Die Nation

Im fünfzehnten und Sechzehnten Jahrhundert finden sich auf allen deutschen Universitäten die Bemühungen, die Studenten in Vereinigungen zusammenzufassen, aber sie gehen nicht von den Studenten selbst, sondern den Behörden aus, sind nicht auf den deutschen Geist zugeschnitten, sondern nach dem Muster eines fremden Volkes hergerichtet. Die Gliederung nach Nationen entsteht in Paris und wird von dort nach Prag übertragen, sie ist aber auch die Veranlassung, daß die Deutschen aus Prag auswandern; letztere nahmen die Einrichtung der Kollegien (oder Regentien) mit. In der regen Teilnahme, die man in Deutschland später der Errichtung von Universitäten zuwandte, wetteiferten Behörden und Bürger, geräumige Häuser zu stiften, in denen die Studenten wohnen, erzogen und unterrichtet werden konnten. Solche Kollegien waren in Rostock z. B. das weiße Kollegium, das Einhorn, der rote Löwe, die Kufferei, die Himmelspforte und der Adler. Sie lagen durch die Stadt weit zerstreut, jedes Gebäude stand unter der engeren Aufsicht eines Professors, der auch in ihm seine Vorlesungen hielt. (Ein gemeinsames Universitätsgebäude gab es nicht.) Letzterer leitete mit den ihm helfenden jüngeren Kräften die Studien der Bewohner, hielt zum Arbeiten und Wiederholen an und lenkte die Disputationen. Jeder Student war durch seinen Eid verbunden, in einer dieser Regentien seine Wohnung zu nehmen, und nur der Rektor hatte — etwa bei Überfüllung — die Macht, davon zu dispensieren. Um 9 Uhr abends wurde die Tür geschlossen, und der Regentiale begann seine Wanderung, um die Studenten zu überwachen. — Mochte nun für Wohnung und Beköstigung noch so wenig zu zahlen sein und so der Aufenthalt auf der Universität wesentlich erleichtert werben, so war der Geist der Einrichtung doch undeutsch, die Leiter der Kollegien hatten zu große Macht, so daß sie nicht selten den Versuchungen, sich gegenüber ihren Mitarbeitern besondere Vorteile zu verschaffen, erlagen.

In diese Einrichtungen, die von Frankreich aus übertragen waren, griff die Reformation alsbald, allerdings unabsichtlich, aber geradezu zerstörend, ein. Strömten die Studenten nach einem Orte hin in solchen Massen, daß die Kollegien sie nicht annähernd fassen konnten, so wandten sie sich von anderen Orten weg, und dort standen die Kollegien leer und verfielen. Da der deutsche Geist dem Zwange beim Beschäftigen mit den Wissenschaften abhold war, so benutzten die Studenten die Gelegenheit, sich zu befreien, und nur in England hat sich die mittelalterliche Einrichtung noch ziemlich rein erhalten. In Deutschland kam damals die Zeit, wo die Hochschüler im frischen Herzensdrange zu einander ihre Verbindungen gründeten. Liegt der Anfang auch im Ungewissen, so kann darüber doch kein Zweifel sein, daß er ins sechzehnte Jahrhundert zurückreicht; erst dann, als die Landesfürsten, Professoren oder Geistliche Veranlassung nahmen, gegen Verirrungen ihre Angriffe zu richten, sahen sich die Verbindungen genötigt, ihre Absichten in Satzungen offen darzulegen, deren etliche uns wortgetreu erhalten sind. Die Gedanken mancher Abschnitte sind uns noch heute so vertraut, daß man glaubt, eine neuere Verbindung reden zu hören. Völlig fremd aber erscheint uns — glücklicherweise — die unerschütterliche Grundlage alles Studentenlebens des siebzehnten Jahrhunderts, daß nämlich die Nation, das heißt nicht die allgemeine deutsche, sondern die kleinvölkische, überall oben ansteht, der Landsmann gesellt sich nur zum Landsmann aus dem engeren Vaterlande. Er ladet, er nötigt, er zwingt durch allerlei Maßregeln, wie wir später sehen werden, die Gaugenossen zum Eintritt, und er schließt mit scharfem Schnitt alle anderen von seiner Gemeinschaft aus. Die damaligen Studentenverbindungen verdienen also
den Namen „Nation“, den sie sich beilegen (später „Landsmannschaft“), im strengsten Wortsinn. So heißt denn auch der erste Abschnitt in einer Satzung: „Zuerst nun sollen alle Ankommenden, zumal aber die, weiche nach jüngst verlassener dreijähriger Schranke die freiere akademische Luft atmen wollen, ohne jeden Verzug und bevor sie gleichsam der Fremden Beute sind, sich den anderen Landsleuten angliedern und ihren Namen dort angeben, damit, wenn es nötig ist, sie an deren Schutzgenossenschaft und Versammlung teilnehmen und durch die übrigen Vorteile dieser Verbindung unterstützt werden können,“ ja, ein Nachtrag belegt die verspätete Meldung mit einer Geldstrafe. Die Namen Holsteiner, Märker, Westfalen, Pommern, Preußen, Braunschweiger, Mecklenburger, Schlesier, Thüringer, die sich alle in Rostock vorfinden, entsprechen noch ganz genau ihrer Bedeutung. Nur darin findet sich etwas Erweiterung der Nation, daß sie das Recht und die Pflicht hat, Studenten aus Nachbarprovinzen, die nicht in einer besonderen Verbindung auf der Universität vertreten sind, bei sich aufzunehmen. So z. B. lassen die Preußen Polen und Livländer zu, die Hamburger werden den Holsteinern zugewiesen, und jede Nation wacht argwöhnisch über ihrem Rechte und duldet nicht, daß eine andere Mitglieder bei sich aufnimmt, auf welche sie keinen Anspruch, hat. Und alle Nationen gemeinsam verfolgen den, der sich nicht bei seiner Verbindung melden will, es soll niemand auf der Universität sein, der nicht in der Verbindung lebt. Zur Durchführung dieses Grundsatzes, der den Nationen eine große Macht sichert, wird der schärfste Zwang, ja allmählich unerhörte tyrannische Gewalt angewendet.


