Land, mancher wanderte in einem Jahre über zwei, drei Universitäten, Testierbogen gab es nicht, nicht einmal Abgangszeugnisse wurden gefordert (wenigstens nicht überall), mancher wollte eine Zeitlang seine Studien unterbrechen, weil er keine Mittel hatte, wurde Präzeptor und blieb dann auf dem Gute feines Patrons, bis er von diesem auf eine erledigte Pfarre gesetzt wurde, ohne daß ein Superintendent von ihm etwas anderes gehört hatte als eine Antrittspredigt, wenn überhaupt diese. Und mancher, der heutzutage seufzt:

„Mich befällt ein leises Frieren,
Denk' ich der Examina!“

wird rückblickend auf das siebzehnte examensfreie Jahrhundert seufzen:

„O schöne Zeit, o goldene Zeit.“

Vielleicht gedenkt er auch der Kehrseite solchen Lebens. „Er macht in Eile neue Schulden, denkt auf Wegkommen mit Manier, fängt, als er im Borgkeller einen Hundssuff hat, mit einem andern an zu craquelieren, schlägt ihn an den Hals, daß der ihn vor die Klinge fordert, sticht ihn im dritten Gange durch, erklärt, daß seines Bleibens nicht länger wäre und entflieht.“ Nach Hause getraut er sich nicht, weil man sich dort seiner losen Streiche wegen längst von ihm losgesagt hat, so tritt er in eines Herrn Dienst, der ins Ausland, gegen die Türken ober den Venetianern zu Hilfe zieht, oder er tritt in heimische Kriegsdienste, wo er unter der wehenden Fahne auf alle seine früheren Schandtaten noch neue häfft, bis er irgendwo vom Feinde erschlagen wird, hinter dem Zaun verlassen und krank verkommt oder von ergrimmten Bauern zu Tode gemartert wird. Viele, die auf dem leichtfertigen Universitätsleben Schiffbruch gelitten haben, wohnen hernach in den verwüsteten Orten als arme Schulmeister und Glöckner in elenden Hütten. Jemand, der die Pennale einst am meisten vexiert hat und nun so kümmerlich sein Dasein fristet, erlebt es, daß einer der Pennale, der später in Amt und Würden gekommen, mit vielen Pferden und Dienern wiederholt in den Ort einzieht. So oft er kommt, läuft der ehemalige Schorist von Weib und Kind fort ins Holz und wohnt dort einmal drei Tage in den Klüften im Winter, indem er sich mit Händen Wurzel gräbt, aus Angst vor Vergeltung. Mancher, bei einst der stolzeste Professorenbursch war, ist zum Gaukler, Taschenspieler, Straßenränder herabgesunken, ein anderer zieht handelnd mit Wetzsteinen durchs Land, ein anderer ist Botengänger ober Flurschütze, Höker, Körner, Schäferknecht und dergleichen mehr. Wen diese Aussichten locken, der kann auch noch heute ohne Examen zu solcher Beförderung kommen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studentenleben im 17. Jahrhundert