Die Ordnung der Studenten nach Nationen ist in einer Zeit, die kein Verständnis für den Deutschgedanken hat, so naturgemäß, daß man sich denken kann, daß sie sich an allen Universitäten, die allmählich mit reformatorischem Geist erfüllt oder in ihm neu errichtet werden, ganz von selbst entwickelt, also, abgesehen von Wittenberg und Tübingen, auch in Marburg, Königsberg, Jena, Helmstädt, Altdorf, Gießen, Rinteln und Straßburg, später erst aus den älteren Universitäten, die sich gegen die Reformation noch eine Zeitlang wehrten und endlich ihr doch zufielen, wie Rostock, Frankfurt a. O., Greifswald, Leipzig, weil diese sich an die alten Kollegien gewohnt hatten.

Den Jüngling, der mit siebzehn Jahren (dem Durchschnittsalter jener Zeit für den Übergang zur Universität) in die fremde Stadt zog, die oft erst nach wochenlanger Reise zu erreichen war, mußte es locken, in einen Kreis einzutreten, wo die heimische Mundart ihm entgegenscholl und er alsbald vertraute Gedanken austauschen konnte. Und in der Tat tritt uns auch, auf dieser natürlichen Grundlage errichtet, ein kräftiger Bau entgegen, gestützt von hohen Gedanken, ja, man steht erstaunt vor den Gesichtspunkten, unter die man den Zweck der Nation stellt, weil sie tiefer oft und in Wahrheit fruchtbringender und nützlicher sind wie manche der heutigen Verbindungen. Es geht so, wie es oft bei manchen Erfindungen geht, daß im ersten Anlauf schon Gedanken entfesselt werden, die die reichste Ausbeute gestatten; später kommen Zeiten, in denen man über kleinlichen Dingen die weitesten Ziele vergißt oder nicht versteht. Daß eine Nation sich als Zweck setzte, heimische Sitte und Lebensart zu pflegen, die Mitglieder in Freundschaft zu verbinden, sich nach außen kräftig zu schützen gegen die Angriffe der Fremde und der rauhen Zeit, sind nahe liegende Dinge, die sich aus der Sachlage von selbst entwickelten. Aber die Nation übernahm auch die Verpflegung der Kranken und die würdige Beerdigung Verstorbener. Wie heutzutage eine Verbindung wohl sehnlichst nach dem Besitz eines eigenen Hauses strebt, so trachtete damals die Nation vor allem darnach, ein gesondertes Chor in der Kirche zu mieten, das sie mit ihrem Wappen schmücken und würdig ausmalen ließ, und in derselben Kirche wohl einen Platz käuflich zum Erbbegräbnis für ihre verstorbenen Landeleute zu erwerben. Da sie alle Landsleute aufnehmen mußte, ohne das Recht zur besonderen Auswahl zu haben, so übernahm sie damit auch die Pflicht, für die Armen darunter zu sorgen und die wirklich Bedürftigen zu unterstützen. Und sie kam dieser Pflicht nach. Aus einzelnen Rechnungen ergibt sich, daß man Landsleute einkleidete, und zwar von Kopf bis zu Füßen ganz neu und unentgeltlich; und was noch viel wichtiger erscheint, sobald man daran denkt, daß der geldbedürftigen Jugend sich wie zu allen Zeiten Wucherer und Blutsauger aufdrängten: man machte die Verbindungskasse zugleich zur Darlehnskasse, aus der man gegen Hinterlegung eines Pfandes zur Stillung der ersten Not Gelber erhalten konnte, und wiederum füge ich hinzu: man erhielt es! Die Nationen hatten sogar empfindliche Verluste durch Darlehen, die in der rauhen Kriegszeit nicht zurückbezahlt wurden. Bei Angriffen gegen sie konnten sie mit berechtigtem Selbstbewusstsein darauf hinweisen, daß sie manchen vor dem Verderben bewahrt und im Laufe der Jahre Tausende von Gulden zur Unterstützung verwendet hatten.

An Angriffen fehlte es nicht, ja, sie mußten kommen, weil Verirrungen kommen mußten, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die zunächst gebotene Grundlage des Nationalismus für die Studentenverbindungen doch nicht die richtige war. Ich will nichts davon lagen, daß man den Blick nicht von den Einzelstaaten auf das große Vaterland zu lenken vermochte. Wie lange Zeit mußte noch vergehen und wie viele Schicksale mußte das deutsche Volk noch durchmachen, bevor eine deutsche Burschenschaft, statt Kleinvolk gegen Kleinvolk, Deutschland gegen Welschland setzte und alle deutschen Studenten, die der Ehre, der Freiheit, dem Vaterlande huldigten, mit einem einzigen großen
Bunde zu umfassen trachtete. Aber daß jeder Landsmann sich bei seiner Nation zur Aufnahme melden mußte, daß die Nation keinem Landsmann, der nicht gerade von der Allgemeinheit verfemt und ausgestoßen war, die Aufnahme versagen durfte, war der Krebsschaden, der an den Verbindungen nagte. Sie fühlten sich, da sie sich um den neuen Zuzug nicht zu bemühen brauchten, sorglos, die roheren Mitglieder, die nicht selten die Herrschaft an sich rissen, gebrauchten die ihnen über die Jüngeren verliehene Macht hart, ja grausam. Aus der Verbindung gab es kein Entfliehen, wenn man sich nicht der erbarmungslosesten Verfolgung aussetzen wollte, und die scheußlichsten Auswüchse rohesten Pennalismus, auf die ich später zu sprechen komme, sind durch den Nationalismus gepflegt und ausgebildet worden.

An der Spitze der Nation standen meistens zwei Senioren und zwei Fiskale, die von der Gesamtheit gewählt wurden. Die Senioren hatten die Pflicht der Oberleitung, der Wahrung der Ehre der Nation, der Verhandlung mit dem Außenstehenden und der Vertretung gegenüber sowohl den Behörden als auch den anderen Nationen.

Es gab schon einen Senioren-Konvent, zu dem die in der Stadt vorhandenen Nationen ihre Vorsitzenden entsandten, der die Aufgabe hatte, allgemeine Studenten-Angelegenheiten zu besprechen und Streitigkeiten zwischen den einzelnen Nationen zu schlichten. Er hielt gern seine Sitzungen in einer Kirche.

Alle inneren Fragen ordnete unter dem Vorsitze der Senioren jedes National-Kollegium für sich. Zu dem Zwecke gab es ordentliche Konvente, die alle Quartal *) berufen wurden, oder außerordentliche bei dringenden Angelegenheiten. Hierher wurden alle Beschwerden gebracht, hier wurden die Änderungen ober Zusätze der Statuten beraten, Streitigkeiten geschlichtet, Strafgelder auferlegt, über besondere Gelage geplant ober die Ausstoßung eines Verräters beschlossen, alle Sitzungen sollten geheim sein und nichts in die Außenwelt hinausdringen lassen. Zum Schluß eines solchen Quartal-Konventes wurde ein solenner Kommers gefeiert, an dem das Hauptvergnügen, natürlich nächst dem Trinken, die Vexierung der (Füchse, richtiger) Pennale war. An diesen Konventen teilzunehmen war jeder verpflichtet, man ließ nur die zwingendsten Entschuldigungen für Fehlende gelten; die hier entstehenden Streitigkeiten nahm man besonders ernst, sie konnten nicht unter der Hand beigelegt, sondern mußten vor den nächsten Konvent gebracht werden. Gäste waren hier nicht willkommen, dagegen. gab es außerordentliche Gelage, zu denen sich wohl mehrere Nationen zusammentaten, um sehr viele Gäste aus der Stadt dazu einzuladen.

*) Bei der Häufung der Fremdwörter sehe ich unsicher seitwärts aus die Finger der Leser, ob sie nicht unwillig zur Feder greifen, um Einspruch gegen solches Undeutsch zu erheben. Ich bitte um Nachsicht mit dem Versprechen, daß es im Laufe der Darlegungen oft noch weit schlimmer kommen soll.

Die Fiskale hatten die Kassenverwaltung, einer von ihnen wurde besonders mit der Kassenführung betraut, jedoch stand er infolge mancher üblen Erfahrung unter genauer Aufsicht, so daß er genötigt war, alle gesammelten Gelder sofort in eine Lade zu legen, die allerdings bei ihm aufgestellt war, zu der aber ein Senior und der zweite Fiskal die Schlüssel, und zwar verschiedene, halten, so daß Geld nur in Gegenwart dieser beiden entnommen werden konnte. (Man erkennt sehr leicht, daß die Einrichtungen der Nationen große Ähnlichkeiten mit denen der Zünfte haben und offenbar nach dem Vorbild derselben getroffen sind.) Über alle Einnahmen und Ausgaben hatte der Fiskal ein Register zu führen, und Nachlässigkeiten hierin wurden an ihm durch Geldstrafe alsbald geahndet. Solche Vorsichtsmaßregeln waren nötig, weil die zu verwaltenden Geldsummen oft beträchtlich waren, in wilden Zeiten voll Gewissenlosigkeit hatte wohl manchmal selbst ein studentischer Kassierer seine Ehre vergessen und Gelder veruntreut. Um die Lade stets leistungsfähig zu halten, waren Eintrittsgelber (anfangs 6 Groschen bis 1 Thaler, später jedoch oft nach Willkür 15 bis 30 Gulden), monatliche Beiträge (2 Groschen bis 1 Gulden für Burschen, halbmal so viel für Pennale) festgesetzt, dazu kamen häufige Strafgelder, freie Geschenke her Vermögenden, die etwa beim Abschied oder an ihren Geburtstagen größere Spenden in die Lade legten.

Zu den besonderen Pflichten eines Fiskals gehörte die Leitung der Pennale, also sehen wir hier den Vorläufer des späteren Fuchsmajors. Er trug Sorge, daß dem Ankömmling, der bei dem Senior sich gemeldet hatte, alsbald das wichtige Nationsbuch (Album, Philoteca) vorgelegt wurde, nachdem er ihn mit den darin enthaltenen Satzungen, den Pflichten und Rechten, bekannt gemacht hatte. Hier mußte der Name eigenhändig eingetragen werden, damit der Neuling sich so ausdrücklich als Mitglied des Kollegiums bekenne. Später schrieb derselbe bei seinem Wegzuge auf Aufforderung des Fiskals seine Gründe zum Weggang, den Ort ober Beruf, dem er entgegenging, daneben, damit er nicht den Anschein erwecke, als gehe er mit schlechtem Gewissen heimlich davon. — Der Eingeschriebene wurde vom Fiskal in den Sitten und Gebräuchen unterrichtet, mußte seinen Antrittsschmaus geben und wurde in Zukunft vom Fiskal in seinem Wandel überwacht. Dieser hatte das Recht, geringere Übertretungen sofort mit Geldstrafe zu belegen. Alsbald schimmert aber auch der später so berüchtigte Pennalismus, das heißt die Ausbeutung und Knechtung der Neulinge, hindurch. „Es soll keiner der Unsern den Neulingen Geldausgaben ober Kosten für ein Gelage in irgend einer Weise auferlegen oder sie ausplündern, und wenn jemand der Freundschaft halber oder irgend eines anderen Geschäfts wegen einen Besuch macht, so soll er nicht so unverschämt sein, den Gastfreund an Pflicht und Schicklichkeit zu mahnen. Des Fiskals Sache ist es, den Novizen damit bekannt zu machen, daß er seine Landsleute geziemend aufnehme und je nach Zeit, Ort und Vermögen ihnen einen oder den andern Trunk vorsetze, aber er darf durchaus nicht zu Schmausereien mit größeren Kosten schreiten.“ Dieser Satz stand, wie es so oft bei den Statuten geht, sehr schön auf dem Papier, in Wirklichkeit wurde er nicht beachtet, und der zunehmenden Verrohung in der Behandlung der Jüngeren konnte er keinen Damm entgegensetzen. — Um den Neuling noch besonders zu leiten, wurde jedem ein älterer Student vorgesetzt, den er „Herr“ oder „Patron“ anredete, und dem er als Famulus zu dienen hatte. Wir erkennen leicht die Anfänge des Verhältnisses zwischen Leibbursch und Leibfuchs. Oft wurde er als Botenläufer in die Heimat der Nation benutzt und wanderte dann wohl zwanzig und mehr Meilen lange Wege; allerdings schickten die allzuentlegenen Nationen ihre besonderen Botengänger sechs, bis siebenmal im Jahr, und wir erkennen das offenbare Bestreben, mit den alten Herren in der Heimat Fühlung zu behalten, wenn auch meistens nur zu dem Zwecke, sie gelegentlich an alte Schulden zu mahnen. Es haben die Nationen einen sehr entwickelten Briefwechsel mit anderen Universitäten, denn selbstverständlich muß ihnen daran liegen, den Spuren derer, die sich missliebig gemacht haben, zu folgen, um ihr Gericht um so schärfer und furchtbarer machen zu können. So hören wir denn wohl gelegentlich, daß sie einem Verräter oder Angeber, der seine Sache feigerweise vor den Rektor statt vor das Kollegium der Nation gebracht hat, nachforschen und befreundeten Nationen auf anderen Universitäten dessen Achtung mitteilen. Sie folgen den Spuren eines Pennals, der, um den Vexierungen zu entgehen, sich ohne Absolution davongemacht hat, und stellen das Ersuchen, doch ja bei seiner Ankunft ihn in Empfang zu nehmen und gebührlich zur Rechenschaft zu ziehen und zur Einholung der Absolution zu veranlassen, ja, in den Zeiten des Kampfes, der gegen die Mitte des Jahrhunderts gegen die Nationen von den Behörden geführt wurde, Schritten sie zur Verrufs-Erklärung den Verbindungen oder Universitäten gegenüber, die sich allzu nachgiebig und gehorsam gezeigt hatten.

Man ist beim Einblick in solche Ordnungen von dem Gedanken überrascht, daß, nachdem sich die Nationen als Erstlinge des Verbindungswesens in reformatorischer Zeit aufgetan haben, sie mit glücklichem Griff auch alsbald schon alle jene Einrichtungen getroffen haben, die bis auf den heutigen Tag noch bewahrt sind. Wie die Tracht wechselt, so zeigt auch der Brauch ein anderes Aussehen, aber der Student bleibt derselbe. Und gerade so drängt das Burschenherz noch heute zur Verbindung wie einst zur Nation, spürt bis ins Alter hinein die Wirkung der einstigen Führung zum Guten oder zum Bösen. Da nun aber der Student allemal ein Kind seiner Zeit ist, niemals in seinem Volke eine Führerrolle spielen kann, wie einst irrtümlich die deutsche Burschenschaft wähnte, sondern immer, unreif wie er ist, der Führung des Volkes folgen muß, so steht zu erwarten, daß auch der Student des siebzehnten Jahrhunderts mitfiel, als das ganze Volk fiel, und er tat, zum Äußersten im Guten und Bösen durch sein leicht aufwallendes Herz veranlaßt, vielleicht einen tieferen Fall als andere Stände des Volkes, aber man wird schließlich erkennen, wie sein gesunder Geist die Rettung aus dem Fall der Trümmer findet und sich das bewahrt, was er braucht, um zu bleiben, was er sein soll, ein lebensfroher, herzenswarmer, dem Edelsten zugeneigter, freier deutscher Student.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studentenleben im 17. Jahrhundert